So viel Krise war nie
Die Fußball-WM macht Europa unter sich aus, immerhin. Aber sonst sieht es finster aus auf dem alten Kontinent. In Berlin, Paris, Rom und London sind die Regierungen in die Krise gerutscht, schuld ist überall die EU – pardon: die Europapolitik.
Denn um nichts anderes geht es ja in London, wo die letzte und bisher heftigste Regierungskrise ausgebrochen ist. Wie kann ein Land die EU verlassen, ohne den Auftrag der Wähler zu mißachten?
So, wie Premierministerin May es versucht, geht es nicht, sagen die Hardliner Davis und Johnson, die nun zurückgetreten sind. Wie es anders ginge, sagen sie nicht. Doch auch die EU spielt nicht mit.
Denn wer genau hinhört in diesen Tagen, der weiß, dass die EU-Kommission auch Mays Idee einer selektiven Freihandelszone made in Britain ablehnt. Deshalb könnte auch May bald die Brocken hinwerfen.
Um die EU-Politik geht es auch in Berlin, wo Merkel und Seehofer ihr absurdes Fingerhakeln fortsetzen. In der neuesten Runde geht es auch um den Brexit – Seehofer will mitreden, Merkel allein entscheiden.
Und dann wären da noch Rom und Paris. In Rom hat eine Anti-System- und damit auch Anti-EU-Regierung die Macht übernommen. Und in Paris ist eine Pro-EU-Regierung in Probleme geraten.
Denn Präsident Macron ist in der Wählergunst abgestürzt. Das liegt an seinem selbstherrlichen Stil – aber auch daran, dass die EU-Politiker es ihm nicht danken, dass er seine neoliberalen Reformen durchzieht.
Merke: Es nützt nichts, all das umzusetzen, was Berlin und Brüssel seit Jahren fordern. Und es nützt schon gar nichts, Dich auf Merkel zu verlassen. Macron und May könnten bald gemeinsam ein Lied davon singen…
Nur in Brüssel herrscht Business as usual. Hier will man für keins der Probleme verantwortlich sein – sondern macht weiter, wie vor dem Brexit. Dabei hatte es doch nach dem “No” geheißen, jetzt müsse sich alles ändern!
Aber auch hier ist man vor bösen Überraschungen nicht sicher. Wenn sich die EU stur stellt und May auch noch über die Klippe springt, muss Brüssel womöglich mit dem Labour-Chef Corbyn verhandeln…
WATCHLIST:
- Aufmarsch zum Nato-Gipfel. Einen Tag vor dem Start im neuen, milliardenteuren HQ in Brüssel gibt Generalsekretär Stoltenberg den Marschbefehl aus: Aufrüsten! Und die EU macht mit, auch wenn Trump es nicht wahrhaben will.
WAS FEHLT:
- Gewaltenteilung in der Türkei. Ab sofort geht alle Gewalt vom Sultan aus – Recep Tayyip Erdogan reißt die Macht komplett an sich. Nun ist er Präsident und Regierungschef in Personalunion – und verspricht den “Neustart”. Mit oder gegen die EU?
Peter Nemschak
11. Juli 2018 @ 08:02
Die Reformen zieht Macron im Interesse Frankreichs durch. Warum sollen ihm die anderen EU-Mitglieder dafür danken? Entscheidend für den NATO-Gipfel wäre die Einsicht jedes einzelnen EU-Mitglieds, dass im Unterschied zum Kalten Krieg, wo die Sicherheitsinteressen der USA sich mit jenen Europas jahrzehntelang deckten, diese Kongruenz nicht mehr gegeben ist. Dadurch hat die militärische US-Unterstützung stark an Wert verloren. Die stärksten Waffen helfen nicht, wenn ihr Inhaber nicht bereit ist sie zu unserem Nutzen einzusetzen. Konzessionen an die USA sind daher nur mehr unter dem Titel Zeitgewinn vertretbar, um die eigenen militärischen Abschreckungskapazitäten so rasch wie möglich aufbauen zu können. Dies funktioniert nur GEMEINSAM. Ein europäischer Staatschef, der dies nicht glaubt, möge sich an seine Militärs wenden. Was die persönliche Behandlung von Trump betrifft, kann die EU von Kim einiges lernen: a great president who will make America great again. We wish him all the best. He can count on our support wherever it is in our common interest. Long live the USA and her unique president.
ebo
11. Juli 2018 @ 08:36
Désolé, aber Macron wurde nicht für die neoliberalen Reformen gewählt, sondern für sein Europaprogramm. Die Reformen stoßen bei den Franzosen auf Widerstand und zeigen (noch?) keine Früchte…
Peter Nemschak
11. Juli 2018 @ 09:39
Old habits die hard. Ohne diese Reformen wird Frankreich hinten bleiben und stagnieren. Die Welt von gestern ist Geschichte. Sie lebt nur mehr in der Nostalgie der Linken à la Melanchon und altkommunistischer Gewerkschaften weiter. Die Franzosen haben Macron gewählt, weil er einen Unterschied zur bisherigen Politik der korrupten Altparteien versprochen hat. Wahlentscheidungen wegen der Europapolitik eines Politikers sind bloßes Wunschdenken. Nach vor kommt der Nationalstaat weit vor dem Staatenbund EU im politischen Denken der Wähler.
Georg Soltau
11. Juli 2018 @ 19:34
@Nemschak.: merken Sie eigentlich noch was für Blödsinn Sie manchmal schreiben ?
Die stärksten Waffen sollen von seinem Besitzer zu unserem Nutzen eingesetzt werden ?
Eigene militärische „Abschreckungskapazitäten“ ? Hauptsächlich Militär und Gewalt !
Viele Ihrer Argumente sind eigentlich Abschreckung genug!
Peter Nemschak
10. Juli 2018 @ 10:22
Jeder Politiker ist gut beraten sich auf sich selbst zu verlassen. Es bewahrheitet sich wieder einmal, dass zwei Hähne, heute müsste man um der Gleichberechtigung willen zwei Hühner am Mist sagen, zuviel sind. Seehofer wird sich grollend zurückziehen müssen. Der CSU hat er für die LAndtagswahlen in Bayern nicht genützt. Die Finanzmärkte haben den Wahlsieg Erdogans nicht goutiert, was die seit eh und je bestehende wirtschaftliche Abhängigkeit der Türkei von der EU verstärkt. Warum sollte die EU für das UK Extrawürste braten? Langsam aber sicher wird auch das UK merken, dass ein harter Abschied von Europa nicht in seinem Interesse liegen kann. Selbst gestandene Historiker wie Niall Ferguson lassen manchmal Geschichts- und Politikverständnis vermissen. Er sieht das zukünftige UK in der Rolle einer zweiten Schweiz. Macron hat sich wie seine Vorgänger etwas lächerlich wirkende monarchische Alluren angewöhnt. Dagegen wirkt Merkel wie ein Fels in der Brandung.
Reinard Schmitz
10. Juli 2018 @ 10:15
wo bleibt peter?