Noch mehr Spitzenkandidaten, noch mehr Verwirrung

Was hat die Fernsehdebatte zur Europawahl im EU-Parlament gebracht? Nicht viel, denn ein klarer Favorit für die Nachfolge von Jean-Claude Juncker zeichnet sich weniger denn je ab. Gleichzeitig wächst die Verwirrung – auch unter den Organisatoren der TV-Show.

Ausgerechnet das Parlament hat dazu beigetragen. “Candidates for the Presidency of the European Commission”, ließ die Brüsseler EU-Kammer in großen Lettern auf die Kulisse der Fernsehdebatte schreiben. Doch das ist eine ziemlich grobe Täuschung.

Denn von den sechs Teilnehmern sind nur zwei “offizielle” Spitzenkandidaten, die Juncker tatsächlich beerben wollen: Manfred Weber (EVP) und Frans Timmermans (S&D). Nur sie streben offiziell die “Presidency” an, und nur sie akzeptieren das Verfahren.

Margrethe Vestager, die bei ihrem Auftritt punkten konnte, zählt nicht dazu. Sie tritt für die Liberalen an, die das Prinzip der Spitzenkandidaten ablehnen – und dem Parlament sogar das Recht bestreiten, den Kommissionschef zu wählen!

Die drei weiteren Kandidaten nennen sich vielleicht “Spitze”, sie waren auch ziemlich gut – doch eine Aussicht, Juncker zu beerben, haben sie nicht. Sie zählen nur als mögliche Bündnispartner für Weber oder Timmermans.

Die Europawahl ist eben keine Direktwahl des Kommissionschefs. Es war ein grober Fehler, dass die Moderatoren das nicht klar gestellt haben. Sie taten die ganze Zeit so, als wären wir in den USA oder in Frankreich.

Das EU-Parlament will sich mehr Macht sichern, das ist auch ok. Doch die Spielregeln müssen klar sein. Dazu zählt aber eben auch, dass es keine EU-weiten Wahllisten gibt – kaum jemand kann die “Spitzen” wirklich wählen.

Weber können nur die Bayern wählen, Timmermans nur die Niederländer. Vestager wurde bisher nicht einmal von ihrer eigenen Regierung in Dänemark nominiert; sie ist eine politische Seiltänzerin.

Das verwirrende Format hatte einen weiteren Nachteil: Kleine, europaweite (und europafreundliche) Listen wie Volt oder DIEM25 waren nicht eingeladen – und Nationalisten, Brexiters und andere EU-Gegner auch nicht.

Es fehlten also ausgerechnet jene, die eine “Föderation” oder “Republik” Europa wollen – und die anderen, die die EU am liebsten ganz abschaffen oder komplett umkrempeln wollen, wie Matteo Salvini oder Marine Le Pen.

Das ist ein ernstes Manko – wenn man bedenkt, daß viele Wähler glauben, die EU sei auf dem falschen Weg. Heute kam sogar eine Umfrage, derzufolge eine Mehrheit denkt, die Union könne binnen 20 Jahren verschwinden.

2040 ist alles vorbei – aber wir simulieren eine demokratische Direktwahl?

Siehe auch “Krisenszenario: 2040 ist heute”

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