Johnsons schmutzige Trümpfe
Kann der britische Premier Johnson noch sein Ziel erreichen, den Brexit am 31.10. durchzuziehen? Innenpolitisch wird dies immer schwieriger – doch in Brüssel hat er noch einige Trümpfe in der Hinterhand.
Wer den deutschen Medien folgt, muß den Eindruck gewinnen, dass sich Johnson hoffnungslos verzockt hat und nur noch durch Gesetzesbruch und/oder Landesverrat zum Ziel kommen kann.
Das No-No-Deal-Gesetz und die Weigerung des Parlaments, schnell Neuwahlen anzusetzen, scheinen Johnson jeden legalen Weg zu verbauen. Dabei kann er trotz allem noch die EU triezen.
Der einfachste Weg, die Vorgaben des Parlaments zu durchkreuzen, wäre es, einfach keinen Antrag auf Vertagung des Brexit in Brüssel zu stellen. Dagegen wäre die EU ziemlich machtlos.
Denn bisher gilt, dass die britische Regierung den Antrag auf einen weiteren Aufschub stellen muß. Tut sie dies nicht und kommt es zu keiner Einigung, so erfolgt der Austritt automatisch am 31.10. – auch ohne Deal.
Eine weitere Möglichkeit wäre, zwar einen Antrag auf Verlängerung zu stellen, wie dies das Unterhaus fordert – dabei aber den Austrittsvertrag zu ignorieren und für die EU inakzeptable Bedingungen zu stellen.
In diesem Fall müßten die Staats- und Regierungschefs den Antrag ablehnen. Sie treffen sich Mitte Oktober zum nächsten regulären EU-Gipfel; die Entscheidung muß einstimmig fallen.
Die dritte “schmutzige” Option wäre, einen Antrag auf Verlängerung zu stellen – sich vorher aber mit Quertreibern und Populisten vom Schlage Orbans abzustimmen, um ein “Nein” zu sichern.
Und dann wären da noch die “klassischen” Varianten, einen Deal zu torpedieren. So könnte Johnson die Arbeit des Rates stören und sich so lange querstellen, bis seine Wünsche erfüllt werden.
Last but not least könnte er auch den EU-Gipfel sprengen – mit nächtlichen Verhandlungen und Last-Minute-Forderungen, die eine Einigung unmöglich machen.
All dies zeigt, dass Brüssel gut beraten wäre, sich auf alle Fälle vorzubereiten. Die EU darf angesichts des britischen Dramas nicht passiv auf der Zuschauerbank bleiben, sondern sie muss selbst aktiv werden.
Auf Johnsons nächste Kapriole zu warten, wäre die schlimmste Strategie…
Unser Thema im Presseclub am Sonntag: das #Brexit-Drama und mögliche Lösungsansätze. Eric Bonse, unter anderem #EU-Korrespondent für @tazgezwitscher und @cicero_online, hat dazu eine klare Meinung: pic.twitter.com/HU8VWzzHRy
— Presseclub (@ARD_Presseclub) September 7, 2019
Das Video vom ARD-Presseclub gibt es hier, alle Blogposts zum Brexit stehen hier.
P.S. Das Europaparlament spielt in dem Drama übrigens keine Rolle. Auch wenn es jetzt die Johnson-Gegner unterstützen will, wie SPON meldet, kann es nicht viel ausrichten. Es hat den Austrittsvertrag ja selbst noch nicht einmal ratifiziert…
Claus
10. September 2019 @ 19:24
Vielen Dank für die interessante Analyse!
Dann holen wir mal eine Tüte Chips with Vinegar, lehnen uns zurück und schaun’ mal, wie es mit dem “Perfiden Albion” weitergeht!
Peter Nemschak
10. September 2019 @ 11:50
@Kleopatra zwischen Korpsgeist und faktischer Macht liegen Welten. Irgendwann werden die EU-Abgeordneten nach Hause in den Schoß ihrer Parteienfamilie zurückkehren und dort weiter Karriere machen wollen.
Ein Europäer
10. September 2019 @ 11:32
Glaubt man die Gerüchte, BoJo ist dabei ein modifiziertes Deal für Nordirland und ein Singapur Handelsmodell für London die EU vorzulegen. Irland scheint dabei zu sein, so die Gerüchte. Jetzt ist gefragt das diplomatisches Können der EU Unterhandler . Es wird spannend bis zu Ende.
Peter Nemschak
10. September 2019 @ 11:45
Das klingt vielversprechend. Nach dem Abgang von zahlreichen Tories ist die Bedeutung der nordirischen Unionisten als Mehrheitsbeschaffer für die Tories geschwunden, was politische Spielräume eröffnet.
Kwasir
10. September 2019 @ 16:38
Was die vorgesehenen 10 – 15 ‘Free-ports’ an dem Backstop Problem (Grenzregime Drittstaat UK – EU Staat IRL) ändern sollten, kann ich nicht sehen. Nach dem Vorbild der kleinen Steuer*/Zolloasen-Insel Singapur eine große für UK bilden zu wollen ist doch Tagträumerei und kann allenfalls einigen wenigen großen Unternehmen von Vorteil sein (andere FTZ bleiben immer noch attraktiver), nicht aber für breite private/öffentliche Sektoren, die weiter verarmen würden.
Kleopatra
10. September 2019 @ 08:33
Die bisherigen Abstimmungen im britischen Parlament würden ohnehin zu dem Ergebnis führen, dass Johnson zwar eine Verlängerung der Verhandlungen beantragen sollte, abe mit dem ausdrücklichen Zusatz, dass “der Backstop” nicht akzeptabel sei. Dann wäre die EU am Zug und müsste entscheiden, ob sie a) weiterverhandeln und b) zudem akzeptieren will, dass der unterzeichnete (aber nicht ratifizierte) Vertrag geändert werden muss. Wenn die EU wirklich einen Vertrag möchte, darf sie in dieser Frage nicht unbeweglich sein, ich denke allerdings, dass es Kräfte gibt, die meinen, ohne Großbritannien wäre es schöner (wenn die sich allerdings mal nicht irren). Was ich übrigens nicht verstehe, ist dass dieEU-Esite zwar auf dem vorliegenden Entwurf beharrt, ihn aber noch nicht im Europäischen Parlament zur Ratifikation vorgelegt hat. Will man hier eine Niederlage riskieren oder sieht man es als eine Schwatzbude an, die schon alles abnicken wird?
Peter Nemschak
10. September 2019 @ 09:30
Das EU-Parlament wird letztlich ratifizieren, was die Regierungschefs vereinbart haben. Es ist keine Schwatzbude sondern die Art und Weise wie es gewählt wurde, garantiert letztlich, dass der Wille der nationalen Parlamente, welche die Regierungschefs legitimieren, zum Zug kommt.
Kleopatra
10. September 2019 @ 11:14
Das EP hat einerseits keineswegs automatisch dieselben Mehrheiten wie die nationalen Parlamente kombiniert und andererseits hat es einen eigenen Korpsgeist, der sich weigert bzw.weigern möchte, einfach eine Abnickmaschine zu sein. Ich denke zwar auch, dass das EP im Zweifel für den vorliegenden Vertrag stimmen wird, aber wenn EU-seitig wirklich die Meinung vorherrscht, dass man von dem vorliegenden (und für das britische Parlament inakzeptablen) Vertragsentwurf keinen Millimeter abweichen will, frage ich mich wirklich, warum man nicht längst das EP um seine Ratifikation gebeten hat. Ein vertragsloser Zustand würde ja schon dann eintreten, wenn das EP die Ratifikation technisch nicht zustandebrächte.
Peter Nemschak
10. September 2019 @ 19:44
Ist der Vertrag erst einmal ratifiziert, engt das mögliche Verhandlungsspielräume ein und schwächt die eigene Ausgangsposition.
Holly01
10. September 2019 @ 08:14
Hätte nicht gedacht, das ich das einmal schreibe, aber BoJo hat Recht.
Das UK muss am 31.10 raus. Alles andere wäre noch schlimmer.
Variante 1: Der Austrittsvertrag geht durch. Was passiert dann im UK? Wird Farage dann PM, weil die Leute den Letzten wählen, von dem sie glauben es setzte ihren Willen um?
Variante 2: Der Vertrag wird geändert. Dann kippt entweder der Binnenmarkt weg oder das UK wird rechtlich zerbrochen. Die Folgen sind nicht einmal absehbar, aber absolut zerstörerisch.
Variante 3: Der einzige verbliebene Weg das Desaster zu beenden. Der No deal vs. Verbleib in der EU.
Dann ziehe ich den no deal vor …..
Mit den Briten zusammen in der EU zu verbleiben mir die Halbaffen von UKIP im Parlament anzusehen und das ständige Blockadespiel von No.10 zu „geniessen“ ist absolut keine gangbare Lösung.
Wenn die Briten nicht gehen, sollten wir sie raus schmeissen.
vlg
Rudi Ehm
11. September 2019 @ 07:52
„Halbaffen“ ! Warum nicht gleich Ganzaffen? Das ist Naziniveau. Und geht hier durch.
ebo
11. September 2019 @ 08:52
Sorry, muss ich wohl übersehen haben!?
Holly01
11. September 2019 @ 13:42
Herr Ehm,
es ist mir grundsätzlich nicht so wichtig ob Sie mich für rechts links oder quer halten.
Inhaltlich ist der Begriff “Halbaffen” für gewählte Vertreter sicherlich nicht angemessen.
Wäre ich Nazi fände ich Farage und den Brexit klasse. Der Brexit wird es den nationalen und Neoneoliberalen Kräften einen Kahlschlag zu veranstalten, der dann auf alle Länder in Europa enormen Druck ausübt und die EU extrem schwächen wird.
Als Nazi fände ich das prima. So kann man sich viel leichter abgrenzen, Egoismen verschleiern und alles bekämpfen was irgendwie nach Multinational, Global oder sonst für Neoliberale und Nationalisten anstößig riecht.
Da schwabt eine nationale Welle und die wird Europa überrollen.
Gefällt mir nicht.
Ne, dadurch werde ich auch nicht links.
Ansonsten ist diese Schere im Kopf installieren Nummer recht durchsichtig und gehört zu “warum wird so einem Inhalt eine Plattform geboten” oder “das darf man so nicht sagen” oder “das fördert nur diese Tendenzen”. Herr Bose fischt schon raus was nicht passt und Sie dürfen mich gerne und jederzeit inhaltlich angreifen.
Halbaffen war nicht angemessen, der Hinweis daraus natürlich schon.
vlg
Peter Nemschak
9. September 2019 @ 21:16
Sie bestätigen, dass alle an die Macht wollen. Naiv ist, wer kein Hobbesches Menschenbild hat.
Peter Nemschak
9. September 2019 @ 21:09
Dass die EU bei einem vertragslosen BREXIT viel Geld liegen lassen wird, könnte einen Last Minute Deal beflügeln.
Ein Europäer
9. September 2019 @ 20:02
Hallo in die Runde, die Labour Party und die Liberalen haben das Parlament und die Verhandlungen um den Brexit missbraucht, um die eigene Sache zu dienen. Das ist doch kein Hexenwerk, um zu verstehen worum es hier geht. Man muss halt die Ergebnisse der letzte Europa-Wahlen in GB in Betracht ziehen. Das Kalkül dahinter : Corbyn und die Liberalen wollen die Torries auf eine Vertagung des Brexits zwingen und danach ins HoC ein Misstrauensvotum gegen die Torrie Regierung zu stellen. Damit kommt es automatisch zu vorgezogenen Neuwahlen, die Hoffnung dahinter der Kern der Torrie Wähler läuft rüber zu Brexit-Party. Jermy Corbyn taktiert um die Downing Street und hat sehr sehr hoch gepokert. Hier geht es vielmehr um die Existenz der Torries. BoJo und Jacob Rees-Mogg wissen es und müssen entsprechend handeln. Aus meiner Sicht der No-Deal Brexit ist unvermeidlich… es sei denn, Frankreich und Deutschland kommen Großbritannien entgegen , was ich allerdings nicht glaube. Meine Prognose: 95% No Deal Brexit, 4% Last Minute Deal zwischen die EU und GB und 1% Bojo tritt zurück und das ganze geht von vorne los.
Peter Nemschak
9. September 2019 @ 19:09
Niemand kann die EU zwingen, vor dem 31.Oktober zu einem Beschluss über irgend etwas zu kommen. Sie braucht bloß beim jetzigen bisher ausgehandelten Vertragsentwurf und Austrittstermin zu bleiben und auf den 1.11. zu warten. Das britische Parlament kann keinen Austrittsvertrag mit der EU erzwingen, wenn die EU nicht will. Was die Briten unter diesen Umständen mit BJ machen, ist deren Sache. Lassen wir uns überraschen und lehnen uns zurück.
Groekel
9. September 2019 @ 18:46
Was würde denn passieren, wenn Johnson am 18.10. zurücktritt? Dann ist am 19.10. niemand befugt, den Verlängerungsantrag zu stellen?