Schweizer Käse
Das Geheimnis der sinkenden Zinsen für Deutschland und Frankreich ist aufgeklärt – jedenfalls teilweise. Ausgerechnet die neutrale Schweiz kauft massiv deutsche und französische Staatsanleihen an, um den Euro zu stützen und den Schweizer Franken zu schwächen, wie SPON berichtet. Das Geld dafür kommt aus den Krisenländern Spanien und Italien – so verschärft das Finanzparadies im Herzen Europas die Eurokrise.
Bisher galten US-amerikanische Hedgefonds und britische Großanleger als Hauptverantwortliche für die Spekulation gegen den Euro. Doch folgt man einer Studie der US-Ratingagentur Standard & Poor’s, der die Schweizerische Nationalbank heftig widerspricht, so müssen wir unser Feindbild korrigieren: es sind nicht nur die bösen angelsächsischen Spekulanten, sondern wohl auch biedere Eidgenossen aus der Schweiz, die zur Spaltung der Währungsunion beitragen und sie löchrig wie einen Schweizer Käse machen.
Bis zu 50 Prozent der Schulden der so genannten „Kernländer“ Deutschland, Frankreich, Finnland, Österreich und der Niederlande habe die Schweizer Zentralbank finanziert, behauptet S&P. Die britische „FT“ legt noch einen drauf und meldet, Frankreich sei ursprünglich gar nicht in den „Genuß“ der Schweizer Intervention gekommen. Zunächst habe man nur Deutschland finanziert, dann aber gemerkt, dass dies die Spreads in der Eurozone verstärkt, die Krise verschärft und den Euro schwächt. Und das wollte man ja nicht.
Was lernen wir daraus? Erstens sollte man den Finanzmärkten im allgemeinen und den Spreads im besonderen nicht allzu große Bedeutung beimessen. Denn sie spiegeln nicht etwa, wie man in Berlin gerne behauptet, die Reformbereitschaft einzelner Länder oder die Wettbewerbsfähigkeit innerhalb der Eurozone wieder, sondern unterliegen völlig sachfremden Einflüssen – wie eben den Interessen der Schweizer Notenbank. Wie stark diese eingegriffen hat, werden wir zwar wohl nie erfahren; doch dass sie tätig war, ist unbestritten.
Zweitens weckt der Bericht Zweifel an der Europäischen Zentralbank. Warum greift sie nicht ein, wenn die Schweiz den Märkte in Euroland verzerrt? Wieso läßt sie es zu, dass der Euro gegenüber dem Dollar chronisch überwertet ist, und dass die kleine Schweiz ihre Probleme auf Euroland abwälzt? Wieso informiert sie die Öffentlichkeit nicht darüber, was an den Anleihen- und Devisenmärkten los ist? Es glaubt ja wohl keiner im Ernst, dass die EZB weniger wußte als S&P.
Drittens sollte diese Geschichte eine Warnung für Deutschland sein. Es ist ja nicht nur so, dass die Schweiz Deutschlands Schulden finanziert. Es ist vielmehr so, dass das Fluchtkapital aus Südeuropa auf dem Umweg über die Schweiz die deutschen Schulden finanziert. Dieser merkwürdige Kreislauf muss und wird nicht ewig anhalten. Vor allem aber sollte dies der Bundesregierung eineLehre sein, was passieren würde, wenn sie den Euro nicht hätte.
Deutschland wäre sofort die Schweiz von heute. Entweder würde die neue deutsche Währung sofort massiv aufgewertet, was die deutsche Wettbewerbsfähigkeit empfindlich stören würde. Oder die Bundesbank müsste genauso intervenieren wie es jetzt die Schweizerische Nationalbank tut. mit der reinen Lehre, die Buba-Chef Weidmann predigt, käme man nicht weit…
Eric B.
29. September 2012 @ 10:50
@Chrygel Ich denke auch, dass die SNB auf der sicheren Seite ist. Es stimmt auch, dass sie sich aus ihrer Sicht völlig rational verhält. Sie geht gegen die Überbewertung des Schweizer Franken vor, was völlig ok ist. Nicht ok ist, dass die EZB den Wechselkurs völlig ignoriert und so tut, als gebe es die SNB nicht. Schließlich ist der Euro auch stark überbewertet, sieht man einmal von Deutschland ab. Selbst Weltkonzerne wie EADS klagen darüber! Nicht ok ist auch die Kapitalflucht aus GR, ESP etc. Hier liegt ein Konstruktionsfehler des Euro, der sowohl Blasenbildung als auch Kapitalflucht massiv begünstigt. Leider wird darüber ebenso wenig diskutiert wie über den Wechselkurs des Euro…
Manuel Müller
26. September 2012 @ 21:43
@Chrygel: Warum sollten bei einem Zusammenbruch des Euro „die Eurobestände der Schweizer Nationalbank entwertet werden“? Das Szenario, dass Deutschland aus der Währungsunion austritt und dann der Rest-Euro deutlich abwertet, ist doch eher unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist, dass die Krisenstaaten austreten müssen und der Rest-Euro aufwertet, und dann hat die SNB einen guten Schnitt gemacht… (Alternativ gelingt es der EU, die Krise zu lösen, was ebenfalls zu einer Aufwertung des Euro-Kurses führen dürfte, weil dann Investitionen in Südeuropa wieder attraktiver werden. Der einzige plausible Grund, weshalb der Eurokurs weiter fallen könnte, wäre, dass die Eurozone auf eine langgezogene Depression hinsteuert.)
Chrygel
26. September 2012 @ 09:49
Verstehe nicht, warum die Schweiz irgendwelche Probleme auf Euroland abwälzt. Ziel der Notenbank ist es, den Schweizer Franken tief zu halten. Den Vorteil haben die Deutschen, Franzosen, Oesterreicher, die sich zu niedrigen Zinsen refinanzieren können. Den Nachteil werden die schweizer Bürger bekommen, sollte der Euro zusammenbrechen und die Eurobestände der Schweizer Nationalbank entwertet werden. Es trifft letztendlich immer die Bürger, wenn die „grossen Jungs“ ein zu grosses Rad drehen!
Manuel Müller
26. September 2012 @ 08:43
Offen gesagt, verstehe ich die Aufregung nicht so ganz. Wenn die S&P-Studie stimmt, dann verhält sich die Schweiz doch völlig rational. Sie will den Kurs des Franken gegenüber dem Euro niedrig halten, also muss sie Staatsanleihen aus der Eurozone kaufen. Und sie will dabei keine Risiken eingehen, also kauft sie Staatsanleihen von Ländern mit hoher Bonität. Dass das den Spread zwischen den Euro-Mitgliedstaaten erhöht, ist klar – aber wenn die Eurozone es nicht hinbekommt, einen institutionellen Rahmen zu schaffen, durch den dieser Spread geschlossen wird (Eurobonds wären die naheliegende Lösung), kann man das ja kaum der Schweiz vorwerfen…Und was die EZB betrifft, gibt es ja immerhin das Offenmarktprogramm, mit dem sie Staatsanleihen der Krisenländer aufkauft und damit den Spread drückt. In Deutschland wird das zwar oft als eine Form der Zentralbankfinanzierung von Staatsschulden kritisiert, aber die offizielle Begründung, die die EZB dafür vorgebracht hat, ist ja, dass sie damit den derzeitigen Wirren auf dem Finanzmarkt entgegenwirkt, um wieder eine normale Geldpolitik zu ermöglichen. Natürlich ist die Strategie der EZB eine schlechtere Lösung, als es Eurobonds oder ein angemessen großer EU-Haushalt wären – aber diese besseren Optionen scheitern eben am Europäischen Rat und am Veto gewisser Mitgliedstaaten…