Schon 425 Tage ohne deutsche “Führung”

Die Regierungskrise in Berlin hat bisher noch keine spürbaren Auswirkungen auf die Europapolitik. Wie auch – Kanzlerin Merkel “führt” schon lange nicht mehr. Dennoch geben sich nun viele besorgt.

“Die lange Regierungsbildung schwächt den Einfluss Deutschlands in Brüssel”, warnt EU-Kommissar Oettinger im “Spiegel”. “Eine deutsche Handschrift ist bei wichtigen Themen derzeit nicht zu erkennen.”

Das sollte der CDU-Politiker mal seiner Kanzlerin ins Gesicht sagen. Regiert Merkel nicht schon seit 12 Jahren? Und was hat sie im Wahlkampf zu Europa gesagt, was hat sie in “Jamaika” gefordert? Nichts!

Die Kanzlerin habe in den (gescheiterten) Koalitionsverhandlungen vor allem moderiert, räumt der Europaabgeordnete (und Grünen-Verhandler) R. Bütikofer ein. Das habe sie zwar gut gemacht.

Doch da die FDP die Runde platzen ließ, sei nun Merkels Image als “Deal-Makerin” angekratzt. “In diesem Sinne spürt man in den Chefetagen in Brüssel einen Vertrauensverlust”, so Bütikofer.

Dieser Verlust hat allerdings schon früher eingesetzt. Und zwar genau genommen kurz nach dem Brexit im Juni 2016. Denn Merkel hat all jene ausgebremst, die die EU neu aufstellen wollten.

Statt zu “führen”, hat sie den unhaltbaren Status Quo konserviert. Beim EU-Sondergipfel in Bratislava im September 2016 kam es deshalb zum Eklat. Italiens Ex-Premier Renzi schimpfte laut über Merkel.

Denn die Kanzlerin hatte verhindert, dass Beschlüsse zur EU-Reform gefasst wurden, wie sie Renzi und Frankreichs Ex Hollande forderten. Seitdem hat Merkel auch jeden weiteren Anlauf gestoppt.

Wir sind also nicht erst seit der Bundestagswahl ohne “deutsche Führung”, sondern bereits seit mehr als einem Jahr. Die Initiativen kommen seitdem von anderen – vor allem aus Paris und Brüssel.

Na und? EUropa braucht keine “deutsche Führung”. Es braucht allerdings auch keine Merkel-Bremse. Die Kanzlerin sollte daher endlich umdenken – oder den Weg für andere frei machen…

P.S. Bisher sorgte man sich in Brüssel übrigens nicht um mangelnde “deutsche Führung”, sondern um deutsche Dominanz. Die Debatte zum “deutschen Europa” habe ich in vielen Blogposts dokumentiert, sie stehen hier. Die Geisterdebatte um die “mangelnde deutsche Führung” werde ich ab sofort mit einer Zähluhr dokumentieren. Die erste Zahl verweist dabei auf die Zeit seit der  Bundestagswahl, die zweite auf den Gipfel in Bratislava, bei dem sich Merkel politisch aus der EU verabschiedet hat.