Schöne Reden sind nicht genug

Wenn es um große Ankündigungen geht, ist Ursula von der Leyen spitze. Die politische Durch- und Umsetzung ist ihr dann nicht mehr ganz so wichtig. Dabei kommt es jetzt genau darauf an. – Ein Gastkommentar.

Von Joachim Schuster*

Ende November verkündet die Kommissionspräsidentin im Europäischen Parlament, dass Europa (nicht nur die EU) der erste klimaneutrale Kontinent bis zum Jahr 2050 werden solle. Der ausgerufene neue Green Deal soll das Markenzeichen der Kommission werden. Schon Anfang März wird im Entwurf für ein europäisches Klimagesetz dieses Ziel für 2050 verbindlich festgehalten. Auf ambitionierte Ziele bis 2050 lässt es sich leicht einigen. Bis zu diesem Zeitpunkt ist ohnehin keineR der heute politisch Verantwortlichen mehr in Amt und Würden.

Eine politisch interessante Frage bleibt in dem Gesetz aber offen. Auf welches Klimaziel einigt sich die EU für das Jahr 2030. Bleiben die bisher geltenden 40% bestehen, wird das große Ziel bis 2050 nicht erreichbar sein. Aber eine konkrete Zahl vorschlagen ist heikel. Denn die Mitgliedstaaten sind sich nicht einig. Und bei einem ambitionierten Ziel für 2030 müssten umgehend weitere energische Maßnahmen eingeleitet werden.

Da schiebt man alles lieber auf die lange Bank, und will erstmal analysieren, welches Zwischenziel denn mit den bisherigen Maßnahmen erreichbar ist. Mutige Vorgaben, die sich an den Anforderungen des Klimaschutzes orientieren, sehen anders aus.

Bisher sieht es bei der Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise leider ähnlich aus. Im März beschwört von der Leyen mit einem gewissen Pathos die notwendige Einheit Europa. „Die Geschichte schaut auf uns“, weiß sie zu verkünden. Die Rolle der Kommission in der Krisenbewältigung lässt aber wiederum Fragen offen.

Offensive Vorschläge, oder gar ein klares Konzept, was zu tun ist, findet man nicht.

Selbst das sogenannte Sure-Programm, welches mit Hilfe einer Schuldenaufnahme durch die Kommission auf Basis von Garantie-Erklärungen der Mitgliedstaaten im Umfang von bis zu 100 Mrd. Euro Maßnahmen zur Unterstützung von Kurzarbeit finanzieren soll, ist bis heute noch nicht hinreichend detailliert ausgearbeitet.

Bisher wurden wenigstens den Europaabgeordneten wichtige Details vorenthalten, etwa wann die Rückzahlung der in Anspruch genommenen Kredite durch die Mitgliedstaaten und in welchem Zeitraum die Tilgung erfolgen soll. Informationen darüber wären wichtig für die endgültige Bewertung des Instrumentes.

Gleichzeitig schlängelt man sich durch die nationalen Interessen und Positionen hindurch. Kommissionspräsidentin von der Leyen entschuldigt sich bei Italien wegen der anfänglich nicht hinreichenden Unterstützung durch die EU. Gleichzeitig lässt sie an anderer Stelle erkennen, dass sie die Position der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel teilt, dass Eurobonds kein geeignetes Instrument zur Krisenbekämpfung seien.

Sie lässt aber offen, wie denn ohne gemeinschaftliche Verschuldung hinreichende Mittel für ein umfangreiches Wiederaufbauprogramm aufgebracht werden sollen, von denen besonders krisenbetroffene Länder wie Italien profitieren sollen.

Irgendwie soll das im nächsten Mittelfristigen Finanzrahmen der EU abgedeckt werden, ohne allerdings nur erste Hinweise zu geben, an welches Volumen die Kommissionspräsidentin für den EU-Haushalt in den nächsten sieben Jahren denkt. Gleichzeitig sind von der Kommission bestenfalls leise Töne der Kritik an der ungarischen Regierung unter Orban zu vernehmen, die die aktuelle Pandemie nutzt, um die Demokratie in Ungarn vollends auszuhöhlen.

Sicherlich darf man nicht in den Fehler verfallen, der Kommission jetzt die alleinige Schuld für die aktuelle mangelnde Einigkeit in der EU in die Schuhe zu schieben. Die zum Teil diametral entgegengesetzten Positionen der Mitgliedstaaten haben sich seit der Finanzkrise 2008/9 aufgebaut. Die von den wirtschaftlich stärkeren zumeist nördlichen Mitgliedstaaten durchgesetzte Austeritätspolitik hat tiefe Spuren hinterlassen.

Die wirtschaftliche und soziale Spaltung in der EU ist eben kein kurzfristiges Resultat der Corona-Krise. Aber diese Krise verschärft die Spaltung erheblich und bedroht damit letztlich den Bestand der EU, des Euro und des Binnenmarktes. Der schon vor Corona vollzogene Brexit und der erstarkende Rechtspopulismus und -extremismus in den letzten Jahren sind deutliche Warnsignale.

Gefragt sind konkrete Konzepte

In dieser zugespitzten Situation erwartet man sich von der Kommission als Hüterin der Verträge mehr als blumige Worte. Gefragt sind konkrete Konzepte, wie der Krise begegnet werden soll, welchen Umfang ein Recovery-Programm haben sollte und wie es finanziert werden sollte. Gleichzeitig wäre die dringend erforderliche Neuorientierung der Wirtschaftspolitik einzuleiten.

Es reicht nicht, die Austeritätspolitik nur kurzfristig auszusetzen, weil mit der Austeritätspolitik weder eine dauerhafte Erholung der europäischen Wirtschaft noch die Transformation hin zu Klimaneutralität gelingen kann. Das aktuelle Aussetzen der Verschuldungsziele als zentraler Bezugspunkt der Wirtschaftspolitik war zwar richtig. Aber ohne Vorschläge, welchen Zielen die Wirtschaftspolitik „nach Corona“ folgen soll, bleibt dieser Schritt unzureichend.

In Krisenzeiten reicht es nicht, einfach nur Zuschauer des Streits der Mitgliedstaaten zu sein und ansonsten in unverbindlichen Reden die Bedeutung der EU und hehre Langfristziele zu beschwören. Gefragt ist eine aktive Führungs- und Vermittlerrolle, die realistische Wege für eine erfolgreiche europäische Politik aufzeigt. Die Kommission hat nicht mehr viel Zeit, diese Rolle aktiv anzunehmen.

*Joachim Schuster ist Politikwissenschaftler und sozialdemokratischer Politiker. Er ist seit 2014 Mitglied des Europäischen Parlaments. Weitere Gastbeiträge stehen hier