Orban trotzt Merkel, Nawalny trotzt Putin – und Seehofer knackt die Verschlüsselung

Die Watchlist EUropa vom 27. November 2020 –

Im Streit mit Ungarn und Polen über das neue EU-Finanzpaket und die Corona-Hilfen haben sich die Fronten weiter verhärtet. Beide Länder wollen an ihrem umstrittenen Veto gegen den 1,8 Billionen Euro schweren Finanzpaket festhalten, hieß es bei einem Treffen der rechtspopulistischen Regierungschefs Orban und Morawiecki in Budapest.

“Weder Polen noch Ungarn werden irgendwelche Vorschläge annehmen, die unannehmbar sind für den jeweils anderen”, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung. Das Veto gegen das Finanzpaket bleibe solange bestehen, bis die sogenannte Konditionalität fällt, die die Zahlung von EU-Geldern an die Rechtsstaatlichkeit bindet.

Dies bringt das Europaparlament in Rage. Kanzlerin Merkel müsse ihre Politik des „Appeasements“ gegenüber Orban aufgeben und mit dem Entzug von Finanzhilfen drohen, heißt es quer durch die Fraktionen in Brüssel.

Merkel hat derzeit den halbjährlichen EU-Vorsitz inne. Seit Beginn des Streits vor zehn Tagen hat sie versucht, hinter den Kulissen zu schlichten – bisher vergeblich.

„Für Angela Merkel und die deutsche Ratspräsidentschaft ist jetzt die Stunde der Wahrheit gekommen“, meint die grüne Europaabgeordnete T. Reintke. „Bleibt es bei warmen Worten – oder zeigt sie klare Kante für die europäischen Werte?“

Die EU sei nicht machtlos, erklärt ihr Parteifreund S. Giegold. Die anderen 25 Länder könnten mittels der „verstärkten Zusammenarbeit“ vorangehen und den Corona-Fonds ohne Ungarn und Polen vorantreiben.

Ähnlich äußerte sich der liberale Abgeordnete G. Verhofstadt. Falls Budapest und Warschau an ihrem Veto festhalten, sollten sie keine Mittel aus dem Rettungspaket erhalten, so der ehemalige belgische Premier.

Sogar in der konservativen EVP-Fraktion rumort es. Der österreichische Europapolitiker O. Karas äußerte sich empört über einen ungarischen Abgeordneten, der EVP-Fraktionschef M. Weber (CSU) mit der Gestapo verglichen hatte. Dieser müsse sich entweder bei Weber entschuldigen oder aus der EVP-Fraktion austreten.

Andere EVP-Mitglieder fordern sogar den Rauswurf aller ungarischen Parlamentarier aus der Fraktion. Doch dagegen sträuben sich CDU und CSU. Auch Merkel scheut bisher vor einem Bruch zurück.

Der Ball liege in Budapest, heißt es beim deutschen EU-Vorsitz. Die umstrittene Konditionalitäts-Verordnung, die Finanzhilfen an den Rechtsstaat bindet, werde auf keinen Fall geändert.

Am Freitag wollen sich die EU-Botschafter mit dem Streit befassen. Wenn Ungarn und Polen bei ihrer harten Haltung bleiben, könnte die EU eine härtere Gangart einlegen, hieß es in Brüssel.

Dafür müßte Merkel allerdings ihren Schmusekurs gegenüber Orban beenden…

Siehe auch “Merkel und Orban – ein kritisches Dossier” und “Das ist Merkels Stunde der Wahrheit”

Watchlist

Wie geht es Kreml-Kritiker Nawalny, wird er nach Russland zurückkehren? Das wollen am Freitag die Abgeordneten des Europaparlaments erfahren. Nawalny und weitere Kreml-Kritiker würden “über die politische und sozio-ökonomische Situation in Russland mit Blick auf die Parlamentswahlen im nächsten Jahr” informieren, heißt es in einer offiziellen Ankündigung. Nebenbei dürfte man auch über die jüngsten EU-Sanktionen gegen das Umfeld von Zar Putin sprechen… – Mehr hier

Was fehlt

Noch mehr Sanktionen – diesmal gegen die Türkei. Die EU müsse Sultan Erdogan wegen dessen Provokationen in Nordzypern und im Östlichen Mittelmeer hart strafen, heißt es in einer mit sehr großer Mehrheit angenommenen Entschließung des Europaparlaments. Zudem nennt der Text “das direkte Engagement der Türkei zur Unterstützung Aserbaidschans im Konflikt um Berg-Karabach”. Schön, dass das in Brüssel auch mal erwähnt wird, die “geopolitische EU-Kommission” hat das Thema irgendwie verschlafen…

Das Letzte

Die EU-Staaten lassen nicht von ihrem Vorhaben ab, die Verschlüsselung bei Messenger-Diensten zu knacken. Whatsapp oder Signal sollen technische Lösungen erarbeiten, um Strafverfolgern einen “rechtmäßigen Zugang” zu gewährleisten, “damit sie ihre Aufgaben wie gesetzlich vorgeschrieben und zulässig wahrnehmen können”, heißt es in einem Papier des Ministerrats, aus dem der “Standard” zitiert. Innenminister Seehofer kommt seinem Ziel näher – er wirbt schon lange für Hintertüren für seine Ermittler… 

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