“Die Linke ist kein Teil der Ursula-Koalition”
Die Linke ist im Europaparlament stärker geworden, sagt Martin Schirdewan, der Co-Vorsitzende der Linken-Fraktion. Mit von der Leyen will er nichts zu tun haben. – Ein Interview.
Wie geht es weiter nach dem Abschied von der Parteispitze? Willst Du Dich auf Europa konzentrieren? Und wie soll das gehen, wenn man sieht, dass die deutsche Linke auch aus der Europawahl geschwächt hervorgegangen ist…
Das wird natürlich mein Arbeitsschwerpunkt sein für die nächste Zeit, das ist klar. Ich bin ja Fraktionsvorsitzender einer insgesamt stärker gewordenen Linksfraktion hier im Europäischen Parlament. Wir haben jetzt mehr Abgeordnete als in der letzten Legislaturperiode und sind ungefähr genauso stark wie die grüne Fraktion. Das liegt daran, dass vor allem Parteien aus Frankreich, aber auch aus Italien und den nordischen Ländern Wahlerfolge erzielt haben und wesentlich mehr Abgeordnete in unsere Fraktion schicken.
Das hat auch meine Position gestärkt. Als Fraktionsvorsitzender ist es mir zum Beispiel gelungen, eine Debatte auf die Tagesordnung zu setzen, in der es um das Thema sozialen Wohnens geht – Social Housing, Affordable Housing. Es ist das erste Mal, dass das Parlament dazu debattiert.
Das wird auch einer unserer Arbeitsschwerpunkte sein hier im EP. Wir haben den Vorsitz als Fraktion sowohl im Arbeits- und Sozialausschuss als auch im Ausschuss für Steuergerechtigkeit. Das wird natürlich unsere Arbeit hier maßgeblich mitprägen. Das heißt, alles, was an sozialer Gesetzgebung passiert, wird auch über unsere Schreibtische gehen.
Das ist wirklich ein großer Erfolg für linke europäische Politik. Und ich freue mich, dass wir vor dieser Aufgabe stehen, hier für eine Verbesserung der sozialen Verhältnisse in der EU kämpfen zu können. Das ist spannend.
Die Linken im EP sind zahlreicher geworden, aber auch zersplitterter und isolierter. Wie könnt ihr da Einfluß nehmen? Seid ihr etwa ein inoffizieller Teil der ganz großen Koalition von Kommissionspräsidentin von der Leyen?
Wir sind um Himmels Willen niemals Bestandteil der Großen Koalition um von der Leyen gewesen. Und, das kann ich versprechen, das werden wir auch nicht werden.
Tatsächlich sind wir das linke Korrektiv hier im Europäischen Parlament zu dieser ganz großen Koalition, die von Sozialdemokraten, Grünen, Liberalen und Konservativen reicht – bis hin zu Parteien der Nationalkonservativen oder Rechten um Meloni, die ja alle die von der Leyen-Kommission stellen und tragen werden.
Das heißt, wir sind nicht Bestandteil der großen Ursula-Koalition, sondern wir verstehen uns als eine Oppositionskraft hier im Europäischen Parlament. Als eine Kraft also, die die soziale Frage immer wieder thematisiert und immer wieder deutlich macht, dass zum Beispiel die doppelte Transformation, vor der die europäische Automobilindustrie gerade steht, also Digitalisierung und Nachhaltigkeit, dass die nicht zu Kosten der Arbeitnehmenden gehen kann.
Das sind die Kämpfe, in die wir eintreten – und zwar gegen die Kommission, in der das Soziale verloren geht. Von der Leyen hat Vorschläge unterbreitet für die Aufgabengebiete der neuen Kommissarinnen und Kommissare, wo das Thema Beschäftigung und die soziale Frage keine Rolle mehr spielt. Ich finde das eine Riesensauerei – und das heißt einfach, dass es wirklich notwendig ist, dass wir hier als starke Linksfraktionen dagegen halten.
Dies ist ein Auszug aus einem Interview für die “taz”. Der ganze Text steht hier.
Klaus Draeger
22. Oktober 2024 @ 18:16
Die EP-Linksfraktion sei niemals ‘Bestandteil der Großen Koalition um von der Leyen gewesen’ – so Schirdewan. Warum wurde UvL dann aber von seiner Ko-Vorsitzenden Manon Aubry (LFI) und ihm so herzlich zu ihrer Wiederwahl umarmt und begrüßt?
Hier ein you-tube video aus Frankreich (‘Quand Manon Aubry se moque de nous’ – wie sie sich über uns lustig macht). Hier, ab ca. 35 min 50 sec:
https://www.youtube.com/watch?v=2dL4LOxzk7c
Wie sich die EP-Linksfraktion zu den Ukraine Resolutionen des EP im Juli 2024 verhalten hat, dazu hier:
https://www.sozonline.de/2024/09/ja-zum-krieg-quer-beet-durch-die-fraktionen/
‘Friedensbewegt’ ist das wohl nicht. Eher: ‘Frieden schaffen durch immer mehr Waffen’.
Schirdewan und die Mehrheit des Fraktionsvorstands der Linksfraktion im EP applaudierten früher schon den Reden des ukrainischen Präsidenten Selensky im EP, wo er mehr Waffenhilfe etc. forderte. Und isolierten intern die unabhängigen irischen linken MEP Clare Daly & Mick Wallace, die dagegen waren.
Sich bei Fragen von Krieg & Frieden einfach zu enthalten (im September 24 wurde vom EP gefordert, Taurus-Missiles zu liefern) – klare Botschaft. Dazu einfach abtauchen durch enthalten – das mögen ja die LeserInnen für sich beurteilen, was das ist. Rackete stimmte am Ende dieser EP-Resolution vom September 24 zu. Das zählt – nicht ihre Bedenken bei einzelnen Punkten wg. Taurus-Lieferung. Sie hat zugestimmt.
Ansonsten: Die EP -Linksfraktion hat 46 MEP (fast soviel wie die Grünen) – stimmt. Welche davon sind als ‘links’ einzustufen? Die 5-Sterne aus Italien, die mal mit der rechten Lega und mal mit den Democratici koalierten? Die neue Syriza aus Griechenland oder Sinn Fein aus Irland – die letzteren bewegen sich seit einiger Zeit in Richtung der ‘politischen Mitte’? Das ist ein weiteres Thema – hier nicht so entscheidend. Jedenfalls ist es bei Fraktionsbildungen im EP immer ein wichtiger Punkt: ‘They are only in it for the money’ (Frank Zappa 1968). Denn wenn man eine Fraktion (auch eine rein ‘technische’ Fraktion ohne gemeinsame Programmatik) bilden kann, gut für die Finanzen, Mitarbeiter, die Rechte in den EP-Ausschüssen usw.. ebo kann ja vielleicht nochmal dazu informieren.
Realismus ist m.E. bei der Betrachtung dieser Vorgänge angesagt – weniger die m.E. durchaus verständliche Empörung einiger Kommentare zu ebo’s blog. Konkrete Analyse einer konkreten Situation …
ebo
22. Oktober 2024 @ 18:19
Siehe auch das Abstimmungsverhalten beim Ukraine-Kredit (im P.S.)
Arthur Dent
21. Oktober 2024 @ 23:59
“Wenn ihr mich wählt, dann bekommt ihr nicht den lieben Jan von nebenan”… – nee, Jan van Aken sagt an, wann Schluss ist mit Zanken. Zumindest in Deutschland geht der Kindergarten der Links-Partei weiter.
Unter “soziales Wohnen” kann ich mir nicht wirklich etwas vorstellen.
Und zum Thema Rentenreform ist gerade große Märchenstunde bei der Ampel. BSW fordert Volksabstimmung zur Umstellung der Rente (alle zahlen ein, höhere Beiträge, höhere Rente). Problem: Wir sind nicht in der Schweiz, bundesweite Volksabstimmungen sind hierzulande nicht möglich.
Man kann sich auch wünschen, dass der Regen aufhört, fällt nicht ein Tropfen weniger.
KK
21. Oktober 2024 @ 20:03
Auf den NDS liest man heute*:
„„Damit der Rentner nicht mehr Flaschen sammeln muss“, wie der anschließend auftretende scheidende Ko-Vorsitzende und EU-Abgeordnete Martin Schirdewan in seiner Abschiedsrede erläuterte…“
Schirdewan hat demgemäss nicht etwa gesagt „Damit der Rentner KEINE Flaschen mehr sammeln muss“ – nein, er sorgt sich anscheinend lediglich um die Menge der von Rentnern zum Lebensunterhalt notwendigerweise zu sammelnden Flaschen… oder schreibt der seine Reden immer so schlampig? Dann wundert mich der Niedergang der LINKE allerdings nicht!
* https://www.nachdenkseiten.de/?p=123397
w.nissing
22. Oktober 2024 @ 12:11
Genau das habe ich mich auch gefragt. Redet er von einer Zeitachse oder einer Menge. Ich befürchte, er weiß es selbst nicht…..
european
21. Oktober 2024 @ 18:19
Schirdewan war unter den ersten Gratulanten, nachdem von der Leyen gewählt worden war. Carola Rackete hat sich für Taurus Lieferungen ausgesprochen „und für eine Resolution gestimmt, in der die Mitgliedstaaten der EU aufgefordert werden, »Einschränkungen des Einsatzes westlicher Waffen gegen legitime militärische Ziele im Hoheitsgebiet Russlands unverzüglich aufzuheben«. Schirdewan erhielt sich. Nur Demirel lehnte ab.
https://www.jungewelt.de/artikel/484184.niedergang-der-linkspartei-rackete-schie%C3%9Ft-den-vogel-ab.html
ebo
22. Oktober 2024 @ 12:14
Nach der Haltung der Linken zur Ukraine habe ich natürlich auch gefragt. Hier die passende Passage (Frage kursiv):
Stichwort Ukraine. Die europäische Linke wirkt bei diesem kritischen Thema gespalten. Auch die deutschen Abgeordneten zeigen keine klare Linie. Bei der letzten Ukraine-Resolution im Europaparlament hat Carola Rackete für Militärschläge gegen Russland gestimmt. Du hast dich enthalten, aber gleichzeitig mehr Sanktionen gegen Russland gefordert. Was gilt denn nun?
Ich habe nicht für mehr Militärschläge gegen Russland gestimmt. Ich habe mich bei einer Resolution enthalten, in der unter anderem die völlig richtige Verurteilung des Angriffskrieges und von sexualisierter Gewalt gegen Zivilisten steht und Sanktionen gegen Oligarchen gefordert werden. Wir sind uns in der Linken einig, dass wir ein baldiges Ende dieses brutalen Krieges und keine Militarisierung der Gesellschaft wollen.
Dass wir als deutsche und als europäische Linke auch darüber diskutieren, was der richtige Weg ist, das ist doch klar – und das spiegelt sich dann manchmal auch im Abstimmungsverhalten wieder. Ich bin der Überzeugung, dass eine moderne linke Friedenspolitik sowohl antimilitaristisch und gegen Aufrüstung sein muss und sich klar auf die Seite der Diplomatie stellen sollte. Aber gleichzeitig müssen wir auch das Völkerrecht und die Menschenrechte achten und Putin endlich an den Verhandlungstisch zwingen. Da gibt es aktuell keine einfache Lösung. So ehrlich sollte man sein.
KK
21. Oktober 2024 @ 18:16
“…eine Debatte auf die Tagesordnung zu setzen, in der es um das Thema sozialen Wohnens geht…Es ist das erste Mal, dass das Parlament dazu debattiert.
Wir haben den Vorsitz als Fraktion sowohl im Arbeits- und Sozialausschuss als auch im Ausschuss für Steuergerechtigkeit….Das heißt, alles, was an sozialer Gesetzgebung passiert, wird auch über unsere Schreibtische gehen.”
Ohne Inititivrecht des Parlaments ist das doch alles nur lauwarme Luft, Herr Schirdewan! Und selbst mit einem solchen ist hinsichtlich sozialen Themen gegen den Neoliberalismus der anderen doch gar nicht anzustinken!
Michael
21. Oktober 2024 @ 17:22
Leider wird eine stärkere Linke in Brüssel keine positive Ausstrahlung auf die Linke z. B. in Deutschland haben!