Sanktionen gegen Touristen, Krokodilstränen für Gorbi – und Belgien fordert Preisdeckel

Die Watchlist EUropa vom 01. September 2022 –

Es sollte ein lockeres Wiedersehen nach der Sommerpause werden. Doch beim informellen Treffen der 27 EU-Außenminister in Prag sind die Positionen zu Russland und möglichen neuen Sanktionen wegen des Ukraine-Kriegs hart aufeinander geprallt. Für Streit sorgte vor allem ein möglicher Visa-Bann für russische Touristen. Dabei kam es zu einer ungewohnten Lagerbildung zwischen mehreren östlichen EU-Staaten auf der einen und Deutschland und Frankreich auf der anderen Seite.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und die französische Chefdiplomatin Catherine Colonna sprachen sich gegen ein pauschales Einreiseverbot aus. Sie halte nichts von einer „Sippenhaft“, sagte Baerbock. Die EU dürfe regimekritische Russen nicht im Stich lassen.

Der Eindruck, dass reiche Russen zur Shoppingtour an die Côte d’Azur reisen, sei falsch, betonte Colonna. Die meisten Oligarchen seien bereits mit Sanktionen belegt und dürften nicht nach Frankreich oder in die EU reisen.

Weicher Kompromiss

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Demgegenüber wollen Polen, Finnland und die baltischen Staaten eine harte Abschottung. In einem gemeinsamen Statement forderten sie die EU-Kommission auf, die Einreise russischer Staatsbürger radikal zu begrenzen.

Am Ende einigten sich die Außenminister in Prag auf einen Kompromiss. Die EU werde das derzeit noch gültige Abkommen mit Russland über Visa-Erleichterungen vollständig aussetzen, sagte der EU-Außenvertreter Josep Borrell. Damit werde ein „Visa-Shopping“ verhindert und die Einreise in die EU „erheblich reduziert“.

Für diese vergleichsweise weiche Linie hatte sich zuvor auch Baerbock eingesetzt. Die deutsche Grünen-Politikerin rang gemeinsam mit Borrell und dem tschechischen EU-Vor-sitz um eine für alle annehmbare Formulierung. In den Gesprächen mit den Hardlinern sei es emotional geworden, sagte ein EU-Diplomat, der dem Treffen beiwohnte.

Der EU gehen die Ideen aus

Das liegt nicht nur am heiklen Thema „Tourismus im Krieg“. Es liegt auch daran, dass der EU die Ideen für neue Sanktionen gegen Russland ausgehen. Nach sechs „harten“ Sanktionspaketen, die auf die russische Wirtschaft abzielen, hatte sich die EU zuletzt nur noch auf eher symbolische Maßnahmen einigen können.

Gleichzeitig wächst die Kritik an den EU-Beschlüssen. Den Osteuropäern gehen sie längst nicht weit genug. Derweil wächst in Westeuropa die Sorge, dass die Sanktionen auch die eigene Wirtschaft treffen könnten. Die rasant steigenden Gas- und Strompreise werden zum Problem für viele EU-Länder, die Krisensitzungen häufen sich.

Dabei geht der russische Angriffskrieg in der Ukraine unvermindert weiter; die Sanktionen haben keinen erkennbaren Einfluß auf die Invasion. In Prag gab es deshalb auch Diskussionen über die weitere Strategie. Deutschland und Frankreich plädierten dabei für eine Neuausrichtung der EU-Politik.

An den Sanktionen wollen Berlin und Paris festhalten. Man müsse den Sinn der Strafmaßnahmen jedoch besser erklären und dafür auch Mittel der „strategischen Kommunikation“ nutzen, hieß es. Was passieren soll, wenn die Sanktionen nicht wie gewünscht wirken, konnte keiner sagen…

Siehe auch „Baerbock wünscht Russland ein“strategisches Scheitern“

Watchlist

Besinnt sich die EU doch noch auf das „gemeinsame Haus Europa“? Die Nachrufe auf Gorbatschow machen Hoffnung. „Er spielte eine entscheidende Rolle bei der Beendigung des Kalten Krieges und dem Fall des Eisernen Vorhangs. Das ebnete den Weg für ein freies Europa „, erklärte Kommissionschefin von der Leyen. Nato-General Stoltenberg erinnerte sogar an „die Möglichkeit einer Partnerschaft zwischen Russland und der Nato“. Doch genutzt wurde sie nicht, und nun gilt Russland als Feind. Da sind wohl viele Krokodilstränen dabei…

Was fehlt

Der Hilferuf der belgischen Regierung. Nach einer Krisensitzung forderte Premier De Croo die EU auf, so schnell wie möglich einen Preisdeckel für Gas und eine Übergewinnsteuer einzuführen. Andernfalls sei die Energie- und Preiskrise kaum zu händeln, sagte der liberale Politiker. Ein Versorgunsengpass sei aber nicht zu fürchten, betonte De Croo. Belgien verfügt über LNG-Terminals, über die auch Deutschland mit Flüssiggas versorgt wird.