Sanktionen für die Welt (außer Türkei), Sorgen in der Nato – und Streit zum Gipfel

Die Watchlist EUropa vom 23. März 2021

Erst Russland, nun China und Myanmar: Die Europäische Union hat sich als für die Menschenrechte auf der ganzen Welt zuständig erklärt und eine Welle von Sanktionen auf den Weg gebracht.

Neben den genannten drei Ländern sind auch Nordkorea, Eritrea, Libyen und Südsudan betroffen. Das Nato-Mitglied Türkei hingegen wurde verschont – wie so oft in den vergangenen Jahren.

Die Strafen, die die EU-Außenminister beschlossen haben, sehen Reiseverbote und das Einfrieren von Vermögenswerten vor. Sie beruhen auf einem neuen EU-Gesetz, das im Dezember 2020 in Anlehnung an den amerikanischen Magnitsky-Act beschlossen wurde und es den Europäern erlaubt, individuelle Sanktionen zu verhängen.

Bereits im Februar waren auf Grundlage dieser „globalen Sanktionsregelung“ vier Russen bestraft worden, die für die Verurteilung des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny verantwortlich sein sollen. Doch die gewünschte Wirkung blieb aus: Nawalny wurde nicht wie gefordert freigelassen, sondern in ein berüchtigtes Straflager überstellt.

Symbolische Strafen für Beamte

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Nun trifft es vier chinesische Regierungsbeamte in der Provinz Xinjiang, denen Mithilfe bei der Unterdrückung der Uiguren vorgeworfen wird. Auf der EU-Liste stehen der Direktor des Büros für öffentliche Sicherheit von Xinjiang, Chen Mingguo, sowie Vertreter des Parteikomitees des Uigurischen Autonomen Gebiets Xinjiang.

Zudem wurde der Chef der Militärjunta in Myanmar, Min Aung Hlaing, mit Sanktionen belegt. Außerdem wurden gegen neun weitere hochrangige Militärvertreter sowie den Vorsitzenden der Wahlkommission Einreiseverbote und Vermögenssperren verhängt.

Die Strafen zielten nicht auf die Menschen in den betroffenen Ländern, sondern auf die Verantwortlichen von Gewalt und Repression, sagte Außenminister Heiko Maas in Brüssel. Es gehe darum, zu zeigen, dass es die EU mit der Einhaltung der Menschenrechte ernst meine.

Zweifel an den hehren Motiven

Daran kamen aber sofort wieder Zweifel auf – denn die EU schont ‘mal wieder die Türkei. Die EU-Außenminister kritisierten zwar die jüngsten, haarsträubenden Entwicklungen beim “strategischen” Nato-Partner.

Der Verbotsantrag gegen die prokurdische Oppositionspartei HDP und der Austritt des Landes aus der Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen gegen Gewalt seien “absolut die falschen Zeichen”, sagte Maas.

Ursprünglich geplante neue Sanktionen wegen der umstrittenen türkischen Gasbohrungen im östlichen Mittelmeer wurden aber gestrichen. Die Außenminister konnten sich nicht einmal auf eine Verwarnung einigen.

Rücksichten vorm EU-Gipfel

Am Donnerstag diskutiert der EU-Gipfel über die Türkei. Kanzlerin Angela Merkel will sich für ein neues Flüchtlingsabkommen und neue Wirtschaftshilfen einsetzen. Da würden neue Sanktionen nur stören.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hat zwar ein Papier ausgearbeitet, das neben Anreizen auch Strafen wie z.B. Reiseverbote vorsieht, die den Tourismus treffen würden. Doch Deutschland ist strikt dagegen, sie einzusetzen.

Letztlich bleibt die EU ein Papiertiger, der mit doppelten Standards arbeitet: Symbolische Sanktionen für die einen – strategische Rücksichten für die anderen. Die Menschenrechte bringt man so bestimmt nicht voran…

Siehe auch “Brüssel, Peking und Washington drehen an der Sanktionsspirale”

P.S. Der im deutschen Exil lebende türkische Journalist Can Dündar warf der EU vor, “Doppelstandards” gegenüber der Türkei anzulegen. Sie seien “dankbar” für die Zusammenarbeit mit Ankara in der Flüchtlingspolitik und deshalb bereit, ihre Prinzipien zu opfern.

Watchlist

Sucht sich die Nato einen neuen Feind – in China? Und zieht sie sich wie geplant aus Afghanistan zurück – mit einer historischen Niederlage? Um diese und andere Sorgen geht es beim Treffen der Nato-Außenminister in Brüssel. Die Richtung dürfte wie üblich der Amerikaner Antony Blinken vorgeben, der zu seinem Antrittsbesuch nach Europa kommt. Seit dem Machtwechel in Washington warten die Alliierten sehnsüchtig nach klaren Ansagen aus den USA…

Hotlist

  • Nach Deutschland droht nun auch Italien mit einem Alleingang bei den Impfstoffen, wie die “FAZ” berichtet: Ministerpräsident Mario Draghi will die Impfkampagne in Italien beschleunigen. Notfalls auch ohne die EU. Dafür wird in Rom jetzt auch Sputnik V getestet. Draghi berief sich bei seiner Ankündigung ausdrücklich auf die Bundeskanzlerin: „Was Angela Merkel gesagt hat, das sage ich hier auch.“ – Läuft rund vor dem EU-Gipfel…
  • Irland warnt vor Exportstopp von Impfstoffen, schreibt “Politico”: Restricting vaccine exports from Europe would trigger retaliation from other countries and disrupt the global production of jabs, Irish Prime Minister Micheál Martin warned Monday. “Once you start putting up barriers, other people start putting up barriers globally,” Martin told RTÉ radio in Dublin. “We’d all lose in that situation, notwithstanding the frustrations with AstraZenec.” – Der Mann hat recht!
  • Die Linke im Europaparlament fordert einen Untersuchungsausschuß zum Impfdebakel: The time for apologies is over. EU Commission president Ursula von der Leyen’s admission that errors were committed in the rollout of vaccines has not allayed widespread popular anger at the EU’s botched strategy. We need accountability. We need it now. – Der Gastbeitrag für den “EU Observer” steht hier