Rückzug oder Rückeroberung

Der Kompromiss für ein neues EU-Budget wackelt schon wieder. Das Europaparlament fordert Nachverhandlungen, sogar die konservative EVP-Fraktion von Kanzlerin Merkel muckt auf. Die Abgeordneten wollen sich nicht mit einem Rückzug auf Raten abfinden. Geben sie dem Bürger das letzte Wort?

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Europa ist auf dem Rückzug. Der EU-Budgetgipfel in Brüssel hat dafür nur den letzten, wenn auch deutlichsten Beweis geliefert.

Zum ersten Mal in der Geschichte der Union wächst der Haushalt nicht, sondern er schrumpft: um fast 100 Mrd. Euro gegenüber den Entwürfen der EU-Kommission, oder drei Prozent im Vergleich zum bisherigen Budgetrahmen. Die EU expandiert nicht mehr, sie zieht sich zurück.

Macht nichts, in der Krise müssen alle sparen, wird die spontane Reaktion vieler Bürger lauten. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn der Sparzwang wird vor allem dem Süden und Osten Europas auferlegt.

Die reichen Länder des Nordens haben ihre Pfründe gesichert, oder sogar noch ausgebaut. Deutschland setzte durch, dass auch jene ostdeutschen Regionen, die zu reich für EU-Hilfen geworden sind, weiter gefördert werden.

Frankreich sicherte sich seine Agrarsubventionen, England seinen Britenrabatt. Dänemark, das zweitreichste Land der EU, setzte sogar noch einen neuen Nachlass durch – und das unter einer proeuropäischen, sozialdemokratischen Regierung.

Auch die Niederlande schlugen in letzter Minute noch ein paar Millionen Euro heraus. „Fairness zwischen Nettozahlern“ nannte Kanzlerin Merkel das.

Man könnte auch von Egoismus der Reichen sprechen. Und von Kurzsichtigkeit. Denn die Kürzungen gehen nicht nur zu Lasten der Armen und Schwachen, sondern auch auf Kosten der Zukunftsinvestitionen.

Zum Glück gibt es noch das Europaparlament. Es muss diesem missglückten Deal noch zustimmen – und hat mit einem Veto gedroht.

Die Einigung werde die Wettbewerbsfähigkeit Europas schwächen, heißt es in einer ungewöhnlichen gemeinsamen Erklärung der Vorsitzenden aller vier etablierten Fraktionen – darunter auch Merkels konservative EVP. Man könne dem Kompromiss daher nicht zustimmen.

Lasst das Sparbudget scheitern!

Merkel & Co. bemühten sich zwar, dem Parlament entgegenzukommen. Doch wenn die vagen Versprechen der EU-Chefs nicht eingelöst werden, sollten die Abgeordneten nicht zögern, das Sparbudget scheitern zu lassen.

Dann käme zwar die ganze schöne Planung für die nächsten sieben Jahre durcheinander. Der Haushalt würde auf der Basis der Ausgaben von 2013 jährlich fortgeschrieben – plus Inflationsausgleich.

Für Deutschland und andere Nettozahler wäre dies wohl die teuerste Lösung.

Doch immerhin gäbe es dann die Möglichkeit, den Rückzug auf Raten wieder rückgängig zu machen und die Weichen auf Innovation und Wachstum zu stellen. Und zwar mit dem Stimmzettel – bei der Europawahl 2014.

Es wäre ein erster Schritt zur demokratischen Rückeroberung der EU.

Dies ist die gekürzte Fassung eines Beitrags, den ich bei Cicero online veröffentlicht habe. Das Original steht hier