Requiem auf die Spitzenkandidaten
Es ist ein Treppenwitz der EU-Geschichte: Ausgerechnet die Frau, die das Scheitern der Spitzenkandidaten personifiziert – Ursula von der Leyen – will sie nun wiederbeleben. Zeit für ein Requiem.
Die Spitzenkandidaten sind tot, doch im Europaparlament geistern sie immer noch durch die Köpfe. Zumindest im deutschen Flügel des Straßburger Glaspalasts.
Die Totengräberin Von der Leyen versprach Manfred Weber, dem aufrechten Kämpfer für den Spitzenkandidaten-Prozeß, wie es in korrektem EU-Deutsch heißt, die Wiederauferstehung.
„Ich bin tief überzeugt vom Spitzenkandidatenmodell“, sagte sie nach Angaben von Teilnehmern an einer Sitzung mit den deutschen EU-Abgeordneten von CDU und CSU. Es müsse reformiert werden.
Damit das geht, müssen erstmal Schuldige dafür her, dass es diesmal nicht geklappt hat – trotz der aufopferungsvollen Tätigkeit von CSU-Mann Weber.
Die Namen sind schnell genannt: “Macron, Orban, Sanchez” heißt es in einer Pressemitteilung von Daniel Caspary (CDU) und Angelika Niebler (CSU). Fehlt da nicht ein Name – Merkel?
Nein, die Kanzlerin habe bis zuletzt für das Prinzip gekämpft, heißt es bei der Union. Tatsächlich hat sie erst Weber, dann den Sozialdemokraten Timmermans ins Spiel gebracht.
Doch beide hatten keine Mehrheit – weder im Rat, noch im Europaparlament. In der Straßburger Kammer führte der “Prozeß” nicht einmal zu einer Abstimmung.
Doch was soll demokratisch an einem “Prozeß” sein, der ohne parlamentarische Mehrheiten auskommt – und nicht einmal zu Koalitionsverhandlungen führt?
In Wahrheit sind Weber & Co. selbst Schuld am Scheitern des “Prozesses”. Sie haben es nicht geschafft, ihr Prinzip mit Leben zu füllen, sondern sich gegenseitig blockiert.
Weber stellt sich als Opfer dar
Dennoch stellt sich Weber nun als Opfer dar. Gleichzeitig stellt er sich loyal hinter Von der Leyen, die eben keine Spitzenkandidatin war. Wenn er ums Prinzip kämpft, müsste er sich wenigstens enthalten…
Noch ein letztes Wort: Außer in Deutschland, Österreich und (teilweise) in den Niederlanden und Spanien hat der Spitzenkandidaten-Prozeß nirgendwo eine Rolle gespielt.
Deswegen spricht wenig dafür, dass die EU-Länder nun eine große Reform einleiten werden, um in fünf Jahren neue “Spitzen” zu wählen. Das deutsche System paßt einfach nicht auf die EU…
Mehr zu den Spitzenkandidaten hier
Holly01
4. Juli 2019 @ 17:43
“In Wahrheit sind Weber & Co. selbst Schuld am Scheitern des “Prozesses”. Sie haben es nicht geschafft, ihr Prinzip mit Leben zu erfüllen. Verhandlungen über einen Koalitionsvertrag reichen nicht.”
Das ist nach meiner Einschätzung etwas zu kurz gesprungen.
Das “Spitzenkandidaten” Dingens ist uns in Deutschland so logisch, weil wir es gewohnt sind, das die Parteien(diktatur) eben so funktioniert.
Wenn die Parteien nicht ihren Platz am Trog haben, geht gar nichts.
Das hat auch positive Aspekte.
Dieses aushebeln der Wahlen geht ja regelmäßig nur, weil eben die Parteien(diktatur) als Gesamtheit Stabilität und Kontinuität bringt.
DAS ist in Brüssel aber überhaupt nicht erwünscht.
Präziser die Länder die Brüssel bestücken wünschen das NICHT, die in Brüssel würden sich und ihre Posten natürlich gerne aufwerten.
Es ist eine ganz klare Angelegenheit:
Die EU erhebt keinen Anspruch auf direkte Wahl Wirkungen, die über den reinen prozentualen Proporz hinausgehen.
Den Rest bestimmt man aus den Staaten. Wer auf der Liste oben steht. Wer (von denen die es nach Brüssel geschafft haben) Ämter bekommt. Wer Einfluss hat, weil sein Staat dahinter steht.
Ich gehe sogar so weit, dass der Fehler in der Zustimmung des Parlaments zum Komissionspräsidenten liegt. Diese Regelung liegt überhaupt nicht im Gesamttrend der Verträge.
Die EU stellt sich (für mich, so habe ich das verstanden) als Konzept dar, wie es de Gaulle beschrieben hat, ein Bund der souveränen Staaten.
Soviel Kooperation wie nötig, so viel Souveränität wie möglich.
Daher kommt ja auch das Subsidiaritätsprinzip.
Die EU macht nur das was man auf nationaler Ebene überhaupt nicht regeln kann.
Da ist die Krux. Die EU macht viel viel mehr und es wird auch immer mehr.
Da ist der Brexit angesiedelt.
Mit Verlaub, die Chefs der Staaten haben sich auf die Verträge besonnen und ihnen Wirkung verliehen.
Die (freiwillige) Aufgabe von Souveränität scheint vorbei zu sein.
Der Kaiser will seine Kleider zurück haben.
Da kann das Parlament noch so jammern und zetern, es ist ein Debattierclub, nicht mehr.
Die durften etwas Duft der großen weiten Welt schnuppern, aber hier ist “Ende im Gelände”, hier machen die Chefs schlicht weg ihren Job.
Ok, die machen den Job nicht gut. Alle 4 Kandidaten sind, ich sage es vornehm, etwas angeschlagen. Es scheint ein “must have” zu sein, das man wegen Korruption, Dämlichkeit oder Unterschlagung verurteilt wurde, bevor man da in den Reihen aufsteigen darf.
Das ist tatsächlich schwer zu vermitteln, dass das nun DAS Qualitätsmerkmal ist.
Aber man erkennt die Schweine eben am Gang … oder man erkennt die Leute an ihrem Umfeld?
Diese Spitzenkandidaten Nummer ist jedenfalls (bis auf Lippenbekenntnisse) durch.
vlg
Peter Nemschak
4. Juli 2019 @ 17:35
Wer Spitzenkandidat ist, wird nicht vom EU-Parlament sondern dem Club der Regierungschefs entschieden. Es liegt am Parlament, die Zustimmung zu verweigern. Solange die EU institutionell nicht stärker von den Nationalstaaten entflochten wird, was in absehbarer Zukunft unrealistisch ist, wird sich daran nichts ändern. Warum sollte der Club der Regierungschefs, falls VdL abgelehnt wird, einen geeigneteren Kandidaten (in) vorschlagen? Im Grunde sollten die Mitgliedsländer ihren Einfluss auf die Wahl des zukünftigen Unionspräsidenten (Vorschlagsrecht der Regierungschefs von Kandidaten mit anschließender Direktwahl durch die EU-Bürger) beschränken. Dieser würde einen Regierungschef als Kommissionsministerpräsidenten bestimmen, der und dessen Regierung von der Mehrheit im EU-Parlament gestützt werden müsste.
Holly01
4. Juli 2019 @ 20:17
Der eigentliche Schritt wäre ja, das parlament und der Rat bestimmen Kandidaten und das Volk wählt den Komissionspräsidenten der EU, der dann auch eine Richtlinienkompetenz haben sollte.
DAS ist aber alles Schnee von gestern.
Die beiden einzigen EU Kräfte die auf EU-Verdichtung drängen sind der EUGH und die EZB.
Beide aber sehr wirkmächtig.
Der EUGH mit der Auffassung er seit das höchste Gericht in einem (sig) europäischen Rechtsraum (sig) und die EZB mit der blanken macht der Zentralbank aller Euro-Notenbanken.
Da wird sich das kristallisieren ….
vlg