Verliert Macron die Kontrolle?
Der EU hat er seinen Stempel aufgedrückt. Doch daheim in Paris kann Präsident Macron immer noch nicht punkten. Die Proteste gegen die Rentenreform brechen alle Rekorde, die Polizeigewalt nimmt überhand. Verliert Macron die Kontrolle?
Es soll der Startschuss für die Rentenreform sein: Bei einer Regierungssitzung am Freitag will Macron das umstrittene Gesetz offiziell auf den Weg bringen. Ein Kernstück der Reform – die Erhöhung des Rentenalters auf 64 Jahre – wurde nach heftigen Protesten schon zurückgezogen.
Doch auch die entschärfte Reform, die die Abschaffung der vielen, branchenspezifischen Rentenkassen und die Schaffung eines einheitlichen Punktesystems vorsieht, stößt auf erbitterten Widerstand. Die Gewerkschaften haben zu einem neuen Aktionstag ausgerufen.
Die Rentenreform ist dabei nur ein Thema von vielen. Es geht auch um prekäre Arbeitsbedingungen in Schulen, Krankenhäusern und Theatern. Für viele Arbeitnehmer ist das großzügige – teilweise anachronistische – Rentensystem der letzte Anker des französischen Sozialstaats.
Es drohen wieder gewalttätige Proteste – und neue Polizeigewalt. Zuletzt hatten Videos von prügelnden Polizisten sogar bei der französischen Regierung für Empörung gesorgt. Die Bilder sind schwer zu ertragen, im deutschen Fernsehen werden sie lieber nicht gezeigt.
Dabei tragen sie zur weiteren Erosion des Vertrauens der Franzosen bei. Von Macron haben sie ohnehin schon keine hohe Meinung – noch nie hatte Frankreich einen derart unbeliebten Präsidenten. Nun zweifeln sie auch noch an Recht und Ordnung in ihrem Land.
Doch ein Rechtsstaats-Verfahren wie Polen oder Ungarn muß Macron nicht fürchten. Die EU und Deutschland schauen “großzügig” über seinen selbstherrlichen Regierungsstil hinweg – schließlich will er ja die “richtigen”, neoliberalen Reformen, wie sie auch die EU-Kommission fordert.
In Brüssel interessiert man sich eigentlich nur dafür, ob Macron die Kontrolle verliert – oder wie einst Maggie Thatcher mit eiserner Faust für Ruhe und Sozialabbau sorgt. Ersteres wäre aus EU-Sicht ein ernstes Problem, letzteres hingegen nicht – eher im Gegenteil.
Bisher sieht es so aus, als könne sich Macron durchsetzen. Immerhin hat er den längsten Bahnstreik der Geschichte und die härtesten Straßenkämpfe seit dem Mai 1968 überstanden. Wenn es gar nicht anders geht, könnte er immer noch seinen Premier Philippe opfern…
Siehe auch “Ende des Neoliberalismus? Nicht in Europa” und “Braucht Frankreich wirklich eine Rentenreform?”
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Watchlist
Am Freitag reist Kanzlerin Merkel nach Istanbul, um sich mit Präsident Erdogan zu treffen. Neben der Lage in Syrien, wo türkische Truppen einmarschiert sind, und Libyen, wohin Erdogan neuerdings Islamisten aus Syrien schickt, dürfte es auch um den Flüchtlingsdeal gehen. Erdogan hat wiederholt mit einer neuen Flüchtlingswelle wie 2015 droht und mehr Geld von Deutschland und der EU gefordert. Wird Merkel ihm erneut entgegenkommen? – Mehr dazu hier
Was fehlt
- Digitalpolitik: Apple will europäischen Stecker-Standard verhindern – Spiegel
- Handelspolitik: Trump is threatening a damaging new trade war with the United Kingdom after Brexit – Business Insider
- Außenpolitik: Libyen – Der Realitätsschock – Spiegel
- Streit um Haushalt: EU setzt Sondergipfel für Februar an – Handelsblatt
- Energiepolitik: EU kommt beim Ausbau von Ökoenergie schleppend voran – onvista
ebo
27. Januar 2020 @ 09:19
Die ‘”Karawane” zieht nicht weiter, denn sie ist das französische Volk. Und das ist teilweise sehr radikalisiert und wild entschlossen, Macron das Leben schwer zu machen. So wurde er vor einer Woche aus einem Pariser Theater verjagt. Nach der Kabinettssitzung liefen Fackelträger durch Paris, die Macrons Kopf auf einer Lanze aufgespießt hatten – Motto: Dein Kopf wird auch noch rollen…
Peter Nemschak
24. Januar 2020 @ 17:54
Die Rentenreform wird durchgezogen und Polizeigewalt wird untersucht werden. Dann wird die Karawane weiterziehen.