Stabilität war gestern

Nach dem Amtsantritt von US-Präsident Trump tut die EU weiter so, als sei nichts passiert. Dabei ist es nun vorbei mit der deutschen Stabilitäts-Kultur. Merkel muss sich warm anziehen.

Klar, in Berlin und in Brüssel will das niemand wahrhaben. Es wäre ja Wasser auf die Mühlen von Trump, der die EU nur als “Vehikel” für deutsche Interessen sieht. Also leugnet man das Problem – und wartet ab.

Genau wie nach dem Brexit ist Nichtstun erste Bürgerpflicht. Das Aussitzen sei ein Ausdruck der „strategischen Geduld“, die Merkels außenpolitische Berater angemahnt haben, heißt es diplomatisch.

Angesichts der Unberechenbarkeit des neuen US-Präsidenten spricht ja auch einiges dafür, Trump erst einmal kommen zu lassen, statt sein Pulver sofort zu verschießen. Doch Trump zögert nicht, er schießt aus der Hüfte.

Je länger die EU wartet, desto schwerer wird zudem der Schulterschluss der 28 Mitgliedstaaten, den Kanzlerin Merkel nach dem Brexit und dann wieder nach dem Machtwechsel in den USA gefordert hat.

Nicht nur Großbritannien will ausscheren. Auch andere EU-Staaten könnten versuchen, mit Trump ihr eigenes Süppchen zu kochen. Warschau und Budapest haben Trump schon herzlich willkommen geheißen.

Ein weiteres Problem sind die Wahlen, die im Frühjahr in den Niederlanden und in Frankreich anstehen. Trump hat den Rechtspopulisten in beiden Ländern noch mehr Rückenwind gegeben.

„Die EU ist tot, aber sie weiß es noch nicht“, höhnte Front-National-Führerin Le Pen am Wochenende beim ersten EU-weiten Nationalisten-Treffen in Koblenz.

Im Herbst könnte es zu spät sein

Auch dazu schweigen Merkel und ihre Follower in Brüssel. Sie hoffen offenbar, dass das transatlantische Beben, das schon jetzt hohe Wellen wirft, irgendwann von selbst wieder abebbt.

Oder dass sich die EU-Staaten – aus Angst vor Trump – wieder zusammenraufen. Erst nach der deutschen Bundestagswahl im Herbst will die EU wieder in die Offensive gehen.

Doch dann könnte es schon zu spät sein. Die Zeit spielt für Trump – und gegen das “deutsche Europa” und dessen (von Obama so hochgelobte) “Führerin der freien Welt”.

Selbst wenn Le Pen scheitert und Merkel wiedergewählt wird – die schöne heile EU-Welt von Deutschlands Gnaden, wie wir sie noch vor einem Jahr zu haben schienen, ist passé.

Stabilität war gestern, ab sofort wird wieder Geschichte gemacht.

  • Die Handelspolitik wird von Trump auf den Kopf gestellt, den TPP-Vertrag hat er schon gekündigt. Der Exportweltmeister Deutschland muss sich “warm anziehen”, wie Wirtschaftsminister Gabriel zurecht sagt.
  • Auch die Außenpolitik wird kräftig durchgeschüttelt. Wenn die USA aus den Wirtschaftssanktionen gegen Russland aussteigen, wird Merkel bald allein mit ihrer ungeliebten Peitsche stehen.
  • Und dann kommt der Brexit. Selbst wenn Trump sich täuscht und die Briten keine Nachahmer finden, so wird er doch die Stabilität in der EU erschüttern. Und Merkel ihres wichtigsten Alliierten berauben.

Zwar ist sie schon auf Partnersuche. Die Niederlande und Belgien sollen noch enger an Deutschland gebunden werden, auch mit Polen und Ungarn will man es sich in Berlin nicht verscherzen.

Doch all das sind nur Pflästerchen. Die USA und Großbritannien fordern Deutschland und seine Europapolitik direkt heraus, auch wenn Merkel dies immer noch nicht wahrhaben will.

Realitäts-Verweigerung wird die Krise aber nur noch schlimmer machen…

Dies war der letzte Folge einer zehnteiligen Serie zur Krise im deutschen Europa. Teil 1 steht hier. Ein aktualisiertes E-Book mit allen zehn Teilen ist in Vorbereitung, Vorbestellungen per Mail hier.