Pyrrhussieg über Putin
Russlands Staatschef Putin verzichtet vorerst auf die umstrittene South-Stream-Pipeline. Zur Begründung verweist er auf die EU, die dem Projekt Hürden in den Weg gelegt hatte. Doch für Brüssel ist es ein Pyrrhussieg.
Nabucco gegen South-Stream: So hieß jahrelang das Rennen zwischen der EU und Russland. Brüssel wollte sich via Nabucco von russischem Gas unabhängig machen, Moskau wollte Südosteuropa an sich binden.
Nun sind beide Projekte Geschichte. Nabucco rechnete sich nicht und wurde klammheimlich eingestellt. South Stream rechnete sich zuletzt wohl auch nicht mehr – auch wegen der Knüppel, die die EU dem Projekt in die Beine warf.
Zuletzt hatte Brüssel – d.h. Ex-Energiekommissar Oettinger – massiven Druck auf Bulgarien ausgeübt. Auch die USA mischten sich ein und kritisierten, dass Sofia ein russisches Konsortium ausgewählt hätten.
Doch statt die Pipeline leise zu begraben, wählte Putin den lauten Paukenschlag. Russland werde nun seine Kooperation mit der Türkei im Energiesektor ausbauen, kündigte der Kreml-Herrscher an.
Noch sind das nur Ankündigungen. Doch wenn Putin seinen Worten Taten folgen lässt, ist dies eine Niederlage für die EU. Eine neue Achse Moskau-Ankara würde nicht nur die Energiepolitik durcheinander bringen.
Aber auch so ist das Ende von South Stream ein Pyrrhussieg für Europa. Die EU wird nun noch mehr von dem unsicheren Transitland Ukraine abhängig – nur Deutschland hat (via North Stream) eine Sonderstellung.
Schmerzlich ist dies für alle, die von South Stream profitieren wollten – Bulgarien, Ungarn, Serben, aber auch Italien und Österreich. Sie müssen sich nun nach neuen Gaslieferanten umsehen…
…und sinnen schon auf Kompensationen. Die EU-Kommission hat das zwar zurückgewiesen. Doch sie kommt nun unter Druck, zumal die geplante „Energie-Union“ auf sich warten lässt.
Sinn macht das Ganze nur im geopolitischen „Great Game“ um Einflusszonen und Lieferquellen. Und nun frage ich meine Leser: Wer könnte von diesem Spielchen profitieren?
Klaus-Peter Kostag
3. Dezember 2014 @ 16:40
Eine interessante Konstellation hat sich jetzt ergeben. Wladimir Wladimirowitsch P. hat seinen frueheren Partner Europaeische Union, der partout zum Gegenspieler werden wollte, elegant gleich in mehrfacher Hinsicht aufs Kreuz gelegt. Zuerst hat er die Sanktionen als Anlass genommen, die eigene Strategie von sich fruchtbar austauschender und gegenseitig ergaenzender Partnerschaft mit Europa auf Kampf zu wechseln und deswegen neue Schwerpunkte auf umfassende Selbstversorgung zu legen. Dann hat Russland foerderliche Gegensanktionen realisiert, die den Handel fuer Russland günstiger neu strukturieren. Als Drittes hat sich Russland nun vorbehaltlos und vollstaendig in Richtung Neue Weltmacht China/ BRICS entschieden. Viertens hat der Angriff auf den Dollar eine neue Wichte wegen der Megavertraege in Rubel und Renminbi bekommen. Eine zerquetschende. Die vielen erhellenden Kommentare vor mir sprechen eine beredte Sprache. Sie reden von einer neuen Achse Tuerkei-Russland, sie reden von europaeischen Selbsttoren. Aber es ist ja noch viel schlimmer:
Die grosse Strategie von USA, EU und NATO, Russlands Flotte aus Tartus in Syrien und von der Krim zu vertreiben ist kartenhaeuslich in sich zusammengefallen. Nebenbei bemerkt, waere aber selbst dieses Siegen in Teilbereichen nicht mal noetig gewesen brauchten die Russen und BRICS nach diesem strategischen Totalversagen doch nur noch auszuhalten und abzuwarten. Der gesetzmäßige US Staats-Zusammenbruch wegen massloser Ueberschuldung erfolgt sicher nicht schon gleich Morgen, in aller Herrgottsfruehe, aber er kommt. Mit absoluter Sicherheit.
China ist die neue reiche Weltmacht, BRICS wird Zuwachs erhalten und die amerikanische Militaermacht an Geldmangel ersticken lassen. Weil der Druck auf freie und starke Völker der Welt einen intelligenten Gegendruck erzeugte, wird die neue Kooperation Asiens weniger Kanonenboot-Diplomatie entwickeln als die Meister im Herbeiluegen von angeblichen Kriegsgruenden.
Inzwischen hat ein nicht mal ganz taufrisches unbewaffnetes russisches 0815 Frontbombenflugzeug im Schwarzen Meer das modernste amerikanische Gefechtsfuehrungssystem (AEGIS) auf dem rein zufaellig dort kreuzenden Zerstörer „Donald Cool“ auf Null gestellt. Inzwischen hat China stolz seine neuen US-Militaer- Satellitenkiller und Hyperschall-Atomraketen entwickelt. Inzwischen hat ein russisches U-Boot lange und nicht auffindbar im Golf von Mexiko seine strategischen Atomraketen gebadet. Inzwischen, das lehrt uns die Kraefteverschiebung, ist also die US-Erstschlagsstrategie noch erledigter, als die amerikanische Schuldenwirtschaft selbst.
Die Russen muessten nicht mal den Gashahn nach Europa zudrehen, brauchen nicht mal die Nazis in Kiew zu entfernen, sie muessen nur weiter stur und unbelehrbar ihre Friedenshetze betreiben und den Gier-Suizid der alten, kranken Weltmacht USA freundlich begleiten.
Russland hat auf lange Zeit mit dieser Stop-Southstream-Massnahme erreicht, dass die EU laaaaaangfristigst ein weiteres Fass ohne Boden alimentieren werden muss. Die Ukraine, ein Zuschussgeschaeft vom gierigsten. Und unverschämt. Wenn die EU nicht richtig spurt, faellt das Gas aus. Oder wird wieder beklaut. Ist nicht Deutschland auch Mitglied in dieser karitativen europäischen Laientheatertruppe? Zuerst der Kosovo mit seinen vielen Kriminellen, jetzt die Nazis aus dem frueheren Ostpolen. Wer wird wohl der Nächste zu foerdernde Versager sein? Ich schlüge, so man mich denn fragte, Deutschland vor. Mit seinem schwarzen Loch in Berlin -Schönefeld.
Klaus-Peter Kostag
kostag@gmx.net
rundertischdgf
3. Dezember 2014 @ 11:30
Ihr Artikel hebt sich Gott sei Dank von der Hofberichterstattung ab!
http://rundertischdgf.wordpress.com/2014/12/03/auf-langer-leitung-stehend/
winston
3. Dezember 2014 @ 06:32
so gesehen kann auch gleich die North Stream Pipeline schliessen.
Was in den letzten 3-4 Jahren in Europa und hauptsächlich in EZ abgeht ist einfach nur noch hirnrissig.
Der Euro wurde geschaffen um die Völker zu vereinigen und um sich vor Externen Schocks zu schützen, es passiert genau das Gegenteil. Obendrauf herrscht innerhalb der EZ Merkantilismus pur. Würden Renzi und Holland nur minimal etwas von Makroökonomie verstehen hätten sie den Euro schon längst auf den Mars befördert.
Peter Nemschak
3. Dezember 2014 @ 10:51
Ein gemeinsame Währung braucht eine Fiskalunion, diese wiederum einen Bundesstaat mit einem Bundesbudget. Der Versuch, durch die Hintertür des Euro einen Bundesstaat zu schaffen ist gescheitert. Was wir jetzt haben, ist weder Fisch noch Fleisch, jedenfalls schwer verdaulich.
winston
4. Dezember 2014 @ 20:59
Da stimmen wir mal ausnahmsweise überein, Hr. Nemschak. :-)))))))))))
Erstaunlich ist, das Ökonomen wie Meade (1957) oder Kaldor (1971) diese Entwicklung (falls Europa eine gemeinsame Währung einführt) fast 1:1 vorher sahen.
Michael
2. Dezember 2014 @ 18:27
Projekte dieser Art unterliegen, sobald sie innerhalb der EU ausgeführt werden (und der größte Teil von South Stream sollte durch EU-Territorium verlaufen) dem EU-Wettbewerbsrecht und Ausschreibungsbedingungen. Das heißt z.B:, dass Bulgarien nicht einfach mit Russland ausmachen kann, welche (vorzugsweise russische) Firma die Pipeline baut, sondern dieses muss ausgeschrieben werden; und es heißt, dass für die Pipeline dasselbe Prinzip gilt wie für andere: nämlich dass a) Eigentum an der Leitung und Verkauf des Gases nicht von derselben Firma geschehen darf und b) dass die Leitung allgemein (also auch Konkurrenten) offenstehen muss und die dafür zu verrechnenden Gebühren von Behörden überwacht, genehmigt und kontrolliert werden müssen. Russland hat schon lange – konkret schon lange vor dem Beginn von Putins Krimkrieg – gegen die EU-Vorschriften gestänkert, aber es ist nachvollzienbar, dass gerade dieses Machtgehabe Russland keine Sympathiepunkte gebracht hat. Und klar ist auch, dass die EU daran interessiert sein muss, nicht von einem Lieferanten abhängig zu werden. Russland hat versucht, mit allen betroffenen Transitländern Verträge abzuschließen, durch die sich diese Länder gegen EU-recht gestellt hätten; diese Vorgehensweise musste die Kommission zur scharfen Gegenwehr provozieren. Offenbar war South Stream nur profitabel unter der Prämisse, dass es Gazprom eine Monopolstellung auf dem europäischen Markt gebracht hätte.
ebo
2. Dezember 2014 @ 19:02
@Michael
Das mag so sein. Allerdings sind die wettbewerbsrechtlichen Bedenken erst in jüngster Zeit erhoben wurden, nachdem Nabucco gescheitert war. Vorgebracht hat sie Ex-Energiekommissar Oettinger, und nicht der eigentlich zuständige Wettbewerbskommissar Almunia. Merkwürdig auch, dass sich die Kritik auf Bulgarien konzentriert, dabei waren auch italienische und französische Firmen an dem Projekt beteiligt. Durch die Blockade aus Brüssel steht die EU nun vor dem paradoxen Problem, dass Gazprom seine monopolistische Stellung behält, und dass die Lieferung weiter von der geopolitisch schwer mitgenommenen Ukraine abhängt. Nur Oettingers (und Schröders) Heimat Deutschland geht es gold, dank der North Stream-Pipeline durch Polen. Wenn das nicht eine gelungene europäische Energiepolitik ist…
Michael
2. Dezember 2014 @ 19:45
„Durch die Blockade aus Brüssel steht die EU nun vor dem paradoxen Problem, dass Gazprom seine monopolistische Stellung behält“
– wollen Sie dadurch etwa suggerieren, dass Gazprom durch South Stream etwas anderes als sein eigenes Gas hätte verkaufen wollen? Nur die kompromisslose Durchsetzung der EU-Wettbewerbsvorschriften hätte dazu geführt, dass durch South Stream die monopolistische Position verringert worden wäre. Unter diesen Bedingungen war offenbar das Projekt nicht mehr lukrativ.
Und was die in Ihren Worten „geopolitisch schwer mitgenommene[n] Ukraine“ betrifft: die Aggression gegen letztere geht ja von Gazproms Hauptaktionär, dem russischen Staat, aus. Und das soll Laune machen, mit Gazprom oder Putin Geschäfte zu machen? Meinen Sie, dass die EU ihre Handelsbeziehungen mit Russland um die Ukraine herumführen soll, damit Putin dort ungestört seine grünen Männchen wüten lassen kann?
ebo
2. Dezember 2014 @ 20:21
Genau das macht Deutschland längst, mit North Stream
Claus Hiller
3. Dezember 2014 @ 09:53
@Ebo: NorthStream verläuft nicht durch Polen, sondern macht einen schönen großen Bogen drum herum mitten durch die Ostsee. Wenn die Russen irgendjemandem trauen, dann bestimmt nicht den Polen – das war schon zu Zeiten der Sowjetunion so. Schönes Beispiel: Fähren Klaipeda (Memel), Litauen nach Mukrahn (Sassnitz). Wunderschöne Eisenbahn- und LKW-Fähren. Hochmotorisiert, doppelter (russischer und europäischer) Gleisstandard. Konzipiert als wesentliche militärstrategische Versorgungsachse gen Westen zu Zeiten des Kalten Krieges – schön weit ab von Polen!
Knut
3. Dezember 2014 @ 06:57
@Michael Die Ukraine Krise ist von der VSA/Nato inszeniert worden mit Schulterschluss zu den Rechtsradikalen. Weder Putin noch Gazprom konnten bezüglich South Stream diese Entwicklung vorhersehen, obwohl ihnen bei den 6 Milliarden Investitionen der VSA Bedenken hätten kommen müssen.
Was das Gas betrifft, kann die EU ja Ausschreibungen machen, wer ihnen das Gas Gas liefert, wenn es denn günstige Alternativen gibt.
Peter Nemschak
3. Dezember 2014 @ 10:13
Ein durchaus nicht unkritischer, aber seriöser und unemotionaler Artikel „Pipeline Poker“ findet sich in der NZZ vom 3.12.
Claus Hiller
2. Dezember 2014 @ 18:23
. . . dann danken wir doch zunächst mal unserem Gas-Gerd für die politische Weitsicht und seinem Einsatz für den Bau von North-Stream!
Tim
2. Dezember 2014 @ 17:57
Großartig. Die beiden für die Zukunft der EU wichtigsten Staaten haben sich von Europa abgewandt (diese Pipeline-Sache ist dabei natürlich bei weitem nicht der wichtigste Indikator).
Man kann den außenpolitischen Dilettanten in Brüssel und den nationalen Hauptstädten nur gratulieren. Und Washington freut sich, weil die EU weiterhin der wunderbar minderbemittelte Cousin ist, der niemals einen eigenen Willen entwickeln wird.
ebo
2. Dezember 2014 @ 18:01
Huch, ausnahmsweise sind wir mal einer Meinung…
Tim
3. Dezember 2014 @ 09:19
@ ebo
Bei geopolitischen Themen denkst Du in globalen Zusammenhängen, bei wirtschaftlichen Themen oft nicht. Wäre es anders, wären wir öfter einer Meinung. 🙂
Peter Nemschak
3. Dezember 2014 @ 05:28
Die in den Hauptstädten und in Brüssel in Sachen Außenpolitik handelnden Personen sind nicht weniger intelligent als ihre Counterparts bei den Großmächten. Nur, die EU ist und bleibt auf absehbare Zeit bestenfalls ein Staatenbund, um nicht zu sagen, ein Konglomerat von Staaten mit unterschiedlichen Interessen und ideologischen Zugängen zu Politik (illiberale vs. liberale Demokratie) und Wirtschaft (mehr oder weniger Etatismus im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft). Da bleibt nur die Wahl entweder im Geleitzug der USA oder Russlands zu fahren. Für eine eigene Politik bleibt wenig Spielraum. Das mag man bedauern, ist aber b.a.w. Realität. Solange die EU nicht mit einer Stimme spricht, werden die Mitgliedsstaaten von den Großmächten gegeneinander ausgespielt aber sicher nicht ernst genommen werden. Was die Türkei betrifft, kann ich mir schwer vorstellen, dass sie auf Sicht NATO-Mitglied bleiben wird. Was die Diversifikation der Energieversorgung der EU weg von Russland betrifft, wird diese fortschreiten, allerdings nicht by design sondern by default. Trotzdem, besser mit als ohne EU. Die europäischen Nationalstaaten machen es auch nicht besser, werden aber von den Großmächten noch weniger ernst genommen.
Tim
4. Dezember 2014 @ 12:27
@ Peter Nemschak
Ich wüßte nicht, daß es in Brüssel außenpolitische Abteilungen gibt, die sich produktiv mit geopolitischer Analyse beschäftigen. Sowas gibt es ja nicht einmal in Berlin. Frankreich soll sowas immerhin teilweise für Afrika haben.
Dabei wäre es für eine vernünftige Außenpolitik höchst wichtig, auch das Verhältnis von Nicht-EU-Staaten untereinander zu beobachten, um zielführende Entscheidungen treffen zu können.
Was die EU sträflich mißachtet, ist z.B. das sehr komplexe Verhältnis Rußland/China. Oder: Türkei/arabische Welt. Beide würden jede Menge Hebel für die Zukunft Europas bieten, aber die EU wirkt bloß als verlängerter (wenn auch schwacher) Arm der amerikanischen Strategie.
Statt hierfür Mittel freizumachen, ist der finanzielle Schwerpunkt der EU weiterhin wie seit Jahrzehnten: Landwirtschaft.
Abreißen und von Grund auf neu bauen, bitte.
ebo
4. Dezember 2014 @ 12:35
Leider bist Du schlecht informiert, schau mal hier: http://eeas.europa.eu/index_en.htm
Tim
4. Dezember 2014 @ 13:15
@ ebo
Auf dem Papier machen die Außenpolitik, ja.
Vergleiche mit der Arbeit in Washington.
ebo
4. Dezember 2014 @ 15:33
Da sind wir uns dann wieder einig. Außer in Washington denkt man auch in London und in Paris geopolitisch; in Brüssel kaum. Vielleicht wird sich das ja unter Juncker ändern?
Peter Nemschak
2. Dezember 2014 @ 16:32
Mit oder ohne South-Stream ist die Türkei zum Problemfall des Westens geworden, nachdem die laizistische Türkei der Generäle von Erdogan verdrängt wurde. Interessant werden die Auswirkungen auf die NATO sein, der die Türkei angehört. Diese wird sich neu erfinden müssen.
Baer
2. Dezember 2014 @ 16:24
Wer darauf keine Antwort hat sollte seinen Dornröschenschlaf weiter schlafen.
Allerdings wird es höchstwahrscheinlich ein unschönes Erwachen geben.