Pyrrhussieg beim Brexit – Chaostage in Frankreich
Der Brexit-Deal mit der EU hat die britische Regierung ins Chaos gestürzt. Premierministerin May will zwar für den ungeliebten Scheidungsvertrag kämpfen. Doch ihre Chancen stehen schlecht, denn sie hat fast nichts erreicht.
Praktisch alle “roten Linien” der May-Regierung wurden von der übermächtigen Union gebrochen. In geheimen Gesprächen unter Leitung der deutschen EU-Beamtin Weyand setzten sich die EUropäer durch.
Das ist nicht nur meine Einschätzung. „Die EU hat sich zu einem überwältigenden Teil durchgesetzt“, urteilt auch der Europaabgeordnete J. Geier, der die deutsche SPD-Gruppe im Parlament leitet.
In den ersten Jahren nach dem Brexit werde UK in einer ähnlichen Lage wie die Schweiz sein: „Sie übernehmen den Großteil der EU-Regelungen, haben in Brüssel aber nichts mehr zu sagen.“
Ausgewogen ist dies nicht. In Brüssel hält man trotzdem an der Fiktion eines „fairen Deals“ fest. Denn ein Scheitern – und damit einen ungeordneten, chaotischen Austritt – möchte niemand riskieren.
Dabei wächst dieses Risiko von Stunde zu Stunde. Schuld ist nicht nur die dilletantische Verhandlungstaktik der May-Regierung. Auch die falschen Versprechen der Brexiter können nicht alles erklären.
Schuld ist auch die starre Haltung der EU. Schon Anfang Oktober hatte der CDU-Außenpolitiker Röttgen davor gewarnt, die Briten in die Ecke zu treiben. Damals wurde er kaum beachtet, alles hörte auf Kanzlerin Merkel.
Doch nun zeigt sich, dass Röttgen und andere Mahner Recht hatten. Die EU hat mit “ihrem” Hardcore-Deal einen Pyrrhussieg errungen, von dem sich May nicht mehr erholen könnte, Großbritannien auch nicht.
Denn selbst wenn der Brexit nach EU-Plan läuft, steht im Juli 2020 schon die nächste Kraftprobe bevor. Dann geht es um Fischerei-Abkommen, Agrarpolitik und die künftigen Beziehungen, also ums Ganze.
Wenn man sich dann nicht erneut einigt, könnte UK auf unbestimmte Zeit in einer Art Zwischenreich gefangen sein – halb drinnen, halb draußen. Die Schweiz ist besser dran – dabei liegt auch sie gerade mit Brüssel über Kreuz…
Siehe auch: “Top secret: wie der Brexit-Deal zustande kam”
WATCHLIST:
- Gleitet Frankreich ins (Verkehrs-)Chaos ab? Das ist die Frage am 17. November, wenn die “Gilet jaunes” (gelbe Westen) zu Blockaden im ganzen Land aufrufen. Ursprünglich ging es der Bürgerbewegung, die sich spontan in sozialen Netzen organisiert, nur um Protest gegen höhere Dieselpreise. Doch mittlerweile sind Parteien und Gewerkschaften auf den Zug gesprungen – vor allem die Rechtspopulisten wollen Präsident Macron eins auswischen. In der Defensive ist er schon…
Siehe auch “Der Wind dreht gegen Macron – und die EU”
WAS FEHLT:
- Deutsche “Influencer” in der Brüsseler Twitterszene. Gerade einmal 3 Deutsche brachten es in die “TOP 40” des Online-Portals “EurActiv”. Und das auch nur, weil sie auf Englisch tweeten. Dabei gibt es einflußreiche deutsche “Influencer” in Brüssel, – man denke nur an M. Selmayr (EU-Kommission) oder M. Preiß von der ARD. Aber aus unerfindlichen Gründen (die Sprache? das Publikum?) haben sie es nicht auf die Liste geschafft, auch Franzosen wurden fast völlig ignoriert.
Siehe auch “Was sind EU-Influencer?”
Peter Nemschak
16. November 2018 @ 11:56
Ein weicher BREXIT würde ansteckend wirken. Man kann nicht alles gleichzeitig haben wollen. Niemand in der EU hat verlangt, dass das UK die Gemeinschaft verlässt. Würde man beim BREXIT Sonderregelungen akzeptieren, würden als nächstes die Italiener solche beim Euro haben wollen, die Osteuropäer bei der Gewaltenteilung etc. etc. Den britischen Parteien, Labour inklusive, geht es ausschließlich um ihre eigene Macht, nicht um das Wohl ihres Landes.
hyperlokal
16. November 2018 @ 08:33
Hier kommt jemand zu einem anderen Schluß:
https://www.tagesschau.de/kommentar/brexit-eu-131.html
Über Nordirland ist totaler Freihandel mit der EU möglich.
An Arbeitsschutzbestimmungen und Verbraucherschutzregeln braucht sich GB dabei nicht mehr zu halten. EU-Arbeitsplätze sind gefährdert.
Und hey, für unsere New World Order das wichtigste:
Britische Finanzbranche soll Zugang zu EU-Binnenmarkt behalten
http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/brexit-offenbar-einigung-bei-finanzdienstleistungen-zwischen-eu-und-grossbritannien-a-1236170.html
Ich habe das Gefühl, dass diese “May-hat-riesige-Probleme-und-GB-verliert-so-viel”-Diskussion ein riesiges Scheintheater ist, denn offensichtlich sollen ja mit dem Brexit die Möglichkeiten für exzessiven Freihandel wieder ein Stück weiter geöffnet werden und genau dass soll mit der Scheindiskussion vernebelt werden.
ebo
16. November 2018 @ 09:28
Auch mal die FAZ lesen: “Großbritannien wird ähnlich wie Norwegen zum Vasallenstaat”
hyperlokal
16. November 2018 @ 17:45
Ich finde in der FAZ nur einen Vergleich, der wertneutral von einer “Halbmitgliedschaft” spricht wie Norwegen. Oder meinen Sie eine Betrag von Fricke auf seinem Blog? Der ist allerdings ökonomisch ziemlich erratisch und ohne klare Schlussfolgerung, was die “Halbmitgliedschaft” für die normalen Leute bedeutet.
Ländervergleiche sind schwierig, weil immer die Brille, die man dabei aufsetzt, das Ergebnis bestimmt. Aber zumindest nach Auffassung von Leuten von Attac scheint Norwegen mit seiner Halbmitgliedschaft für die “normalen” Leute das bessere Modell abzugeben:
“Norwegen hat sich zweimal per Referendum gegen einen EU-Beitritt entschieden. Heute steht das Land an der Spitze der weltweiten Wohlstandsskala. Welche Rückschlüsse lassen sich daraus für den Brexit ziehen?”
https://makroskop.eu/2018/08/blick-in-den-norden/
Das ist ja genau das Problem. Für die Eliten ist die EU ein Erfolg, aber nur für die.
ebo
16. November 2018 @ 17:51
Der Kurzkommentar, den ich meine, steht im Wirtschaftsteil, ist aber leider nicht online.
Peter Nemschak
17. November 2018 @ 21:45
Um die Finanzbranche mache ich mir die geringsten Sorgen. Sie hat sich auf einen harten BREXIT von allen Akteuren vermutlich am besten vorbereitet. Dafür hat schon die Finanzmarktaufsicht gesorgt, welche den Banken im Genick sitzt (intrusive regulation).