Niger: Frankreich scheitert, EUropa verliert
Mit dem Staatstreich im Niger verliert Frankreich einen weiteren strategisch wichtigen Partner in Afrika. Doch auch Deutschland und die EU tragen großen Schaden davon.
Die Bilder erinnern an die Flucht aus Afghanistan und Sudan: Nach dem Staatsstreich im Niger hat Frankreich drei Flugzeuge nach Niamey geschickt, um Franzosen, Deutsche und andere EU-Bürger auszufliegen.
Schon wieder müssen die EUropäer in aller Eile aus einem Land abziehen, das sie stolz als “Partner” bezeichnet hatten. Schon wieder wird Brüssel von den Ereignissen kalt erwischt und überrollt.
Die “geopolitische” EU-Kommission ist in Urlaub, ihre Chefin von der Leyen weilt auf den Philippinen. EU-Chefdiplomat Borrell droht mit Sanktionen – und klammert sich an die westafrikanische Staatengemeinschaft ECOWAS.
Die wiederum hat nichts Besseres zu tun, als den neuen Machthabern im Niger mit einer Militärintervention zu drohen – was Burkina Faso und Mali als “Kriegserklärung” auffassen. Auch Algerien wies die Drohung empört zurück.
Droht ein Flächenbrand in Nordafrika? Könnte von dieser Krise ausgerechnet Russland profitieren, das schon in Mali zu Hilfe gerufen wurde? Bisher ist das alles Spekulation, die Lage ist sehr unübersichtlich.
Klar scheint nur, dass sich der Putsch gegen Frankreich richtet – und dass auch Deutschland und die EU viel zu verlieren haben. Es geht um geopolitische, militärische und wirtschaftliche Interessen:
- Frankreich verliert weiter an Boden in Afrika. Deutschland muß um seinen Stützpunkt in Niamey bangen, von dem auch die mittlerweile nutzlosen Soldaten aus Mali evakuiert werden.
- Die EU verliert mit Niger einen “strategischen Partner” im Kampf gegen irreguläre Migration aus Afrika. Einige Experten warnen bereits vor neuen Flüchtlingswellen aus dem Süden.
- Auch die europäische Wirtschaft bangt. Laut Euratom deckt die gesamte EU knapp ein Viertel ihres Uranbedarfs mit Importen aus dem Niger. Auch andere Bodenschätze kommen dorther.
Zudem drohen die EUropäer nun aus der gesamten Sahel-Zone vertrieben zu werden, die strategisch wichtig ist. Neben Niger sind auch Mali und Tschad zunehmend feindlich eingestellt.
Gleichzeitig wenden sich diese Länder immer offener Russland zu. Dabei hatte man in Brüssel noch vor kurzem Witze über den “gescheiterten” Russland-Afrika-Gipfel gerissen…
Siehe auch Geopolitik: Scholz und Macron haben die halbe Welt verloren
Heiko
16. August 2023 @ 09:58
Wir sollten als Erstes die Sprache des Imperiums verlassen und nicht von einem Staatsstreich sprechen. Es ist die Fortsetzung des Befreiungskampfes des afrikanischen Volkes, der seit 1990 eine Zwangspause einlegen musste.
ebo
16. August 2023 @ 10:12
Nun ja, ob die Nigerianer “befreit” werden, muß sich erst noch zeigen. Dennoch kann man legitimerweise die Frage stellen, ob es sich hier um einen klassischen Putsch handelt, oder um etwas anderes.
Geht es vielleicht um einen Aufstand des “globalen Südens”? Diese These vertritt Patrick Lawrence in “Niger and the ‘New World Order’”. Lesenswert!
Monika
3. August 2023 @ 11:43
Auch die Bäume der “stets Guten” wachsen nicht in den Himmel. Besonders dann nicht, wenn die Axt an die Wurzeln gelegt wurde. Der Ukrainekrieg und die damit verbundene Kriegs-Propagandamaschinerie hat dem medialen Dauerfeuer zum Trotz, oder gerade wegen des propagandistischen Dauerfeuers, wie mit einem Brennglas den Brand gelegt: Das blinde Vertrauen in den Westen, dass, wie im guten Western immer der ruchlose, für ein ominöses Gute eintretender, dazu noch gutaussehender Cowboy, den Sieg davonträgt, ist erstmalig seit dem WK2 ernsthaft erschüttert. Dass unsere Politchargen dem Vertrauensverlust mit immer mehr Peitsche und Geifer zu begegnen suchen: macht die Sache nicht besser! Mehr von der falschen Medizin lässt den Patienten sicher nicht gesunden!
Nur eine Politik der klaren, und durch Taten hinterlegten Neins, könnte da noch helfen.
Vorallem Nein zu den vielen eingeschliffenen “doppelten Standards”, welche die UN beschädigen. Die UN sind DAS wichtigste Instrument zu Frieden und “Sicherheit” . Gerade vor militärisch übergeschnappten Gods own Countries.
KK
3. August 2023 @ 11:16
@ Monika:
„…wie im guten Western immer der ruchlose, für ein ominöses Gute eintretender, dazu noch gutaussehender Cowboy, den Sieg davonträgt…“
Die für das Gute eintretenden Cowboys sind inzwischen alle an Lungenkrebs verreckt… dafür hat ja der gleiche Edward Bernays gesorgt, der auch die US-Kriegspropaganda erst richtig ins Rollen gebracht hatte. Sozusagen ein „Lucky Strike“.
Helmut Höft
2. August 2023 @ 21:01
Hier noch ein Nachtrag zu Terrororganistionen: https://de.wikipedia.org/wiki/LRA-Konflikt “Lord Resistance Army” (Widerstandsarmee des Herrn): https://de.wikipedia.org/wiki/LRA-Konflikt
Den Chef von dat janze, Joseph Kony, wurde von den USA jahrelang und mit immensem Aufwand “gesucht” … und, Hoppala, nie gefunden! *kopfkratz* Bei der Gelegenheit wuchen weitere Stützpunkte und Strukturen des USAFRICOMhttps://de.wikipedia.org/wiki/United_States_Army#/media/Datei:Unified_Combatant_Commands_map.svg und hier https://de.wikipedia.org/wiki/United_States_Africa_Command auf wun dersame Weise zusammen.
Hauptquartier des USAFRICOM? Nein, nicht Ramstein, Stuittgart!
Ja, man muss ganz schön aufpassen auf unsere Werte und so’n Zeig! 🙁
ebo
2. August 2023 @ 21:07
Es heißt, die USA wollten ihren Drohnen-Flugplatz im Niger auf jeden Fall behalten – Putsch hin, Putsch her. Was schert die Amerikaner das Regime – hier geht es schließlich um Geopolitik (und um die Lufthoheit über Afrika)!
Helmut Höft
2. August 2023 @ 20:49
Noch ein bisschen Hintergrund zu den Rohstoffpreise und der Preisentwicklung hier: https://www.fspiecker.de/2023/08/01/steigende-preise-wie-sich-spekulanten-die-taschen-fuellen/#more-2134
Kommentar: Heil Spekulatius!
@european
Danke fürs Link zu Sonneborn aka andere Seite der Medaille aka Wertewesten®!
european
2. August 2023 @ 16:51
Der unnachahmliche Martin Sonneborn ganz aktuell dazu:
https://www.youtube.com/@MartinSonneborn/community
“„Meine Generation versteht das nicht“, sagt der 35-jährige Staatschef Burkina Fasos, Ibrahim Traoré. „Wie kann Afrika, das über so viel Reichtum verfügt, zum ärmsten Kontinent der Welt geworden sein?“ Ganz einfach, sagt der US-amerikanische Politikwissenschaftler Michael Parenti. Arme Länder sind nicht „unterentwickelt“, sondern „überausgebeutet“ („not underdeveloped but overexploited“).”
Sehr schön auch dies hier:
“P.S.: Einen Ersteindruck ihrer intellektuellen Satisfaktionsfähigkeit gibt die nigrische Militärregierung übrigens selbst. Auf die Ankündigung der USA, jegliche Hilfsgeldzahlung an den Niger einzustellen, habe das Regime – afrikanischen Quellen zufolge – ausrichten lassen, der demokratische Weltmarktführer möchte seine Hilfe behalten und sie für die Millionen Obdachloser in den Vereinigten Staaten verwenden: „Nächstenliebe beginnt zu Hause.””
Insgesamt ein wunderbar scharfer Text, der sich liest wie geschnitten Brot.
Helmut Höft
2. August 2023 @ 12:06
Na gut: Alles Elend dieser Welt hat Russland (Putin) zu veantworten, selbst der Hunger hat nix mit Kapitalismus, IWF, Weltbank & Co. (aka Wertewesten®) zu tun! Und was kann der Richard dafür, dass Dmitri Walerjewitsch Utkin seine Musik liebt und deshalb seine Mördertruppe Gruppe Wagner getauft hat? Wir haben dafür unsere PMSC https://en.wikipedia.org/wiki/Private_military_company, die weltgrößte sogar G4S ist britisch (“Mitarbeiter” 800.000 – natürlich nicht alle Typen à la Wagner-Söldner). Der Typ hier https://de.wikipedia.org/wiki/Erik_Prince kann es aber bestimmt mit dem Wagner-Gründer aufnehmen oder?
Unn nu? Ein Stück von Wagner: https://www.youtube.com/watch?v=VE03Lqm3nbI
KK
2. August 2023 @ 11:46
So ist das, wenn man Kinder (aka Ex-Kolonien), die längst die Volljährigkeit (aka Unabhängigkeit) erreicht haben, noch lange in Unmündigkeit hält: Es kommt der Zeitpunkt, wo sie sich gegen ihren selbsternannten Vormund auflehnen… und die Gelegenheit ist ja jetzt für viele dieser “Kinder” sehr günstig.
Allerdings ist auch zu befürchten, dass, wie in nahezu jedem schmutzigen Spiel, auch hier die USA wieder ihre Drecksfinger mit im Spiel haben.
Es würde höchste Zeit für EUropa, sich endlich von den US-Fesseln zu lösen!
Katla
2. August 2023 @ 09:29
Wer hat Interesse daran, dass die Niger-Benin-Pipeline nicht fertiggestellt wird? Wer hat Interesse daran, dass die irreguläre Migration mit all ihren destabilisierenden Auswirkungen in Europa wächst?
In erster Linie sähe ich da Russland, aber was den Energiemarkt betrifft, wären Indien, Saudi-Arabien und vor allem die USA auch nicht unerhebliche Nutznießer. Kirby hat gerade Russland geradezu in Schutz genommen und die Anschuldigungen der Ukraine (Podoljak), Russland stünde hinter dem Putsch, explizit zurückgewiesen.
bruno neurat-wilson
2. August 2023 @ 08:42
Deutschland muß um seinen Stützpunkt in Niamey bangen …
Davon höre ich zum ersten Mal. Was war das für ein Stützpunkt – welche Aufgaben hatte er – war er militärisch ausgestattet???
Vieen Dank!!
ebo
2. August 2023 @ 09:58
Der Lufttransportstützpunkt Niamey gehört zur MINUSMAMultidimensionnelle Intégrée des Nations Unies pour la Stabilisation au Mali-Mission der Vereinten Nationen und stellt einen Großteil der logistischen Versorgung für die deutschen Kräfte in Mali und im Niger sicher. Egal ob Großgerätaustausch oder Versorgungsgüter, hier kann fast alles bewältigt werden. Die Bundeswehr betreibt einen eigenen Flugbetriebsbereich, die Mike-Ramp. Der Cross-Service weist dem gelandeten A400M seine Stellfläche zu. Auf der Mike-Ramp befindet sich der Bereich des Luftumschlagzuges, der Flugzeuge be- und entladen kann.
Quelle: Die Bundeswehr
ebo
2. August 2023 @ 09:59
Interessant ist auch die die Niger Air Base 201.Das ist ein Drohnenbasisstützpunkt der Vereinigten Staaten in der Nähe von Agadez, im Zentrum von Niger. Die Anlage ist seit November 2019 in Betrieb – und könnte nun ausfallen…
european
2. August 2023 @ 07:38
Ben Norton hat auf seinem YT Kanal heute dazu eine sehr gute Recherche eingestellt und beleuchtet die Hintergründe sehr genau. Man darf raten, wer auch hier wieder seine Finger im Spiel hat, warum Blinken im März in Niger war, was das alles mit der Drohnenbase in Niger zu tun hat und warum der reichste Kontinent der Welt, Afrika, die ärmste Bevölkerung hat.
https://youtu.be/JZ_5nuoB940
Nicht zu vergessen: Wir sind die Guten, die mit den Werten und der regelbasierten Weltordnung. 😉
Thomas Damrau
2. August 2023 @ 07:32
Faszinierend ist vor allem die grobe Fehleinschätzung der aktuellen Lage in Westafrika. Es wird geputscht und die EU ist sowohl in Mali als auch in Niger überrascht: „Wir sind doch so gute Freunde des Volkes von XY, wir arbeiten mit dem lokalen Militär zusammen …. jetzt putschen die und das Volk geht nicht mal dagegen auf die Straße.“
Ich vermute, dass die EU sich auch bezüglich der Lage in vielen anderen Ländern täuscht.