Offenbarungseid in der Außenpolitik

Was bleibt von der EU-Politik der vergangenen Woche? Ein missglückter Neustart in der Flüchtlingspolitik, ein abgesagter EU-Gipfel – und ein Offenbarungseid in der Außenpolitik.

Es sollte die Woche werden, in der die EU die Reihen schließt und die „Sprache der Macht“ lernt. Den jahrelangen Streit um die Flüchtlingspolitik wollten die 27 hinter sich lassen, und dem aggressiven – und zunehmend imperialen – Gehabe von Sultan Erdogan endlich Einhalt gebieten.

Doch es kam anders. Zum ersten Mal in der EU-Geschichte wurde ein (eigens für die Türkei angesetzter) Sondergipfel abgesagt. Ratspräsident Michel begab sich in Corona-Quarantäne; doch vertreten lassen wollte sich der Belgier nicht. Also wurde der Gipfel um eine Woche verschoben.

Das passt all jenen in den Kram, die keine Türkei-Sanktionen wollen, sondern einen neuen Flüchtlingsdeal mit Erdogan. Der deutsche Ratsvorsitz um Kanzlerin Merkel ist auf dieser Linie, die deutsche Kommissionspräsidentin von der Leyen rein zufällig auch. Sie nutzten die Pause, um bei Erdogan zu antichambrieren.

Im Ergebnis wird es nun wohl doch keine Türkei-Sanktionen geben – sondern eine „positive Agenda“ für die Türkei, die neben einem neuen Flüchtlingsdeal mit Milliardenhilfen auch eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit vorsieht. Genau darauf hat Merkel hingearbeitet; sie liefert Erdogan eine Steilvorlage.

Ziemlich bedröppelt steht dagegen Zpyern da, das mit aller Gewalt versucht hat, Sanktionen gegen Erdogan durchzudrücken, und dafür sogar die geplanten EU-Strafen gegen Belarus blockierte. Den Zyprioten wird nun der Schwarze Peter für alles zugeschoben, was in der Außenpolitik schief läuft.

„“Obwohl es den klaren Willen gibt, diese Sanktionen zu verhängen, war das heute nicht möglich, weil die dafür nötige Einstimmigkeit nicht erreicht wurde“, klagte der Außenbeauftragte Borrell. „Hier steht die Glaubwürdigkeit der EU auf dem Spiel.“ Für diesen Offenbarungseid soll Zypern büssen.

Vor allem der deutsche EU-Vorsitz schäumt. Dabei haben sich Merkel und Außenminister Maas die Blamage selbst zuzuschreiben – weil sie Belarus hart, die Türkei dagegen sanft anfassen. Doch darüber spricht man in Berlin nicht so gern. Wer es ennoch anmerkt, wird des „Whataboutism“ beschuldigt

Wesentlich freundlicher wird die Visegrad-Gruppe behandelt. Die blockiert zwar auch, und das schon seit Jahren, bei den Themen Rechtsstaat und Flüchtlinge. Dennoch lud sie von der Leyen zu einem netten Gespräch nach Brüssel, um für ihren neuen Migrationspakt zu werben.

Dieser Pakt kommt den Osteuropäern weit entgegen. So soll es künftig eine „Solidarität à la carte“ geben – mit freier Wahl zwischen der Aufnahme von Flüchtlingen – und ihrer Ausweisung. Es ist ein Kniefall vor dem ungarischen Regierungschef Orban und dessen Politik.

Dummerweise geht das Orban aber immer noch nicht weit genug. Er lehnt den Pakt ab und fordert die totale Abschottung der EU. Der erhoffte Neustart für die Flüchtlingspolitik ist wohl eher ein Flop…

Siehe auch „Offenbarungseid in der Flüchtlingspolitik“. Weitere Artikel zur Flüchtlingspolitik hier.