Pranger für alle, Strafe für keinen?

Wie geht es weiter mit den Rechtsstaats-Verfahren gegen Polen und Ungarn? Die neue Kommissionschefin will den Osten schonen, die alte Kommission will alle EU-Staaten einem Werte-Check unterziehen. Von Strafen ist keine Rede mehr.

Polen und Ungarn sollen nicht mehr allein am Brüsseler Pranger stehen. Künftig könnten alle 28 EU-Staaten regel-mäßig auf Verstöße gegen Rechtsstaat und Demokratie untersucht werden. Dies hat die (alte) EU-Kommission vorgeschlagen – auch um Zweifel auszuräumen, dass die neue Kommissionschefin Ursula von der Leyen (CDU) künftig ein Auge zudrücken und vor allem Polen schonen könnte.

Die Zweifel an ihrer Standfestigkeit hatte von der Leyen selbst geweckt. Vor ihrer Wahl wollte sie sich zunächst nicht auf ein hartes Vorgehen gegen Polen festlegen. Dann kündigte sie zwar an, bei Verstößen gegen den Rechtsstaat durchzugreifen. Bei ihrer Wahl am Dienstag stützte sie sich jedoch auch auf Stimmen der polnischen Regierungspartei PiS, die den Rechtsstaat gezielt aushöhlt.

Seither machen in Brüssel Gerüchte über einen möglichen „Deal“ mit Warschau die Runde. Genährt werden sie durch  Berichte über Verhandlungen in letzter Minute, die CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak und Bundeskanzlerin Angela Merkel geführt haben sollen, um Leyens Wahl im Europaparlament zu sichern. Allerdings ist unklar, welche Gegenleistungen Berlin und Warschau vereinbart haben.

Die Zweifel haben auch ein Treffen der Europaminister am Donnerstag in Brüssel überschattet. Europastaatsminister Michael Roth (SPD) forderte von der Leyen auf, bei der Rechtsstaatlichkeit ernst zu machen. “Wir erwarten, dass diese zentralen Punkte, die die gewählte Präsidentin vor-geschlagen hat, auch elementarer Bestandteil des Arbeitsprogramms der nächsten Kommission werden”, sagte er.

Allerdings tut sich nicht nur die EU-Kommission schwer damit, die Grundwerte zu sichern. Auch der Rat, die Vertretung der 28 EU-Länder, hat versagt. So wird das laufende Artikel-7-Verfahren gegen Polen, bei dem es um die umstrittene Justizreform geht, immer weiter verschleppt. Die Minister ermahnen die Regierung in Warschau zwar regelmäßig, doch Sanktionen sind nicht in Sicht.

Die EU-Kommission hat deshalb vorgeschlagen, die Straf-verfahren zu straffen. Nötig seien “klare Verfahrens-regeln“, welche “den Entscheidungsprozess verbessern”. Bisher laufen Rechtsstaats-Verfahren in drei Stufen, erst in der letzten Stufe sind Sanktionen möglich. Allerdings wurde gegen Polen und Ungarn bisher noch nicht einmal die erste Stufe erreicht, die bloß eine Warnung vorsieht…

P.S. In ihrem ersten Interview nach der Wahl hat VdL mehr Rücksicht auf die Osteuropäer angemahnt. “Es ist mir wichtig, die Debatten zu versachlichen”, sagte sie der “Süddeutschen Zeitung”. Ein harter Kurs klingt anders…