Pavels Agenda, “Imperial Russia” – und Kiew wird Hauptstadt der EU
Die Watchlist EUropa vom 30. Januar 2023 – Heute mit dem neuen Staatschef Pavel in Tschechien und seiner amerikanischen Agenda, einer Konferenz zum “imperialen Russland” in Brüssel und dem EU-Ukraine-Gipfel in Kiew.
Die Erleichterung war groß, als am Wochenende der Sieger der Präsidentschaftswahl in Prag bekannt gegeben wurde: Mit Ex-General Petr Pavel wird Tschechien künftig von einem erklärten Transatlantiker und Pro-Europäer geführt. Tschechien werde wieder berechenbar, heißt es in Brüssel.
Der Populist Babis wurde besiegt, Ungarns Rechtsausleger Orban wird isoliert. Das heißt aber nicht, dass nun Ruhe einkehren würde: Als erste Amtshandlung will Pavel der Ukraine und Taiwan (!) mehr Unterstützung zusagen. Er folgt der US-Agenda – und geht auf Konfrontionskurs mit Russland und China.
Noch weiter gehen die Rechtskonservativen von der (polnisch dominierten) EKR-Fraktion im Europaparlament: Sie halten am Dienstag im Brüsseler Parlamentsgebäude eine Konferenz zum Thema “Imperial Russia” ab. Dabei geht es um eine “Re-Föderalisierung” der Russischen Föderation – also ihre Zerschlagung.
Ein Panel spricht über “Deimperialisation and Decolonisation. The Prison of Nations after the war”, ein weiteres über “Western Policy Towards Russia – Beyond the Status Quo”. Offenbar zielen die Gastgeber darauf ab, jetzt schon über ein EUropa ohne Russland nachzudenken. Das wäre Revisionismus auf westliche Art…
Das wichtigste Ereignis der Woche ist aber ohne Frage der erste EU-Ukraine-Gipfel in Kiew. Ob er wie geplant am Freitag stattfinden kann, ist angesichts neuer russischer Attacken unklar. EU-Kommissionschefin von der Leyen hält aber daran fest, die halbe Kommission mit ins Kriegsgebiet zu nehmen (womöglich an einem anderen Tag).
Hauptstadt für einen Tag
___STEADY_PAYWALL___
Damit wird Kiew zur Hauptstadt der EU, zumindest für einen Tag. Präsident Selenskyj versucht schon jetzt, die EU-Agenda zu setzen – neben immer mehr Waffen fordert er nun auch noch mehr Geld sowie einen schnellen EU-Beitritt. In zwei Jahren wolle man Mitglied werden, erklärte Premier Shmyhal.
Eine unverschämte und unrealistische Forderung, wenn man sich die Lage in der Ukraine anschaut. Das Land wird gerade von Korruptions-Skandalen und einer wohl auch politisch motivierten Säuberungs-Welle erschüttert, es will die EU und die Nato in den Krieg ziehen und kann nicht auf eigenen Beinen stehen.
Normalerweise müsste es deshalb umgekehrt laufen: Selenskkyj und Shmyhal kommen zum Rapport nach Brüssel, die EU legt die Bedingungen für den Beitritt fest – wozu auch ein Ende des Krieges zählen muß. Doch die Lage ist nicht normal, im “Krieg gegen Russland” gelten keine Regeln mehr...
Mehr Newsletter hier
P.S, Reuters spricht wegen Pavels Gespräch mit Taiwan’s President Tsai Ing-wen von einem “diplomatischen Durchbruch”. Denn bisher vermeiden die meisten EU-Staaten den direkten Staat mit der Insel, die formal und offiziell weiter zu China gehört…
Thomas Damrau
30. Januar 2023 @ 15:54
Die Tschechen hatten leider nur die Wahl zwischen streng konservativ (Pavel) und zwielichtig (Babis) – damit teilen sie das Schicksal der Franzosen (Macron oder LePen), der US-Amerikaner (Biden oder Trump).
Allerdings ist verwunderlich, dass Pavel – der im Vergleich zu Biden oder Macron laut tschechischer Verfassung eine sehr viel bescheidenere Rolle spielt – am Anfang die Rollen des Regierungschefs und des Parlaments gleich mitübernimmt. Vielleicht hat er ja im Eifer des Gefechts die tschechische mit der ukrainischen Verfassung verwechselt … kann schon mal vorkommen.
KK
30. Januar 2023 @ 14:36
@ european:
„Aktuell ist uebrigens auf Telepolis ein sehr interessanter Artikel ueber die Selbstreflexion der Zeitung die ZEIT ueber die Fehler, Versaeumnisse und Missinformationen der Corona Pandemie….Ich bin nicht sicher, ob man sich aehnliches mit dem Ukraine-Konflikt trauen wird. “
Ich fürchte, wenn der Ukraine-Konflikt weiter von der NAhTOd derart eskaliert wird, wird es keine Gelegenheit mehr für Selbstreflektionen geben.
european
30. Januar 2023 @ 14:00
Dieses Wochenende habe ich mir zwei Dokus von Oliver Stone angesehen, die ich jedem nur empfehlen kann, damit man nur ansatzweise versteht, was fuer ein Land die Ukraine ist und wie die Gesellschaft tickt. Das scheint irgendwie niemandem wirklich klar zu sein.
Da ist zum einen Ukraine revealed. Voll gepackt mit Informationen, Interviews mit Investigativjournalisten zu den Schuessen auf dem Maidan, auch Interviews mit Putin. Kurz gesagt, die andere Seite, von der hier niemand etwas hoeren will. Ist ja alles Russenpropaganda. Aber wohin uns diese einseitige Information bringt, koennen wir jeden Tag sehen. Aktuell ist uebrigens auf Telepolis ein sehr interessanter Artikel ueber die Selbstreflexion der Zeitung die ZEIT ueber die Fehler, Versaeumnisse und Missinformationen der Corona Pandemie. Die Zweifler waren wohl doch keine Covidioten Ich bin nicht sicher, ob man sich aehnliches mit dem Ukraine-Konflikt trauen wird.
Die zweite Doku ist “Ukraine on Fire”, auch von Oliver Stone, diesmal mit sehr viel mehr geschichtlichem Hintergrund auch ueber den Aufstieg der Nazis. Hier bin ich allerdings auch nur bis zur Haelfte gekommen. Die 2. Haelfte sehe ich mir heute nachmittag an. Aber auch diese Doku sollte sich jeder zu Gemuete fuehren. (Auch wenn es wehtut, weil es der eigenen Meinung widerspricht)
Aktuell nehmen die ehemals autokratisch regierten Laender in der EU die Fuehrung. Das sollte jedem zu denken geben, denn offensichtlich ist Demokratie nicht etwas, was man einfach nur einfuehrt und gut is, sondern leben und erfahren muss. Ein gutes Beispiel dafuer ist gerade Russland, dass durch Gorbatschov die Einfuehrung der Demokratie als sehr negative Erfahrung durchlebt hat. Peter Scholl-Latour hat darueber berichtet. Viele sind verarmt, weil die alten Strukturen nicht mehr gehalten haben, danach kam der versoffene Jelzin, der das Land und seine Schaetze einfach nur billigst verscherbelt hat und damit den besten Boden fuer das Oligarchentum gelegt hat.
Wenn die Deutschland und Frankreich weiterhin durch mangelnde Leadership den Ex-Autokratien das Ruder ueberlassen, wird die EU nicht mehr das sein, was sie war. Wir haengen aber drin, in diesem Hotel California (You can check in any time you want, but you may never leave). Ausserdem sollte man sich gruendlichst ueberlegen, weiterhin solche Laender uebereilt aufzunehmen, nur weil es angeblich Putin aergert. Man sollte im Auge behalten, welche Mehrheiten man damit schafft und wohin die europaeische Gemeinschaft abdriftet, wenn sich dieser Trend fortsetzt.
Beide Dokus findet man (noch) auf youtube. Interessant ist, dass YT ein Warnschild vor diese Videos geschaltet hat, i.d.S. dass man sich durch den Inhalt “gestoert” fuehlen koennte 😉
KK
30. Januar 2023 @ 13:43
“EU-Kommissionschefin von der Leyen hält aber daran fest, die halbe Kommission mit ins Kriegsgebiet zu nehmen”
Ich wünschte, die würden gleich dort bleiben…
KK
30. Januar 2023 @ 13:42
“Als erste Amtshandlung will Pavel der Ukraine und Taiwan mehr Unterstützung zusagen.”
Wie kann das sein, wo doch laut gestriger “tagesschau” der Präsident in Tschechien ähnlich wie sein Amtskollege in Deutschland hauptsächlich nur repräsentative Funktionen habe?