EU-Parlamentschef gegen EU-Wahllisten
Soll es bei der Europawahl 2019 erstmal europaweite Wahllisten geben – und nicht nur nationale, wie bisher? Frankreichs Macron ist dafür, Kommissionschef Juncker auch. Doch nun stellt sich ausgerechnet Parlamentspräsident Tajani dagegen.
„Ich zweifle an der Umsetzbarkeit von Macrons Vorschlag“, sagte Tajani dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Man müsste dafür 27 nationale Wahlgesetze ändern und wahrscheinlich auch die EU-Verträge.
„Das sehe ich zurzeit nicht“, betonte der konservative Politiker der italienischen Partei Forza Italia. Eigentlich merkwürdig. Müsste ein EU-Parlamentschef nicht alles tun, um EU-Wahllisten zu fördern!?
Vielleicht sollte sich Tajani einfach ‚mal in seinem eigenen Haus umsehen. Denn dort kann man ihm erklären, wie es gehen könnte – wenn man nur wollen würde.
So hat der EU-Abgeordnete J. Leinen (SPD) ein umsetzbares Konzept für europaweite Wahllisten ausgearbeitet. Leinen würde es sicher auch gerne Tajani erklären. Doch will der es überhaupt wissen?
Offenbar nicht. Manches spricht dafür, dass Tajani nur den Ausputzer für CDU und CSU spielt, die auch – rein zufällig – gegen europaweite Listen sind. Vermutlich, weil sie damit an Macht verlieren würden.
Denn bisher geben CDU und CSU bei der konservativen Parteienfamilie EVP den Ton an, der natürlich auch Tajani angehört. Und die EVP wiederum gibt im Europaparlament den Ton an.
Es geht also wieder einmal um Machterhalt. Was sagt eigentlich Kanzlerin Merkel dazu? Klammert auch sie sich an die alten nationalen Regeln? Oder will sie mehr Demokratie wagen – wie Macron?
P.S. Ein ausführliches Interview mit J. Leinen zu den Europa-Listen folgt am Dienstag in diesem Blog.
Kleopatra
30. Oktober 2017 @ 20:05
Wenn für „europaweite Listen“ das Prinzip der freien Wahl konsequent gelten würde, bräuchten große deutsche Parteien nur eigene Listen einzureichen, und auch wenn diese außerhalb Deutschlands keine Stimmen bekämen, wären sie nicht gering im EP vertreten. D.h.: transnationale Listen würden gegenüber der jetzigen Lösung die großen Staaten bevorzugen.
Wollte man dieses Ergebnis verhindern, müsste man die Konstruktion der Listen nach Länder- und andreren Proporzen so stark reglementieren, dass von einer freien Wahlentscheidung kaum mehr gesprochen werden könnte.
Übrigens sind die großen Fraktionen bzw. Parteienfamilien auf EU-Ebene ideologisch äußerst heterogen. Damit wird es aber schwer möglich, sich für eine „europäische“ Partei zu entscheiden. Ist eine Stimme für die EVP eine für eine merkelmäßige CDU oder Orbáns Fidesz? Was haben die Sozialdemokraten gemeinsam (eine ihrer Mitgliedsparteien war mehrere Jahre aus der Fraktion ausgeschlossen, weil sie zu Hause mit einer rassistischen Partei koalierte)? Wie sollen Kandidaten einen Wahlkampf außerhalb ihres Heimatlandes führen, wo sie im buchstäblichen Sinn die Sprache ihrer Wähler sprechen?
Peter Nemschak
30. Oktober 2017 @ 14:56
Genauer gesagt nicht mehr sondern mehr supranationale Demokratie wagen. Die Behauptung, dass Tajani sich in dieser Sache auf die Mehrheit der EVP-Abgeordneten stützt, wäre untersuchenswert. Nachdem die Wähler eher Parteien als Kandidaten, die sie zumeist nicht kennen, wählen, könnten die Wahlen auf Grundlage europaweiter Wahllisten durchaus das Spektrum der nationalen Parteien abbilden.