Orban lässt es krachen (das Parlament auch)


Ungarn fordert den Kopf von EU-Kommissarin Jourova, die EU-Kommission startet ihren neuen “Rechtsstaats”TÜV” – und die deutsche Corona-Warn-App soll europäisch werden (nicht französisch): Die Watchlist EUropa vom 30. September 2020.

Aufruhr im Europaparlament, Empörung in der EU-Kommission: Der Streit um den Rechtsstaat in Ländern wie Ungarn oder Polen eskaliert und droht, auch das neue EU-Budget und den „historischen“ Corona-Hilfsfonds zu beschädigen.

Für den größten Paukenschlag sorgte der ungarische Premierminister Viktor Orban. Er verlangt den Rücktritt der Vizepräsidentin der EU-Kommission, Vera Jourova, die für die Grundwerte und den Rechtsstaat zuständig ist.

“Indem die Vizepräsidentin Ungarn eine “kranke Demokratie“ nannte, hat sie Ungarn und die ungarischen Menschen beleidigt”, schrieb der rechtsnationale Politiker in einem Brief an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Die CDU-Politikerin wies Orbans Forderung jedoch umgehend zurück. Eine Sprecherin verwies am Dienstag in Brüssel darauf, dass Jourova das “vollste Vertrauen” der Kommissionschefin habe. Einen Rücktritt schloß sie aus.

Doch damit ist der Streit nicht beendet, im Gegenteil. Orban hat nämlich noch eine weitere Front aufgemacht – und mit einem Veto gegen das neue EU-Budget und den 750 Milliarden Euro schweren Corona-Hilfsfonds gedroht.

Auch hier geht es um Demokratie und Rechtsstaat. Am Wochenende hatte der deutsche EU-Vorsitz einen Verordnungs-Entwurf vorgelegt, der diese beiden Themen mit dem künftigen EU-Budget und Finanzhilfen aus Brüssel verknüpft.

Geld aus dem Gemeinschaftshaushalt soll demnach künftig nur noch fließen, wenn die Prinzipien von Demokratie und Rechtsstaat gewahrt werden. Wer die europäischen Grundwerte verletzt, soll dies mit Kürzungen bezahlen.

Doch der Entwurf des deutschen Ratsvorsitzes ist gegenüber dem ursprünglichen Vorschlag der EU-Kommission deutlich abgeschwächt. Kürzungen bei den EU-Hilfen wären demnach nur noch möglich, wenn sich Verstöße gegen den Rechtsstaat direkt auf die Mittelverwendung auswirken.

Orban müsste sich das Geld aus Brüssel also unter Umgehung aller EU-Regeln selbst in die Tasche stecken und die ungarische Justiz daran hindern, einem solchen Missbrauch nachzugehen. Und das müsste dann auch noch auffliegen.

Ein allgemeiner, schleichender Abbau von Rechtsstaat und Demokratie fällt hingegen nicht mehr unter den neuen Rechtsstaats-Mechanismus. Selbst offensichtliche Interessenskonflikte werden darin nicht mehr erfasst. Zudem wurden die Hürden für Strafen deutlich erhöht.

“Feige und prinzipienlos”

Dem Europaparlament passt die ganze Richtung nicht. Die Bundesregierung sei Orban viel zu weit entgegengekommen, kritisieren Abgeordnete aller Fraktionen. Dies sei ein Zeichen von “Feigheit und Prinzipienlosigkeit”.

Für Unmut sorgt auch, dass Kanzlerin Angela Merkel zwar auf Orban zugegangen ist, aber nicht zu Kompromissen mit dem EU-Parlament bereit scheint.

Ob die Abgeordneten nun ihre Drohung wahrmachen und das EU-Budget verzögern oder ablehnen, ist jedoch noch offen. Die Verhandlungen gehen weiter – unter Hochdruck und mit wüsten Beschimpfungen.

Siehe auch “Erpressung mit Corona-Hilfen” und “Update: Wir lassen uns nicht erpressen”

Watchlist

Am Mittwoch stellt die EU-Kommission nun doch ihren neuen “Rechtsstaats-TÜV” vor. Zunächst hieß es, Kommissionschefin von der Leyen würde kneifen und eine Woche länger warten. Doch nun hat sie es wohl eilig, Orban & Co. den Wind aus den Segeln zu nehmen. Der Bericht wird nicht nur Ungarn oder Polen unter die Lupe nehmen, sondern alle 27 EU-Staaten einschließlich Deutschland. Brüssel findet überall ein Haar in der Suppe, wetten?

Was fehlt

Die britische Unverfrorenheit. Trotz wiederholter Warnungen aus Brüssel hat das britische Unterhaus das umstrittene Binnenmarktgesetz von Premier Johnson verabschiedet. Die Abgeordneten stimmten am Dienstagabend mit 340 zu 256 Stimmen für die Vorlage. London übergeht damit auch ein Ultimatum der EU, das am 30. September abläuft. Dennoch sollen die Verhandlungen über ein Post-Brexit-Abkommen weitergehen… – Mehr hier

Das Letzte

Der 500-Euro-Schein ist schon weg, muß nun auch noch das Kleingeld dran glauben? Darüber dürfen die EU-Bürger in einer neuen Umfrage mitentscheiden. Es geht um die Frage, ob Ein- und Zwei-Cent-Münzen sinnvoll sind oder besser abgeschafft werden sollten. Die Befragung läuft fast vier Monate – man darf gespannt sein, ob sie mehr Erfolg hat als die Umfrage zur Abschaffung der Sommerzeit. Denn die hat gar nichts gebracht…

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