Fortgeschrittene Orbanisierung

Der Rechtsruck in der EU hält an. Nach Deutschland und Italien hat sich dies nun auch wieder bei der Wahl in Ungarn gezeigt. Dort fährt Regierungschef Orban einen neuen, möglicherweise entscheidenden Sieg ein.

Orbans rechtsnationale Fidesz-Partei könnte mit fast 50 Prozent der Stimmen nämlich wieder die verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit erreichen. Die rechtsextreme Jobbik kommt auf rund 20 Prozent.

Folgt man den etablierten Medien, so schrillen deshalb in Brüssel alle Alarmglocken. Doch dem ist nicht so. Die Orbanisierung ist weit fortgeschritten; sie hat längst die EU und ihre Institutionen erreicht.

So findet der Wahlverein von Kanzlerin Merkel, die Europäische Volkspartei EVP, nichts dabei, Fidesz in der Fraktion zu halten. Fraktionschef Weber (CSU) wünschte sich sogar, dass Orban wiedergewählt wird.

Auch Kommissionschef Juncker hat mit dem ungarischen Rechtsausleger keine Probleme. „Hallo Diktator“, begrüßte er ihn einmal freudestrahlend. Gegen das Brüssel-Bashing aus Budapest unternimmt Juncker nichts.

Der Grund liegt auf der Hand: Es geht um die Macht. Ohne die Fidesz würde die EVP ihre Mehrheit im Europaparlament verlieren, und ohne Orban könnte die CSU nicht ihre Klientel in Bayern begeistern.

Es gibt aber noch einen anderen Grund: In der Flüchtlingspolitik hat Orban die Hegemonie erlangt, wie „Politico“ schon im letzten Jahr analysierte. Die EU-Kommission klagte zwar gegen ihn – mit Erfolg.

Doch da ging es um die Quoten aus dem Jahr 2015, die mit einer Notlage begründet wurden und inzwischen ausgelaufen sind. Neue Quoten wird es wohl nicht geben – denn Orban hat viele Anhänger in der EU.

Wie weit die Orbanisierung wirklich geht, dürfte sich beim EU-Gipfel im Juni zeigen. Denn da soll es um die Reform der Flüchtlingspolitik gehen. Ein liberaler Kurs zeichnet sich nicht ab…

Siehe auch „Ein böser Verdacht“

WATCHLIST!

  • EU-Kommissionsvize Timmermans reist am Montag nach Warschau, um über den Rechtsstaat und das laufende EU-Verfahren zu sprechen. Zuletzt hatte die Regierung in Warschau Kompromissbereitschaft signalisiert. Doch die EU-Kommission traut dem offenbar nicht: Sie will EU-Hilfen künftig vom Rechtsstatt abhängig machen…

Siehe auch „Wie Oettinger mit EU-Geldern dealt“

WAS FEHLT?

  • Eine Reaktion auf den mutmasslichen Chemiewaffenangriff auf die syrische Rebellen-Hochburg Duma. Die EU erklärte zwar, sie halte die Berichte für glaubwürdig, wonach das Assad-Regime verantwortlich sei. Doch zunächst gab es keine Repressalien – auch nicht aus Frankreich, das mit militärischer Vergeltung gedroht hatte.
  • Eine Reaktion von Kanzlerin Merkel auf die Freilassung des Katalanen-Führers Puigdemont. Monatelang hatte Merkel der spanischen Zentralregierung den Rücken gestärkt, bis zuletzt hatte sie den „Rechtsstaat“ in Spanien gelobt. Doch nun, da diese deutsche Justiz die spanischen Staatsanwälte desavouiert, schweigt die Kanzlerin.

Siehe zu diesem Thema auch „Klatsche für Madrid und Berlin“