Nun sind alle auf Schlingerkurs

Eine Woche vor dem offiziellen Brexit-Datum am 29. März taumelt nicht nur die britische Premierministerin Theresa May. Auch die EU ist auf Schlingerkurs. Jeder sagt etwas anderes, manche widersprechen sich sogar selbst. Auch die neuen Zeitvorgaben stiften Verwirrung.

Zum Beispiel Ratspräsident Donald Tusk. Erst brachte er einen langen Aufschub ins Gespräch – bis Ende des Jahres oder gar 2020. Dann sagte er, UK müsse vor Ende Juni austreten. Zuletzt ließ der Pole verlauten, eine kurze Verlängerung sei aber nur möglich, wenn vorher das EU-Austrittsabkommen ratifiziert wird.

Auch Kanzlerin Angela Merkel eiert rum. Einerseits gibt sie sich hart: Bis zur letzten Minute wolle sie um das Brexit-Abkommen kämpfen. Doch schon im nächsten Atemzug sagt sie, man müsse nun „behutsam vorgehen“. „Unsere Spielräume sind begrenzt, aber wir sind guten Willens.“ Will sie den Deal aufschnüren?

Demgegenüber betonte Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron, dass es einen Aufschub nur dann geben könne, wenn London das Austrittsabkommen ratifiziert. „Bei einem negativen Votum bewegen wir uns auf einen No Deal zu“, sagte er – also auf den ungeregelten Brexit, den Merkel unbedingt vermeiden will.

Bei allen Entscheidungen sei zu beachten, das die EU handlungsfähig bleiben müsse, so Macron. Dabei ist die Handlungsfähigkeit längst verloren. Die Europäer finden keine gemeinsame Linie zu Trumps Handelskrieg – und auch nicht zur chinesischen Seidenstraßen-Initiative. Zu China tobt sogar ein Machtkampf.

Am Schlimmsten sieht es aber in UK aus. May ist nun zur Beschimpfung des britischen Parlaments übergegangen – weil das sich standhaft weigert, den EU-Deal abzusegnen. Bei so viel (Ver-)“Achtung“ für die Demokratie ließ es sich Oppositionsführer Jeremy Corbyn nicht nehmen, auch noch nach Brüssel zu reisen…

Die Gespräche mit EU-Politikern seien positiv verlaufen, sagte Corbyn hinterher. Er sei davon überzeugt, dass der Vorschlag der Labour-Partei einen chaotischen Brexit verhindern könne. Dafür müßte Corbyn allerdings erst noch May stürzen. Oder die EU müsste sie zum Amtsverzicht drängen, so wie früher einen gewissen Berlusconi.

Doch danach sieht es derzeit nicht aus. Die EU-27 hängt dann doch zu sehr an ihrer Drama-Queen – schließlich ist May der seidene Faden, an dem der – weitgehend von Brüssel geprägte – EU-Austrittsvertrag hängt…

P.S. Es scheint, dass sich die EU-27 auf eine kurze „Nachspielzeit“ einigen könnten – bis 22. Mai, also einen Tag vor Beginn der Europawahl. Aber nur, wenn May nächste Woche doch noch den umstrittenen Austrittsvertrag durchs Unterhaus bringt. Andernfalls droht am 29. März der „No deal“ – oder ein Sondergipfel. Doch was sollte die EU denn dann anbieten – vielleicht doch noch die lange Verlängerung? Wie gesagt, auch Brüssel ist auf Schlingerkurs…

P.P.S. Auch gegen den 22. Mai gibt es Bedenken. Nachdem die EU-Chefs ihren Zeitplan umgeworfen haben, um noch länger über den Brexit zu diskutieren, ist nun der 7. Mai im Gespräch – womöglich ohne Konditionen. Auch ein längerer Aufschub bis Ende 2019 ist wieder im Gespräch. Dieser Gipfel gleicht – Stand 21 Uhr – einem Tollhaus!

Siehe auch „Brexit-Chaos: Plötzlich bröckelt die Einheit“