Notre Dame und die vernachlässigte Kultur

Europa steht unter Schock. Der verheerende Großbrand in der Kathedrale Notre-Dame de Paris bewegt die Menschen auch noch Tage nach der Katastrophe. Sogar die EU zeigt sich betroffen – dabei hat sie die Kultur sträflich vernachlässigt.

Daran erinnert die französische Tageszeitung „Le Monde“ in einem lesenswerten Beitrag. Gerade einmal 8 Millionen Euro hat die EU für das kulturelle Erbe bereitgestellt – für 28 Länder und 7 Jahre! „Damit kann man keine Kathedralen wieder aufbauen“, schließt der Artikel. Wohl wahr. Die Kultur war immer ein „parent pauvre“ der europäischen Einigung, weshalb Kulturschaffende auch heute noch mit der EU fremdeln.

Schon EU-Gründervater Jean Monnet soll gesagt haben: „Wenn ich noch einmal von vorne beginnen könnte, würde ich mit der Kultur beginnen.“ Das Zitat ist zwar umstritten, doch es verweist auf den wunden Punkt.

Statt auf die gemeinsame Kultur hat man die Europäische Gemeinschaft auf die konkurrierende Wirtschaft gegründet. Zunächst ging es noch darum, die Konkurrenz der Nationalstaaten in friedliche Bahnen zu lenken.

Kohle und Stahl wurden zusammengelegt, um Deutschland an einem neuen Wettrüsten zu hindern. Doch das hat nicht lange vorgehalten. Später wurde – auf deutsches Drängen – die Konkurrenz zum Grundprinzip erhoben.

Die Kultur blieb auf der Strecke – wie man auch am EU-Kulturbudget sieht, das lächerlich schwach finanziert ist. Neben dem Geld fehlt auch der politische Wille. Ausgerechnet ein Ungar wurde zum Kulturkommissar ernannt.

Tibor Navracsisc heißt er – selbst in Brüssel hat man den Namen kaum je gehört. Umso lauter melden sich nun Kommissionschef Jean-Claude Juncker und Ratspräsident Donald Tusk zu Wort, um Notre Dame zu beklagen.

Ob es ein Weckruf ist, ein spätes Erwachen, wie „Le Monde“ hofft? Oder nur ein populistischer Reflex, mit dem sich Juncker und Tusk kurz vor der Europawahl kulturbeflissen geben wollen?

Fest steht, dass Haushaltskommissar Günther Oettinger (CDU) keine nennenswerte Aufstockung des Kulturbudgets plant. Sein Entwurf, der bis 2027 reicht, behandelt das kulturelle Erbe weiter stiefmütterlich…