Nichts gilt mehr

In den nächsten Jahren wird die EU-Erweiterung kein Thema, sagte Kommissionschef Juncker bei Amtsantritt vor einem Jahr. Nun will er fünf Beitrittskapitel für die Türkei öffnen. Es ist nicht der einzige Wortbruch – nichts gilt mehr in der EU.

  • Beispiel Kopenhagener Kriterien: Sie schreiben vor, dass ein Beitrittskandidat EU-Werte wie Demokratie und Menschenrechte einhalten muss. Die Türkei hat sich davon verabschiedet – dennoch macht Juncker die Tür auf. Er will sogar über Außen- und Sicherheitspolitik verhandeln, kaum eine Woche nach dem Abschuss eines russischen Jets!
  • Beispiel Lissabon-Vertrag: Gleich in der Präambel dieses EU-Grundlagentexts heißt es, dass man die Schaffung einer immer engeren Union anstrebt. Großbritannien will davon nichts mehr wissen – und bekommt Rückendeckung von Juncker und Kanzlerin Merkel! Dass Premier Cameron auch in der Flüchtlingspolitik ausschert, scheint sie dabei nicht zu stören.
  • Beispiel Maastricht-Vertrag: In diesem Dokument, das den Grundstein für die Währungsunion legte, sind die so genannten Konvergenz-Kriterien zu Neuverschuldung, Defizit etc. verankert. Frankreich hat sich davon verabschiedet, der Kampf gegen den Terror geht vor. Auch Deutschland schert sich nicht um Konvergen, der Leistungsbilanzüberschuss steigt und steigt.

Nun kann man natürlich argumentieren, besondere Zeiten erforderten besondere Maßnahmen. Dass wir in besonderen Zeiten leben, wird nach den Terrorakten von Paris niemand bestreiten.

Doch die EU verstrickt sich in immer größere Widersprüche, wenn sie sich einerseits als Rechtsgemeinschaft preist, die von Werten und Regeln geleitet werde, diese andererseits selbst übergeht.

Besser wäre es, offen zu erklären, dass diese oder jene Regel gerade ausgesetzt wurde, weil… Noch besser allerdings wäre es, von den überkommenen Regeln auf eine ergebnisorientierte Politik umzusteigen.

Denn dann müsste die EU Politikziele formulieren und auch vor Bürgern und Parlamenten vertreten. Die Ergebnisse ließen sich überprüfen, Verantwortung für Erfolg und  Scheitern zuordnen.

So hingegen gleiten wir in eine organisierte Verantwortungslosigkeit ab. Je nach Bedarf werden die Regeln verbogen oder ignoriert. Nichts gilt mehr, die Bürger wenden sich mit Schaudern ab…

Siehe zum deutschen Rechtsverständnis auch: “Das VW-Land und die Regeln