Politisch geht anders
Kommissionschef Juncker will trotz der Steueraffäre “cool” bleiben. Die Ermittlungen will er seiner Wettbewerbs-Kommissarin überlassen. Doch die will sich nur um mögliche Staatsbeihilfen kümmern – und nicht um die politischen Hintergründe. Bleibt die Aufklärung auf der Strecke?
„Wir befinden uns auf vertrautem Terrain, hier geht es um einen ganz gewöhnlichen Fall von staatlicher Beihilfe.“ So versuchte Junckers Chefsprecher, den Enthüllungen von „Luxemburg Leaks“ die Spitze zu nehmen.
Nicht nur Luxemburg, sondern alle EU-Staaten versuchten, Unternehmen durch Steuernachlässe anzulocken. Wie in all diesen Fällen werde nun die neue Wettbewerbskommissarin Verstager den Vorwürfen nachgehen.
Doch Verstager hat bisher nicht einmal alle Enthüllungen gelesen, geschweige denn geprüft. Wie soll sie also die Dimension dieser Affäre erfassen? Und das ist längst nicht die einzige Frage.
- Geht es denn nicht eigentlich um Steuerpolitik, ja um Beihilfe zu Steuerhinterziehung?
- Was ist, wenn die Ermittlungen ergeben, dass Juncker persönlich verantwortlich war?
- Hat Juncker überhaupt noch die Autorität, die EU zu führen, wenn er in Luxemburg ein Steuerparadies errichtet hat?
Fragen über Fragen – die darauf hindeuten, dass es eben nicht nur um einen „gewöhnlichen“ Beihilfefall geht, sondern um mehr. Nämlich um ein Politikum, das nur politisch gelöst werden kann – durch neue Gesetze und ein Verbot der “Steuervermeidung”.
Doch davon ist – bisher jedenfalls – keine Rede. Dabei hatte Juncker noch am Mittwoch betont, er wolle eine “politische Kommission”. Schon einen Tag später, als es um ihn selbst geht, will er von Politik nichts mehr wissen.
Dabei ist doch ziemlich klar, was politisch zu tun wäre: Die “völlig legalen” Steuertricks müssen beendet werden – nicht nur in Luxemburg, sondern auch n den Niederlanden, auf Malta und in UK.
Strafen müssen künftig nicht nur den Staaten drohen, die unerlaubte Beihilfen gewähren – sondern auch den Konzernen, die ihre Steuerlast “optimieren” und sich auf Kosten der Steuerzahler bereichern!
Johannes
8. November 2014 @ 16:15
Und dieser EU will der Autor dieses Textes, so wie CDU, SPD und Grüne, noch mehr Macht geben. Glückwunsch.
ebo
8. November 2014 @ 17:26
Wer sagt denn, dass ich DIESER EU mehr Macht geben will? Wenn überhaupt, dann ginge es um eine reformierte Union. Wie der Neustart gelingen kann, steht auch in diesem Blog…
Michael
7. November 2014 @ 09:46
Junckers Autorität, die EU zu führen ergibt sich nach der am weitesten verbreiteten Ansicht aus dem Ergebnis der Wahl zum Europäischen Parlament. (Diese Ansicht wurde doch auch in diesem Blog engagiert vertreten, oder etwa nicht?). Und vor der Wahl war bereits allgemein bekannt, dass Luxxemburg ein Steuerparadies war und Juncker daran mitgewirkt hat. Das hat die Leute nicht davon abgehalten, EVP-Parteien zu wählen.
Michael
7. November 2014 @ 09:44
Die EU-Bürokratie hat nicht nur “Leaks” von zweifelhafter Qualität als Quelle, sondern kann direkt auf nicht öffentliche Unterlagen zurückgreifen (bzw.: mindestens sollte sie das können). Dass ein Kommissar alles Relevante selbst liest, ist weder eine realistische Erwartung noch braucht er es zu tun, wozu hat er denn einen Beamtenapparat? Und auch die Überlegung, dass das einzige, worum es gehen kann, die Frage ist, ob die Besteuerung gemäß EU-Wettbewerbsrecht eine unzulässige Beihilfe darstellte, trifft vollkommen zu. Beihilfe zur Steuerhinterziehung kann man Luxemburg nur vorwerfen, wenn Luxemburg anderen Staaten Auskünfte verweigert hat, zu denen es verpflichtet gewesen wäre; tatsächlich aber wurde in den letzten Jahren sehr offen politisch über Bankgeheimnisse etc. gestritten, so dass klar ist, dass Luxemburg nichts unterlassen hat, zu dem es sich verpflichtet hatte (denn zu den entscheidenden Sachen hat es sich eben gar nicht verpflichtet). Luxemburg hat genausowenig “Beihilfe zur Steuerhinterziehung” gelistet, wie ein Staat Beihilfe zum Mord leistet, der einen Mordverdächtigen nicht ausliefert, weil es kein Auslieferungsabkommen gibt.
Peter Nemschak
7. November 2014 @ 08:42
Man muss trennen zwischen der Verletzung des Wettbewerbsrechts und legalen, aber für eine effektive Haushaltspolitik der Staaten kontraproduktiven Steuerpraktiken. Diese waren in Luxemburg besonders extrem, aber keineswegs auf Luxemburg beschränkt sondern in den meisten EU-Staaten in verschiedenen Formen gängige Praxis. Es geht um die Frage der Eindämmung des Steuerwettbewerbs und eine grundlegende Reform des Konzernsteuerrechts. Mit hysterischem Geschrei und Racherufen gegen das Steuerparadies Luxemburg und Juncker im besonderen versuchen linke und rechtspopulistische Gruppen politisches Kleingeld zu machen, verstellen dabei aber den Blick auf den notwendigen Reformbedarf. Mehr Sachlichkeit statt Ressentiments und Emotionen wäre angebracht, in der Politik wie in den Medien. Es bestätigt sich wieder einmal: scandal sells, (nearly) as well as sex.