Neustart in 10 Punkten

Nach dem erneuten Scheitern eines EU-Gipfels steht Kommissionschef Juncker allein zu Haus in Brüssel. Kann er das Versagen der Chefs kompensieren? Und wenn ja, wie? Zehn Vorschläge für einen gelungenen Neustart.

  1. Schonungslose Bilanz: Wie jede neue Regierung sollte Juncker einen Kassensturz durchführen und eine Bilanz der letzten Jahre vorlegen. Warum ist die EU im weltweiten Wettbewerb zurückgefallen? Wieso haben sich die Unterschiede innerhalb Europas seit der Finanz- und Eurokrise noch verstärkt? Reichen die Finanzmittel, um die Versäumnisse zu beheben und die Union zu stärken?
  2. Alle Politiken auf den Prüfstand stellen. Die alten EU-Strategien sind an ihre Grenzen gestoßen. Marktöffnung, Liberalisierung und Privatisierung sollten Wachstum und Jobs schaffen. Doch daraus wurde nichts. Auf den Prüfstand gehören auch neue, bisher unerfüllte Versprechen wie die Jugendgarantie und bürokratische Prozeduren wie das Europäische Semster.
  3. Neue, realistische Ziele definieren. Bisher hat die EU fast alles versprochen und nur wenig gehalten. Juncker sollte daher realistische, überprüfbare Ziele definieren. Wo wollen wir in fünf Jahren, am Ende der Amtszeit der nächsten EU-Kommission, stehen? Wieviele neue Jobs, welche Investitionen will und kann die EU anstoßen? Daran muss er sich messen lassen.
  4. Neue Mittel mobilisieren. Juncker hat ein Investitionsprogramm über 300 Mrd. Euro angekündigt – doch die Finanzierung ist unklar. Wenn er es ernst meint, muss er neue Finanzmittel mobilisieren – über eigene EU-Steuern (wie im Lissabon-Vertrag vorgesehen), neue Projektbonds (werden schon erprobt) oder einen Investitionsfonds, wie ihn der DIW vorschlägt.
  5. Sich von den Hauptstädten emanzipieren. Noch-Kommissionschef Barroso holte sich für alle wichtigen Vorschläge erst eine Genehmigung in den nationalen Hauptstädten, zuletzt vor allem in Berlin. Damit hat er der EU-Kommission ihre Rolle als Motor genommen. Juncker muss diese Rolle wiederfinden – und sich dafür auch von Kanzlerin Merkel emanzipieren.
  6. Großbritannien härter rannehmen. Der britische Premier David Cameron wollte nicht nur mit aller Gewalt Juncker verhindern. Er möchte seinem Land auch neue Sonderrechte sichern und den EU-Vertrag aushebeln. Doch damit legt er die Axt an die Union. Schon aus Selbstachtung sollte Juncker Großbritannien daher härter rannehmen und neue Extrawürste verweigern.
  7. Einen symbolischen Bruch wagen. Damit der Neustart gelingt, muss Juncker Zeichen setzen. Die Abschaffung der in Südeuropa verhassten Troika wäre so ein starkes Symbol. Wünschenswert wäre auch ein Neustart der Verhandlungen mit den USA über ein Freihandels-Abkommen (TTIP). Ein solcher symbolischer Bruch würde signalisieren, dass es Juncker wirklich ernst meint.
  8. Die Kommission neu organisieren. In Brüssel redet schon jetzt alle Welt von Clustern, die wichtige Themen wie Energie oder Wettbewerb politisch und personell bündeln sollen. Doch das reicht nicht aus. Juncker muss die Kommission auch endlich transparent und rechenschaftsplichtig machen – mit Abstimmungen und Auswechselungen, wenn ein Kommissar versagt.
  9. Das Europaparlament stärker einbinden. Um seine Legitimation zu stärken und die übermachtigen Staats- und Regierungschefs zurückzudrängen, sollte Juncker das Europaparlament stärker einbinden. Das gilt vor allem für alle Themen rund um den Euro. Sinnvoll wäre es aber auch, Vorschläge der Abgeordenten für neue Gesetze aufzugreifen und so mehr Demokratie zu wagen.
  10. Die Bürger direkter ansprechen. Unter Barroso hat sich die EU in ihrem „Raumschiff Brüssel“ verschanzt. Juncker kann ein Neustart nur gelingen, wenn er auf die Bürger zugeht und die Zivilgesellschaft stärker einbindet. Man müsse mehr auf Ängste und Schutzbedürfnisse eingehen, hat EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy gefordert. Der Mann hat Recht.

Wird Juncker einen Neustart wagen? „Eine Revolution steht nicht auf der Tagesordnung“, hat er bei seiner Antrittsrede im Europaparlament gesagt. Aber er hat auch versprochen, auf die Bürger zu hören.

Und die haben die Nase gestrichen voll vom Versagen ihrer Chefs in Brüssel.

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photo credit: Herman Beun via photopin cc