Neues vom Wirtschaftskrieg (229): “De-Risking” in China funktioniert nicht
Brüssel sichert sich Chiles Rohstoffe. London soll die Wirksamkeit der Russland-Sanktionen überprüfen. Und deutsche Unternehmen unterlaufen das “De-Risking” in China.
- Deutsche Unternehmen gegen “De-Risking” in China. Jede Verschärfung der protektionistischen Maßnahmen der EU gegenüber China werde sich nachteilig auf Volkswirtschaften wie Europa auswirken, sagte Ola Kallenius, Vorsitzender der Geschäftsführung der Mercedes-Benz Gruppe. Seine Äußerungen decken sich mit denen zahlreicher anderer deutscher und europäischer Unternehmen. Nach einer Reihe von Berichten und Daten zu urteilen, die kürzlich von der deutschen Regierung, Think Tanks und Handelskammern veröffentlicht wurden, ist die chinesisch-deutsche Investitionszusammenarbeit von der „De-Risking“-Rhetorik nicht betroffen. Während einige Politiker in den USA und einigen anderen westlichen Ländern lautstark ein „De-Risking” in China fordern, investieren deutsche Unternehmen weiterhin verstärkt in China und erschließen den chinesischen Markt. (German.China.org) – Mercedes-Benz ist nicht allein, auch französische und belgische Unternehmen unterlaufen die neue EU-Strategie!
- EU sichert sich Chiles Rohstoffe. Das EU-Parlament hat mit einer klaren Mehrheit sowohl für das vorläufige Freihandelsabkommen als auch für ein neues Rahmenabkommen mit Chile gestimmt. Europa erhofft sich davon einen besseren Zugang zu Lithium, Kupfer und Wasserstoff, die für die grüne Transformation der Wirtschaft und den europäischen Ausbau der Elektromobilität entscheidend sind. Denn Chile hat die weltweit größten Lithium- und Kupfervorkommen und viel Potenzial für die Herstellung von grünem Wasserstoff. (taz) – Das ist die neue Dimension des Wirtschaftskriegs: Die Jagd nach Rohstoffen.
- UK soll Wirksamkeit von Sanktionen überprüfen. Influential MPs in Parliament’s Treasury Committee have launched an inquiry into the effectiveness of the U.K. government’s sanctions on Russia two years on from the invasion of Ukraine. MPs have asked for written submissions to help it conduct the review, on topics including whether financial sanctions levied by the U.K. are enough to hurt the Russian war machine and economy. They also want input on whether Russian assets that have been frozen should be confiscated, and what legal hurdles exist. (Politico) – Gute Initiative, der EU zur Nachahmung empfohlen!
Mehr zum Wirtschaftskrieg hier
P.S. Es passt nicht ganz in diese Rubrik, aber Kanzler Scholz hat ein Ende des globalen Subventions-Wettbewerbs gefordert. Dabei richtet er sich ausdrücklich an die USA, die mit ihrem “Inflation Reduction Act” gezielt deutsche Unternehmen anlocken. – Man könnte auch von einem amerikanischen Wirtschaftskrieg gegen Deutschland und die EU sprechen. Doch Scholz hat verhindert, dass die EU gegen den IRA vorgeht oder ein europäisches Pendant schafft. Und Subventionen verteilt er auch – mehr als alle anderen EU-Länder...
Skyjumper
1. März 2024 @ 14:31
ups …. da ist der letzte Absatz versprungen. Blödes Schreiben am Tablet. Entschuldigung
Arthur Dent
1. März 2024 @ 09:23
“EU sichert sich Chiles Rohstoffe” und zerstört dabei bisher unberührte Naturreservate in der Atacamawüste – das zeigt schon die ganze Heuchelei der EU bezüglich Renaturierung von Flüssen, Wiedervernässung von Mooren (will man eigentlich die Malaria wieder einführen?) usw.
Die Gadgets, die man aus den Rohstoffen herstellt, haben eine höhere Lebensdauer als die Kinder, die die Seltenen Erden für uns Europäer aus dem Morast kratzen.
Kleopatra
1. März 2024 @ 08:23
Ist es nicht übertrieben, bei allen oben erwähnten Vorkommnissen von „Wirtschaftskrieg“ zu sprechen, und sollte man das Wort „Krieg“ nicht (abgesehen von militärischen Konflikten) für die schwerwiegendsten Konflikte reservieren? Gibt es z.B. für Wirtschaftsverträge der EU mit einem demokratisch regierten Staat keine anderen Ausdrücke?
Thomas Damrau
1. März 2024 @ 09:36
@Kleopatra
“Rohstoff” und “Krieg” reimt sich sehr gut:
— siehe meinen Kommentar unten
— der Kongo ist seit Jahrzehnten ein Failed State, weil eine funktionierende Regierung der Plünderung der Ressourcen im Wege stünde
— und so manche Regierung ist (mit westlicher Unterstützung) weg-geputscht worden, weil sie Rohstoffe zur Verärgerung westlicher Konzerne in eigener Regie abbauen wollte. Prominentestes Beispiel ist der Iran in den 1950ern
ebo
1. März 2024 @ 09:48
Sie haben Recht, das Handelsabkommen mit Chile ist keine Kriegshandlung. Es schreibt sich aber in den globalen Wirtschaftskrieg ein, der spätestens seit der russischen Invasion in die Ukraine entbrannt ist. Den Begriff “economic war” benutzt auch der britische Wirtschaftshistoriker A. Tooze; er bezeichnet das globale Ringen um die Vorherrschft in der Weltwirtschaft, das zunehmend mit aggressiven Mitteln wie Krieg, Embargos, Sanktionen etc. geführt wird.
Kleopatra
1. März 2024 @ 10:18
Ich bezweifle nicht, dass man Manches als Wirtschaftskrieg bezeichnen kann. Aber wenn Sie argumentieren, seit dem 24.2.2022 sei ein globaler Wirtschaftskrieg im Gang, in den Sie das Meiste einordnen, was passiert, möchte ich einwenden, dass Russland eben gerade keinen Wirtschaftskrieg führt, sondern einen klassischen Schießkrieg mit allem, was dazugehört, einschließlich absurder Kriegspropaganda.
ebo
1. März 2024 @ 10:21
Klar, der Wirtschaftskrieg wird ja auch vor allem vom Westen geführt, also von den USA und der EU.
Kleopatra
1. März 2024 @ 10:37
Gut. Aber für die Entscheidung, auf einen völkerrechtswidrigen Aggressionskrieg zunächst nicht mit eigenen Kriegshandlungen, sondern mit Wirtschaftssanktionen zu reagieren, gibt es immerhin nachvollziehbare ethische Argumente. Diese Maßnahmen einen “Wirtschaftskrieg” zu nennen, scheint mir deshalb übertrieben, denn das scheint zu unterstellen, dass ein Wirtschaftskonflikt das zugrunde liegende Motiv sei. Russland führt nicht nur einen zerstörerischen Krieg, sondern erlaubt sich mit den Entführungen von Kindern und Jugendlichen im besetzten Gebiet Dinge, die in dieser Region zuletzt die Nazis als Besatzungsmacht getan haben.
ebo
1. März 2024 @ 10:41
Der Wirtschaftskrieg wurde schon VOR der russischen Invasion geplant und auch VOR den von Ihnen behaupteten Kriegshandlungen so genannt.
https://foreignpolicy.com/podcasts/ones-and-tooze/war-russia-economy-sanctions/
Skyjumper
1. März 2024 @ 14:29
So verkehrt ist das nicht was @ Kleopatra da sagt. Der inflationäre Umgang mit Begrifflichkeiten, insbesondere solchen die Schlimmes bedeuten, relativiert und verharmlost ggf. die ursprüngliche Bedeutung. Selbiges stelle ich gerade auch in der Benutzung der Worte „Nazi“ und „Faschismus“ immer wieder fest. Was heute so bezeichnet wird hat oft mit den entmenschlichten Umständen aus denen heraus sie entstanden sind nur wenig zu tun. Im übrigen ein Bereich wo sich auch @Kleopatra sich „schuldig“ macht.
Auf der anderen Seite: Was schreckt uns am Wort „Krieg“ ab? Tod, Verstümmelungen, seelische Traumata. Nun schreckt mich das – um bei der Wahrheit zu bleiben – weit weniger wenn es mich nicht unmittelbar bedroht.
Im Falle Chiles mögen es nur relativ wenige sein welche so unmittelbar davon bedroht sind. Aber Grundlage des Wirtschaftskrieges des Westen gegen Russland ist ja der „Schießkrieg“. Ich fürchte daher, dass die Begrifflichkeit schon gerechtfertigt ist. Auch wenn ich da ein unangenehmes Gefühl mit @Kleopatra teile.
Aber gilt selbiges nicht auch für einen „Wirtschaftskrieg“? Auch da betrifft es nicht alle in gleichen Maße. Aber die, die es direkt betrifft, betrifft es oft genug mit genau den gleichen Folgen wie ein „Schießkrieg“.
Skyjumper
1. März 2024 @ 08:03
Für eine grüne Transformation. Ja ja.
Zunächst einmal bräuchte es Einen nennenswerten Verbrauch an Lithium in Europa. Aktuell tragen sich lediglich Northvolt, Total und Varta mit realistischen Vorhaben größere Fabriken für die Akku-Produktion in Europa zu erbauen. Und vermutlich kann deren (zukünftiger) Bedarf an Lithium aus Europa (Recycling, Tschechien, Portugal) gedeckt werden.
Die Energiewirtschaft grüner gestaltenzu wollen ist, egal aus welchen Grund, objektiv ein gutes Vorhaben. Dass das wettbewerbsfähig geschehen sollte ist scheinbar bereits umstritten. Aber jeglicher Vorstoss in diese Richtung sollte doch wenigstens ein „grünes“ Ergebnis haben. Transportwege sind, sowohl Wettbewerbsgesichtspuniten, vor allen aber auch unter Energiegesichtspunkten ein bedeutender Faktor.
Ein Blick auf die Weltkarte sollte daher zu der Erkenntnis führen, dass Chile keine gute Wahl für Rohstoffe ist. Es ist ein langer, langer Weg. Und das Ergebnis dann alles andere als grün.
Thomas Damrau
1. März 2024 @ 07:55
Ist die Jagd nach „Lithium- und Kupfervorkommen“ wirklich eine neue Dimension des Wirtschaftskriegs? Der spanische und portugisische Kolonialismus wurde von der Hoffnung, Gold und Silber zu finden, befeuert. Die Objekte der Begierde haben sich im Laufe der Jahrhunderte immer mal wieder geändert, genau wie die Ziele.
So ist z.B. auch Afghanistan ein sehr Rohstoff-reiches Land – aber da diese doofen Taliban immer rumgeballert haben, hat der Westen es zwanzig Jahre nicht geschafft, den Abbau zu organisieren.
Und der intellektuelle Überflieger Roderich Kiesewetter hat ja bereits herausgefunden, dass Lithium auch in der Ukraine zu finden ist – leider hauptsächlich dort, wo der doofe Russe sitzt bzw. die Kämpfe stattfinden.
Der Konflikt zwischen den Rohstoff-reichen Ländern und den westlichen Abnehmer-Staaten ist immer derselbe: Die „Geberländer“ würden gerne mehr Wertschöpfung auf Basis ihrer Rohstoffe im eigenen Land haben – die „Nehmerländer“ würden gerne die Rohstoffe einfach mitnehmen. Und die Umweltschäden durch den Abbau sind natürlich ein Problem des Geberlandes.
Das ganze nennt man dann faire Arbeitsteilung.
Arthur Dent
1. März 2024 @ 10:05
@Thomas Damrau
Die EU hat bereits 2009 für viel Geld das Programm “Östliche Partnerschaften” aufgelegt. Es gilt die Länder der ehemaligen Sowjetunion – Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Georgien, Moldau, Kasachstan, Ukraine – aus dem wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Einflussbereich Russlands herauszulösen und dann als Mitglieder der EU in den westlichen Block zu überführen. Man hat es in der EU auf die osteuropäischen Märkte, Rohstoffe und Arbeitskräfte abgesehen. Sie sollen den EU-Konzernen zur Ausbeutung zur Verfügung stehen.
KK
1. März 2024 @ 10:56
“Das ist die neue Dimension des Wirtschaftskriegs: Die Jagd nach Rohstoffen.”
Richtig; was früher Gewürze und Edelmetalle waren, ist seit rund 100 Jahren Öl und später Gas, und nun werden es zunehmend solche für die “grüne” Transformation und Digitalisierung Lithium, seltene Erden und was man dafür noch so braucht.
Das ist keine neue Form, die ist uralt. Zwischenzeitlich gab es eine kurze Phase, wo das “Globalisierung” hiess – aber als der Westen erkannt hatte, dass er nicht mehr allein die Spielregeln bestimmen konnte, wird wieder auf Protektionismus gesetzt – und zwar mehr und skrupelloser als je zuvor.
Seit Beginn der Sesshaftwerdung schlugen sich die Menschen um die benötigten Ressourcen die Köpfe ein – und wenn nicht wortwörtlich, so wird die vorher so erlangte Macht skrupellos genutzt, um Schwächere auszubeuten.
Und das soll dann die Krone der Schöpfung sein.