Neues vom Wirtschaftskrieg (216): Deutschland rückt von China ab
UN-Generalsekretär António Guterres will das auslaufende Abkommen mit Russland zum Export von ukrainischem Getreide retten. Die Ukraine will EUropa das restliche russische Gas abdrehen. Und Deutschland rückt mit neuer Strategie von China ab.
- Deutschland rückt mit neuer Strategie von China ab. Die Bundesregierung hat sich erstmals umfassende Leitlinien für den Umgang mit der Volksrepublik China gegeben. Nach monatelangen koalitionsinternen Debatten verabschiedete das Bundeskabinett eine China-Strategie: Diese soll einen Weg aufzeigen, wie Deutschland seine unverzichtbare wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit mit der asiatischen Großmacht weiter ausbauen kann, ohne seine eigenen Werte und Interessen zu gefährden. “Die China-Strategie gibt unseren Beziehungen einen neuen Rahmen”, schrieb Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf Twitter. “Ziel ist es nicht, uns abzukoppeln”, fügte er hinzu. Deutschland wolle aber in den Handelsbeziehungen “kritische Abhängigkeiten künftig vermeiden”. (AFP) Deutschland folgt damit dem EU-Kurs des “De-Risking”. Das klingt harmlos, bedeutet aber ein Abrücken. Ausgeheckt wurde dies von EU-Chefin von der Leyen in Washington.
- Die Ukraine will EUropa das restliche russische Gas abdrehen. Kyiv is unlikely to renew a gas transit deal that allows Russia’s Gazprom to export natural gas to the EU using pipelines running across Ukraine, Energy Minister German Galushchenko told POLITICO. The 2019 transit deals runs until the end of 2024 and allows Gazprom to export more than 40 million cubic meters of gas a year via Ukraine, which earns Kyiv about $7 billion a year. “I believe, by the winter of 2024, Europe will not need Russian gas at all,” Galushchenko said in a telephone interview. “If now profits from Russian gas pay for Russia’s war of aggression against Ukraine and Gazprom’s private army, the only thing they should pay for in the future shall be reparations.” – Was für eine nette Geste aus Kiew. Ob sie mit Brüssel abgesprochen war?
- UN-Generalsekretär António Guterres will das auslaufende Abkommen mit Russland zum Export von ukrainischem Getreide retten. In einem Brief unterbreitete Guterres Russlands Präsidenten Wl adimir Putineinen Vorschlag, um die Absichtserklärung vom letzten Jahr mit der Fortführung der Exporte in Einklang zu bringen. Einem Reuters-Bericht zufolge hat Guterres konkret Putin vorgeschlagen, das Abkommen zu verlängern, als Gegenleistung für den Anschluss einer Tochtergesellschaft der russischen Agrarbank (Rosselkhozbank) an das internationale Zahlungssystem SWIFT. – Der Ball iegt nun bei der EU – denn sie hat die russischen Banken von SWIFT abgeschnitten. EU-Chefin von der Leyen tat jedoch so, als sei nun Moskau am Zug…
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KK
15. Juli 2023 @ 13:31
@ Kleopatra:
„Russland hat den Gashandel mit Westeuropa immer als Devisenquelle benutzt, den Gashandel mit ehemals von der UdSSR beherrschten Staaten oder gar ehemaligen sowjetischen Teilstaaten hingegen primär als politisches Druckmittel (billiges Gas – Zuckerbrot, Preiserhöhung – Peitsche).“
Natürlich hat Russland immer des Schlechteste im Sinn – dass die Ukraine jahrelang das Gas aus Russland im Tausch für die Durchleitung quasi umsonst bekommen hat und Russland irgendwann endlich mal Geld sehen wollte, halten Sie also für politischen Druck und verwerfliche Machtpolitik?
Wie müssen da erst die völkerrechtswidrigen Sanktionen der USA und ihrer Vasallen beurteilt werden, die nicht willfährigen souveränen Staaten den Zugang zu ausreichend Nahrung, Medikamenten und fast jeglichen Handel mit anderen verwehren – und auch Drittstaaten bedrohen, die da nicht mitmachen wollen?
Kleopatra
15. Juli 2023 @ 09:50
@KK und @ebo: Russland hat den Gashandel mit Westeuropa immer als Devisenquelle benutzt, den Gashandel mit ehemals von der UdSSR beherrschten Staaten oder gar ehemaligen sowjetischen Teilstaaten hingegen primär als politisches Druckmittel (billiges Gas – Zuckerbrot, Preiserhöhung – Peitsche). Diesen Hintergrund muss man bei der Beurteilung aller einzelnen Schachzüge zwischen Russland und der Ukraine beim Gastransit beachten: Russland mag zwar irgendwann „Marktwirtschaft“ gesagt haben, gemeint war allerdings immer die Forderung nach der bedingungslosen Unterwerfung. Dass die Ukraine einen Teil der Gaslieferungen abzweigen konnte, war als Gegenleistung für den Transit Teil langfristiger Vereinbarungen, und russische Forderungen nach höheren Preisen oder Neuverhandlung häufig Reaktionen auf politische Entwicklungen im Nachbarland, die dem Kreml missfielen (vor allem jeder Weigerung, sich Russland machtpolitisch zu unterwerfen). Wie gesagt, Russland war nur im Verhältnis zu den westeuropäischen Ländern ein halbwegs marktwirtschaftlich reagierender Akteur. Die Litauer hingegen wussten, warum sie schon vor Jahren mit dem Bau eines großen LNG-Terminals begonnen haben – von Russen sollte sich niemand abhängig machen.
KK
14. Juli 2023 @ 18:08
@ Arthur Dent:
“Die ersten Überlegungen zu Nordstream 1 begannen aber schon 1995. Dass die Pipeline gebaut wurde, um besser Krieg gegen die Ukraine führen zu können, erscheint mir weit hergeholt.”
Ist es auch; die Überlegungen begannen Mitte der 90er, lagen dann aber lange auf Eis. Zu der Zeit war das Verhältnis mit Russland noch gut, da bestand gar kein Anlass, irgend eine “Kriegsführung” vorzubereiten. Da stand sogar noch eine enge NAhTOd-Kooperation mit Russland im Raum…
Die Pläne wurden m. W. erst dann konkret weiter verfolgt und realisiert, als die Ukraine damit begann, von Russland Gas zu Dumpingpreisen erpressen zu wollen. Als Russland daraufhin die Ukraine nicht mehr beliefern wollte und nur noch die für den Westen bestimmte Menge durchleitete, hat die Ukraine einfach Gas davon für sich abgezweigt (aka gestohlen).
Das war dann wohl ein berechtigter Anlass, die in der Schublade liegenden Pläne für NS trotz der immensen Kosten umzusetzen, da man sich auf die Ukraine offensichtlich nicht mehr verlassen konnte.
ebo
14. Juli 2023 @ 18:23
So ist bzw. war es.
KK
14. Juli 2023 @ 17:59
@ Kleopatrra:
“@KK: ZumZeitpunkt der Sprengung von Nord Stream war der Krieg längst im Gange. Die Überlegungen mit gegenseitiger Abhängigkeit etc. laufen auf eine Abschreckung vom Krieg hinaus. Während des Krieges hätte die Ukraine damit eher ihre westlichen Verbündeten geschädigt.”
Ja, schon klar; abber Sie schrieben doch selbst: “…NACH DEM ANGRIFF…”;
ich zitiere Sie noch einmal und setze die fragliche Stelle in Versalien, damit Sie sich an Ihre Worte besser erinnern:
“Nach der von mir referierten Logik hätte nicht Moskau, sondern Kyïv die Gasleitung NACH DEM ANGRIFF sperren können; solange aber Nord Stream verfügbar war, hätte das nichts bewirkt (und deshalb wurden die Leitungen durch die Ukraine weiter genutzt).”
Im übrigen droht die Ukraine ja jetzt damit, den Gashahn zuzudrehen und die westlichen Verbündeten damit noch mehr zu schädigen.
Mit Drohungen und gleichzeitigem Einsacken von Milliarden hat die Ukraine kein Problem. Denn schaden tut sie den “westlichen Verbündeten” ohnehin, weil sie sich seit März 2022 einer diplomatischen Lösung völlig verweigert, was eben diese Verbündeten schon Unsummen gekostet hat – und weiter kosten wird…
Kleopatra
14. Juli 2023 @ 16:37
@KK: ZumZeitpunkt der Sprengung von Nord Stream war der Krieg längst im Gange. Die Überlegungen mit gegenseitiger Abhängigkeit etc. laufen auf eine Abschreckung vom Krieg hinaus. Während des Krieges hätte die Ukraine damit eher ihre westlichen Verbündeten geschädigt.
Arthur Dent
14. Juli 2023 @ 16:10
“Ich wünsche mir, dass die Amerikaner es waren – also waren sie es auch”, zählt leider nicht als gerichtsfester Beweis und was Geheimdienste so von sich geben, naja, ich wäre da skeptisch. Die ersten Überlegungen zu Nordstream 1 begannen aber schon 1995. Dass die Pipeline gebaut wurde, um besser Krieg gegen die Ukraine führen zu können, erscheint mir weit hergeholt.
KK
14. Juli 2023 @ 15:01
@ Kleopatra:
„Nach der von mir referierten Logik hätte nicht Moskau, sondern Kyïv die Gasleitung nach dem Angriff sperren können; solange aber Nord Stream verfügbar war, hätte das nichts bewirkt (und deshalb wurden die Leitungen durch die Ukraine weiter genutzt).“
Und die Ihnen verfügbare Logik fragt sich dann nicht, warum die Ukraine nicht spätestens bei Bekanntwerden der Sprengung die Leitung zugedreht hat, da Nord Stream ab diesem Zeitpunkt ja nicht mehr verfügbar gewesen ist?
Kleopatra
14. Juli 2023 @ 13:15
@ebo: Die Argumentation von Leuten wie z.B. A. Umland lief darauf hinaus, dass Frieden durch eine wechselseitige Abhängigkeit gesichert wäre, d.h. dass Russland die Ukraine nicht angreifen würde, solange es auf die Leitungen durch die Ukraine angewiesen war. Es ging also darum, dass die Ukraine die Leitung sperren können sollte. Nach der von mir referierten Logik hätte nicht Moskau, sondern Kyïv die Gasleitung nach dem Angriff sperren können; solange aber Nord Stream verfügbar war, hätte das nichts bewirkt (und deshalb wurden die Leitungen durch die Ukraine weiter genutzt). Die Verfügbarkeit von Nord Stream führte dazu, dass Russland die Ukraine angreifen konnte, ohne seinen Gasabsatz zu gefährden. Daher können die Projekte Nord Stream 1 und 2 sehr wohl als Vorbereitung auf einen Krieg gegen die Ukraine gesehen werden.
KK
14. Juli 2023 @ 12:25
@ Stef:
„Ökonomisch hat sie [die Ukraine] schon verloren. Politisch wird sie nichts gewinnen.“
Kein Vergleich zur EU, die ökonomisch sehr viel mehr verloren und darüber hinaus der Ukraine deren Verluste ersetzt bzw. sich zu weiteren Zahlungen bis in ferne Zukunft bereits verpflichtet hat. Und politisch jede noch ansatzweise zu erahnende Eigenständigkeit aufgegeben und allumfassend an die USA übergeben hat.
Die Staaten Nordamerikas mögen mal Kolonien Englands bzw. Frankreichs gewesen sein – spätestens heute ist es umgekehrt, und nahezu ganz EUropa ist faktisch eine vollständige US-Kolonie. Und der von den USA provozierte Ukraine-Krieg war das Mittel dazu.
Stef
14. Juli 2023 @ 11:45
@ Kleopatra: Man muss es eher anders herum sehen. Die Ukraine hat ihre finanziellen Interessen betreffend der Transitgebühren durch NS1 und NS2 gefährdet gesehen und dann erst einmal die Leitungen gesprengt, meint jedenfalls die Washington Post und die CIA. Jetzt braucht sie die Einnahmen nicht mehr, weil wir Europäer dumm genug sind, sie zu alimentieren, wir Arthur Dent richtigerweise feststellt.
Dass die Ukraine ernsthaft erwägt, den Gastransit nach Europa zu blockieren, zeigt weniger, dass sie selbst Europa den Gashahn abdrehen will, als vielmehr dass der Konflikt durch die Ukraine im geostrategischen Interesse der USA geführt wird. Denn nur die USA haben einen attraktiven strategischen Benefit vom Lieferstopp. Selbst für die Ukraine ist offensichtlich, dass Europa ohne russisches Gas ein massives Energieversorgungsproblem hat. Und Europa wird der Ukraine nach dem Krieg nicht auch noch das ausbleiende russische Gas substitutieren können.
Deshalb glaube ich auch, dass die USA mindestens das letzte Wort zur Zerstörung von Nordstream hatten wenn nicht gar operativ dafür verantwortlich zeichnen.
Interessant wird jetzt, wo die Ukraine durch die Nato verraten und im Stich gelassen wurde, ob sich die nationalistische Selenski Regierung überhaupt noch lange halten kann. Denn betreffend ihrer Kernversprechen kann sie nichts vorweisen. Den Krieg wird sie verlieren. Ökonomisch hat sie schon verloren. Politisch wird sie nichts gewinnen. Da fragt sich der Ukrainer womöglich, wozu dieser Krieg dann noch geführt werden soll?
Arthur Dent
14. Juli 2023 @ 10:26
De-Risking von China – allerdings ohne Konzept, meint die deutsche Wirtschaft. Kanzler Scholz wartet ier wohl noch auf die göttlichen Eingebungen von Biden.
Die Ukraine bekommt zur Zeit von Russland noch Transitgebühren für die Durchleitung des Gases. Die Verträge enden aber 2024. Dann braucht die Ukraine wohl Ersatz für die fehlenden Einnahmen, den wird wohl die EU leisten, für gar nichts. Russland kann sein Gas überall hin verkaufen, vermutlich wird die Türkei Dreh- und Angelpunkt im Gasgeschäft.
european
14. Juli 2023 @ 10:20
Meines Wissens nach hat die Ukraine pro Jahr 1.2 Milliarden USD an Transitgebuehren verdient. Wer ersetzt das jetzt?
Das sollten wir klaeren, bevor wir klatschen.
Kleopatra
14. Juli 2023 @ 08:09
Nun, wenn Russland sein Gas durch die Ukraine zu seinen Kunden leiten will, sollte es sich mit der Ukraine gut stellen und sie nicht völkerrechtswidrig überfallen. Viele Kundige haben ja schon seit langem gesagt, dass Nord Stream 1 und 2 eigentlich Vorbereitungen auf einen Krieg Russlands gegen die Ukraine waren (um nämlich nicht auf Frieden mit der Ukraine angewiesen zu sein); nur Merkel hat der ganzen Welt und vielleicht auch sich selbst vorgelogen, da steckten keine hinterlistigen Absichten dahinter.
Aussagen in einem Interview sind keine verbindliche Nichtverlängerung. Was in internationalen Beziehungen öffentlich gesagt wird, ist Teil eines Pokerspiels. Wie ich die Aussagen lese, schließt der Herr ja nicht aus, dass russisches Gas durchgeleitet werden kann, um russische Reparationen zu finanzieren.
ebo
14. Juli 2023 @ 10:45
Ihre Argumentation ist unlogisch. NS1 und 2 sollen Teil der Kriegsvorbereitungen gewesen sein – aber wenn der Krieg beginnt, pumpt Russland weiter munter Gas in und durch die Ukraine? Das ergibt keinen Sinn. Nach Ihrer Logik müsste Moskau den ukrainischen Gashahn gleich nach der Invasion zugedreht haben. Auch jetzt verwechseln Sie wieder Roß und Reiter. Es ist die Ukraine, die EUropa das russische Gas entziehen will – nicht umgekehrt.