Nein, Merkel ist nicht „Europas Kanzlerin“

Der deutsche EU-Vorsitz hat kaum begonnen, da kommen schon die Huldigungen an „Europas Kanzlerin“. Dabei muß Merkel die Macht im Rat teilen – mit dem ständigen Ratspräsidenten Michel. Auch sonst kann Deutschland nicht schalten und walten, wie es will.

Das liegt am Lissabon-Vertrag, den Merkel beim letzten deutschen Ratsvorsitz 2007 selbst eingefädelt hat. Der EU-Vertrag sieht vor, dass es nicht nur einen, sondern gleich zwei Ratspräsidenten gibt: einen ständigen und einen weiteren, der alle sechs Monate wechselt.

Der ständige Ratspräsident ist Charles Michel; an ihm kommt auch Merkel nicht vorbei. Michel leitet die EU-Gipfel, er lädt die Staats- und Regierungschefs ein und gibt die Tagesordnung vor.

Auch das nächste Treffen am 17./18. Juli in Brüssel wird der Belgier organisieren.

Michel ist zudem dafür zuständig, einen Kompromissvorschlag für das künftige EU-Budget vorzulegen, die so genannte „Negotiating box“. Merkel hat dazu schon Wünsche geäußert, sie wird sich mit Michel sicher auch abstimmen.

Doch was bei den Verhandlungen letztlich auf dem Tisch liegt, entscheidet der Belgier, nicht die Deutsche.

Ganz ähnlich sieht es bei anderen wichtigen Ratsformationen wie der Eurogruppe und den Außenministern aus. Auch sie haben ständige Vorsitzende, die die Arbeit leiten.

Bundesfinanzminister Olaf Scholz und Außenminister Heiko Maas sitzen deshalb weiter in der zweiten Reihe.

Mehr zu sagen hat Deutschland dagegen im Ausschuss der Ständigen Vertreter. Die Runde der EU-Botschafter, die sich regelmäßig in Brüssel trifft, bereitet alle wichtigen Entscheidungen vor – und wird nun vom deutschen Topdiplomaten Michael Clauß geführt.

Außerdem kann der Ratsvorsitz eigene Sondersitzungen und Gipfeltreffen organisieren, um seine Prioritäten voranzubringen.

Aber auch hier sind die Möglichkeiten begrenzt, wie der Streit um den EU-China-Gipfel zeigt. Ursprünglich war er für September in Leipzig geplant, als außenpolitischer Höhepunkt der deutschen Ratspräsidentschaft.

Doch Merkel hat ihn abgesagt – offiziell wegen Corona, in Wahrheit aber wegen zunehmender Spannungen mit China.

Ob der Gipfel doch noch stattfinden kann, entscheidet die Kanzlerin nicht allein, sondern in enger Abstimmung mit der EU-Kommission in Brüssel. Auch Behördenchefin Ursula von der Leyen hat ein gewichtiges Wörtchen mitzureden….

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