Nato am Limit, Fico am Ziel – und das Ende des Tunesien-Deals?
Die Watchlist EUropa vom 12. Oktober 2023 –
Es war eine doppelte Premiere: Zum ersten Mal seit Beginn der russischen Invasion hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj an einem Nato-Treffen in Brüssel teilgenommen. Und zum ersten Mal hat der neue Nato-Ukraine-Rat auf der Ebene der Verteidigungsminister getagt. Das zeigt, wie ernst die Nato den Krieg nimmt.
„Ihr Kampf ist unser Kampf, Ihre Sicherheit ist unsere Sicherheit, und Ihre Werte sind unsere Werte“ erklärte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, als er Selenskyj im Brüsseler Nato-Gebäude empfing. Die Ukraine ist zwar immer noch kein Mitglied. Doch Stoltenberg will Selenskyj beistehen „for as long as it takes“– so lange wie nötig.
Der ukrainische Staatschef wird dies gern gehört haben. Schließlich treibt ihn die Sorge um, dass die Krise in Nahost die Aufmerksamkeit für den Krieg in seinem Land schmälern könnte. Zu Beginn des Brüsseler Treffens lenkte er die Aufmerksamkeit aber auf ein anderes Problem: Nun gelte es, die Ukraine winterfest zu machen.
“Wie wir den nächsten Winter überstehen, ist sehr wichtig für uns“, sagte Selenskyj. “Wir bereiten uns gerade darauf vor, wir sind bereit. Jetzt brauchen wir noch etwas Unterstützung, deshalb bin ich heute hier.“ Konkret bat er um weitere Luftverteidigungssysteme, zusätzliche Langstreckenraketen und noch mehr Munition.
Doch die Bestände der Alliierten sind leer. Zuletzt hatte der Chef des Nato-Militärausschusses, Admiral Rob Bauer, vor Munitions-Mangel gewarnt: „Wir sehen nun den Boden des Fasses“, sagte der Niederländer. Wie die Lager wieder aufgefüllt und die Ukraine aufgerüstet werden können, war Thema im sogenannten Ramstein-Format.
Doch nicht nur in der Ukraine klaffen Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander. Die Militärallianz will sich auch für Israel engagieren – verfügt aber nicht über die nötigen Kapazitäten. Außerdem hat sie eine “entschiedene Antwort” bei der (vermuteten) Sabotage an einer Ostsee-Pipeline zwischen Finnland und Estland angekündigt.
Doch wie die aussehen soll, weiß Stoltenberg wohl selbst nicht. Die US-geführte Militärallianz fühlt sich für alles zuständig und kämpft an allen möglichen und unmöglichen Fronten – und droht nun an ihrer eigenen Hybris zu scheitern. Selenskyj liegt wohl nicht falsch, wenn er fürchtet, sein Land könne am Ende den Kürzeren ziehen…
Siehe auch “Die Gegenoffensive war ein Fehlschlag – muß nun die Nato ran?” sowie Die Bundeswehr geht „all in“ – auch in Israel?
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News & Updates
- Ficos neue Regierung steht. Elf Tage nach der Parlamentswahl in der Slowakei haben sich zwei sozialdemokratische Parteien und eine nationalistische auf die Bildung einer Dreierkoalition geeinigt. Nach der von den drei Parteichefs unterzeichneten Vereinbarung wird der linksnationale ehemalige Regierungschef Fico erneut Ministerpräsident. Mehr hier (“Eurotopics”)
- Timmermans will’s wissen. EU-Kommissions-Vize Timmermans hat sich als Vater des „Green Deal“ einen Namen, aber auch viele Gegner gemacht – dennoch will er jetzt Regierungschef in den Niederlanden werden. – Mein Porträt im “Cicero”
- Von der Leyen steht zu Israel. Schon beim Ukraine-Krieg ist sie vorgeprescht. Nun will sich EU-Chefin von der Leyen auch in Israel profilieren – wieder als Hardlinerin. – Mehr im Blog
Das Letzte
“Return to sender”. Tunesien hat 60 Mill. Euro an EU-Hilfe zurück nach Brüssel geschickt. Das Geld sei eigentlich als Corona-Hilfe geplant gewesen und von der EU einfach umdeklariert worden, um den umstrittenen Flüchtlingsdeal zu finanzieren, erklärte Außenminister Nabil Ammar. Sein Land werde keine Grenzpolizei spielen, fügte er laut “Brussels Signal” hinzu. In der Praxis dürfte dies das vorläufige Ende des Deals bedeuten, den Kommissionschefin von der Leyen ausgehandelt hatte. Für die CDU-Politikerin sollte er zum Modell für andere Flüchtlingsabkommen werden…
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Monika
12. Oktober 2023 @ 11:48
„Ihr Kampf ist unser Kampf, Ihre Sicherheit ist unsere Sicherheit, und Ihre Werte sind unsere Werte“ erklärte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg
Diese Aussage des Herrn Stoltenberg der Ukraine gegenüber stellt verbal eine verallgemeinernde “Übereinstimmung” her, die in keiner Weise die Realität abbildet. Weder stützen alle Mitgliedsländer der Instituion NATO, geschweige denn deren Bevölkerungen diese persönliche Meinung Stoltenbergs. Diese Aussage ist nichts als ein riesiger Heißluftballon. Es ist nicht “unser” Kampf, auch nicht unsere “Sicherheit” die dort auf dem Spiel steht, und erst recht nicht sind es gemeinsame “Werte”, die wir mit der Ukraine teilen. Im Gegenteil, es widerspricht die gesamte Regierungsführung der Ukraine allen demokratischen Grundsätzen: offener Rassismus gegen große Bevölkerungsteile und deren Kultur, offene Förderung nationalsozialistischen Gedankenguts, korrupte Amtsführung -gerade wurde der “Verteidigungs”minister samt seiner 6 Stellvertreter wegen Korruption entlassen- , internationale Todesliste mit mißliebigen Kritikern der offiziellen ukrainischen Regierungspolitik, die sorgfältige Pflege unversöhnlichen Hasses gegenüber Andersdenkenden, der Ausverkauf des Staatseigentums, das sinnlose Verheizen der gesamten Infrastruktur und überwiegend der männlichen Bevölkerung durch Ausrufen des totalenKriegs und das ist noch lange nicht das Ende einer solchen Aufzählung.
Warum geben nicht mehr Menschen öffentlich zu Protokoll, dass Herr Stoltenberg eben nicht für “uns” spricht, gar nicht zu solchen Aussagen legitimiert ist. Denn bei der NATO handelt es nicht um demokratische Repräsentation. Er kann gern für die NATO als Institution sprechen, sollte die Meinung aber den Personen zuordnen, die auch in der Veratwortung für die Folgen dieser Aussagen stehen. Dieses Verschanzen hinter “dem Volk” entspricht dem Tarnen von Militär durch Schulen und Hospitäler. Also faktisch gegen sämtliche “Kriegskoventionen”.
KK
12. Oktober 2023 @ 12:48
“Warum geben nicht mehr Menschen öffentlich zu Protokoll, dass Herr Stoltenberg eben nicht für „uns“ spricht, gar nicht zu solchen Aussagen legitimiert ist.”
Bitte darum, meinen Einspruch im Protokoll zu vermerken.
In meinen Augen gehört die NAhTOd ohnehin seit gut 30 Jahren aufgelöst und abgewickelt – es hätte der Welt wohl einige völkerrechtswidrige Angriffskriege mit EUropäischer Beteiligung und auch die Aushöhlung des Völkerrechts erspart!
ebo
12. Oktober 2023 @ 12:58
Stoltenberg nutzt dasselbe Narrativ wie die EU – die Ukraine kämpft für uns alle, sie sorgt für Sicherheit in ganz Europa. Dies ist aber falsch und aus dem Munde des Nato-Generalsekretärs geradezu absurd. Denn für den Schutz Europas ist die Nato da. Ich interpretiere seine Worte als schwachen “Trost”, weil die Ukraine nicht in die Nato aufgenommen wurde – und als Ansporn für Nato-Länder wie Deutschland, noch mehr zu tun. Zugleich deuten sie aber ermeut daraufhin, dass sich die Nato mit ihrem Engagement in der Ukraine auf eine schiefe und zunehmend abschüssige Ebene begeben hat – sowohl politisch als auch militärisch…
KK
12. Oktober 2023 @ 10:42
1. Es ist mir völlig entgangen, dass Stoltenberg im Juli 23 um ein weiteres Jahr verlängert hatte. Damit macht er wohl langsam aber sicher Wowbagger, dem unendlich Verlängerten, seinen Beinamen streitig…
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2. „Außerdem hat sie eine „entschiedene Antwort“ bei der (vermuteten) Sabotage an einer Ostsee-Pipeline zwischen Finnland und Estland angekündigt. “
Gab es da vergangenes Jahr nicht auch eine klar als Sabotage erkennbare an einer bzw. sogar zwei Ostseepipelines? Aber deswegen wurden bis heute ja noch nicht mal entschiedene Fragen gestellt, wenn ich mich recht entsinne… von „entschiedenen Antworten“ ganz zu schweigen!
Katla
12. Oktober 2023 @ 13:15
@KK: ja, das fand ich auch interessant, denn bei Nord Stream 2 ist die Sabotage nicht nur vermutet (wie hier erstmal), sondern Fakt. Aber selbst eine Aufklärung geschweige denn eine “entschiedene Antwort” scheinen völlig unwichtig zu sein.
Ahndung terroristischer Anschläge in Europa nur, wenn der vermutete Urheber in die geo- und bündnispolitische Interessenlage passt? Das wäre aber eine Aufkündigung des Gesellschaftsvertrags, auf dem alle europäischen Staaten aufgebaut sind und das Ende jedes Vertrauens.
Katla
12. Oktober 2023 @ 10:24
Wenn alle ihre entsetzten Blicke (zurecht) auf Israel richten, sollten man trotzdem und gerade die europäischen Verteidigungsangelegenheiten sehr aufmerksam verfolgen. Pistorius verspricht 35.000 deutsche Soldaten für die NATO, die in hoher bzw. höchster Bereitschaftsstufe gehalten werden sollen. Seine passenden Worte zum leichtfertigen europäischen Kriegsgezocke : “Wir gehen all in”. Davon abgesehen, dass das faktisch noch nicht “all in” ist – unsere Politiker scheinen das Ganze wirklich als ein Spiel zu sehen und zocken auf hohem Niveau. Und wir lassen es scheinbar zu, dass sie mit unserer Sicherheit, mit unserem Schicksal zocken. Was denken eigentlich europäische Mütter darüber, wenn ihre Söhne womöglich bald für ein europäisches oder auch nur deutsches “all in” mit ihrem Leben herhalten müssen? Ohne dass Europa oder Deutschland angegriffen wurde?
Es würde mich nicht wundern, wenn unter der medialen Dominanz des Gaza-Kriegs und an der Aufmerksamkeit der Bürger vorbei konkrete und noch konkretere Kriegsvorbereitungen in Europa und unumkehrbare Prozesse eingeleitet werden würden. Beste Gelegenheit dafür.
Thomas Damrau
12. Oktober 2023 @ 08:58
Interessant, wie sich das Framing des Hamas-Anschlags ändert
– Am Anfang wurden Parallelen zu 9/11 gezogen (Terror-Anschlag als Teil asymmetrischer Kriegsführung ( https://de.wikipedia.org/wiki/Asymmetrische_Kriegf%C3%BChrung ), siehe z.B. https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-10/israel-angriff-hamas-zivilbevoelkerung-reaktion-netanjahu-analyse?utm_referrer=https%3A%2F%2Fduckduckgo.com%2F
– Kurzfristig schien sich die Bewertung in “Guerilla-Angriff” zu ändern (was aus meiner Sicht der Wahrheit am nächsten kommt)
– Inzwischen wird der Eindruck erweckt, es handle sich um symmetrische Kriegshandlungen – für die folgerichtig in aller Welt Waffenhilfe angefordert werden muss. Das ist angesichts des asymmetrischen Kräfte-Verhältnisses (die Hamas hat – meines Wissens – weder Flugzeuge, gepanzerte Fahrzeuge, noch eine funktionierende Flugabwehr) etwas seltsam ist.