Nach Trauerfeier: Adieu Straßburg?
Das ist ja ein “taktvolles” Timing: Nachdem das Europaparlament in Straßburg zur Trauerhalle für Altkanzler Kohl umfunktioniert wurde, wollen die Abgeordneten Straßburg endgültig den Rücken kehren.
Das Wort führen dabei ausgerechnet deutsche CDU-Politiker, also die Anhänger Kohls. Sie wollen den “Wanderzirkus” zwischen Brüssel und Straßburg beenden und nur noch in Brüssel tagen.
Mal abgesehen davon, dass dies zu einer weiteren Zentralisierung im “Superstaat” EU führen würde, rühren die MEP damit an einen Grundstein der deutsch-französischen Freundschaft.
Straßburg ist und bleibt nun mal das Symbol der Aussöhnung nach zwei Weltkriegen. Genau deshalb wurde dort, in der Hauptstadt des Elsaß, ja auch der “europäische Staatsakt” für Kohl durchgeführt.
Aber nun, da Kohl heim ins Reich geholt wurde, soll endgültig Schluß sein mit der Geschichte. Als Trostpreis soll Straßburg die Europäische Arzneimittelbehörde EMA bekommen.
Der CDU-Abgeordnete P. Liese listete in einem Positionspapier Argumente für den Umzug der EMA nach Straßburg auf. Dort gebe es bereits den Europarat sowie internationale Schulen.
Doch das ist Augenwischerei – denn auch Deutschland und viele andere EU-Länder bewerben sich um die EMA, die zur “Brexit-Beute” gehört. Der Zuschlag für Straßburg ist keineswegs sicher.
Frankreich reagiert denn auch irritiert auf den Vorstoß. Paris habe “keinerlei Absicht”, auf Straßburg als offiziellen Sitz des Parlaments zu verzichten, sagte Europaministerin Loiseau.
Die französische Haltung in dieser Frage habe sich nicht geändert. Dies gelte auch für Präsident Macron. Der dürfte ziemlich sauer über den Querschuss der Abgeordneten sein.
Denn es geht natürlich um mehr, wie immer in den EU-Ränkespielen. Es geht um Vertragsänderungen. Der Parlamentssitz Straßburg ist im EU-Vertrag verankert; Paris müsste einer Änderung zustimmen.
Allerdings fordert auch Macron Vertragsänderungen – etwa zur Einführung eines Euro-Finanzministers. Die deutsche Seite könnte das für einen “Deal” nutzen. Kohl würde sich im Grabe umdrehen…
Siehe auch: Kohl wollte ein anderes Europa
Kleopatra
8. Juli 2017 @ 16:07
Weder Macron, noch irgendjemand anderes, egal wer französischer Präsident ist, wird einen “Euro-Finanzminister” nach französischen Wünschen herausverhandeln können. Insofern kann Frankreich nach dem Prinzip vorgehen “der Spatz in der Hand” (Straßburg) ist besser als die Taube auf dem Dach. Selbst in Frankreich dürften sich die meisten bei der Aussicht, noch unmittelbarer von einem Schäuble geschurigelt zu werden, eher bekreuzigen; und das ist der einzige Euro-Finanzminister, dem deutsche Politiker zustimmen können.
Peter Nemschak
6. Juli 2017 @ 13:19
Je kostengünstiger die EU arbeitet desto besser. Politische Symbolik muss dabei zurückstehen. Superstaat mit mehr Effizienz verwechseln klingt zynisch oder weltfremd. Politische Deals (vielleicht nicht den erwähnten) wird es immer geben.
ebo
6. Juli 2017 @ 13:23
@Nemschak Die meisten Abgeordneten reisen aus ihren Wahlkreisen an. Da macht es keinen Unterscheid, ob sie nach Brüssel oder Straßburg fahren. Im übrigen gibt es noch viel mehr “Wanderzirkus” in Luxemburg. Und neuerdings mit Berlin, wo Juncker & Co. bald jede Woche sind. Sollte man auch abschaffen, oder?