Muss es immer Freihandel sein?
Auch wenn sie wieder miteinander reden: Es sieht schlecht aus um das geplante Freihandels-Abkommen zwischen der EU und UK. Aber warum muß es eigentlich immer Freihandel sein? Es gäbe durchaus noch andere Möglichkeiten.
Bisher drehen sich die Verhandlungen um ein Ideal: Wenn UK am Ende des Jahres endgültig aus dem europäischen Binnenmarkt ausscheidet, geht fast alles weiter wie bisher – denn man hat ja den Freihandel. Kontrollen sind kaum noch nötig, Zölle und Quoten gibt es keine.
London soll sich – wenn es nach Brüssel geht – sogar an zukünftige EU-Regeln im Steuer-, Sozial- und Umweltbereich halten, damit das “Level Playing Field” erhalten wird, die Wettbewerbsbedingungen also gleich bleiben. Doch das widerspricht dem Ziel der wieder gefundenen Souveränität.
Es ist nur eins von vielen Widersprüchen und Dilemmata in den laufenden Verhandlungen. In der verbleibenden kurzen Zeit – kaum mehr als zwei Wochen – dürften sie sich kaum auflösen lassen, auch wenn die EU-Kommission schon einige hundert Seiten Text vorbereitet hat.
Deshalb reden nun alle vom “No Deal”, also dem Scheitern der Verhandlungen und neuen, kostspieligen Zollbarrieren. Doch zwischen dem umfassenden Freihandelsabkommen und dem “No Deal” gibt es noch viele andere Möglichkeiten, die hinter den Kulissen erwogen werden.
Zwei simple Varianten liegen auf der Hand: Man könnte jede Menge “Mini-Deals” oder “ad-hoc-Lösungen” vereinbaren, um die Folgen eines “No Deal” zu mindern. Dafür plädiert etwa das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW). So ließe sich Schaden abwenden.
Denkbar wäre auch, besonders kontroverse Kapitel wie die Fischerei oder den Finanzmarkt (City of London!) auszuklammern und dafür später Lösungen zu suchen. Dies scheint Kanzlerin Merkel vorzuschweben, wenn sie “beide Seiten” zu Kompromissen drängt.
Last but not least wäre aber auch denkbar, vom Freihandel abzurücken und ein hybrides System einzuführen – mit Handelspräferenzen, Quoten und zur Not auch Zöllen in sensiblen Bereichen. Dieses System ließe sich später noch nachjustieren, wenn sich beide Seiten in verschiedene Richtungen bewegen.
Möglich ist das alles jedoch nur, wenn UK vom Fetisch der nationalen Souveränität und die EU vom Ideal des Binnenmarkts bzw. des grenzenlosen Freihandels abrückt. Nur wenn die großen Prinzipien fallen und Pragmatismus einkehrt, wird sich ein “No Deal” noch verhindern lassen…
Siehe auch “Post-Brexit: Das Ende des Freihandels?” und “Brexit: Die EU hat sich bewegt”
Freiberufler
20. Oktober 2020 @ 12:53
Wer hat eigentlich das Drehbuch für die Brexit-Komödie verbrochen? Das Handelsbilanzdefizit der Briten mit der EU betrug im vergangenen Jahr 119 Mrd. €. Es war also von Anfang an vollkommen klar, wer beim Brexit Bedingungen stellen kann und wer nicht. Nur den Verantwortlichen nicht. Dass sich May dann einen unsäglichen Austrittsvertrag aufzwingen ließ, ist nachgerade absurd und dürfte wesentlich zu ihrem Sturz beigetragen haben. Nun dreht der “Clown” BoJ den Spieß um und lässt die EU auflaufen.
Holly01
20. Oktober 2020 @ 09:25
Ich wäe sogar für ein EU-Sonderprogramm, um die Produktion aus dem UK nach Süd- und Südosteuropa zu verlagern.
Ziel wäre die Einkommensunterschiede zu minimieren, staatliche Einnahmen zu stabilisieren und die Produktionsketten innert der EU laufen zu lassen.
Und Einfuhrbeschränkungen und Sonderzölle auf Fisch und Fischprodukte.
vlg
ebo
20. Oktober 2020 @ 10:53
Ach ja, Lohndumping aus Ungarn, Bulgarien und Rumänien fördern? Super-Idee…
Was mich darauf bringt, dass die Sache mit dem “Lever Playing Field” eine ziemliche Lachnummer ist, solange wir noch Osteuropa, den Balkan und die Steueroasen in Irland, Luxemburg, NL etc haben. Ah, und die Ukraine nicht zu vergessen 🙂
European
20. Oktober 2020 @ 12:25
Nicht zu vergessen, dass es gerade die Exportnationen in der EU bzw. der Eurozone sind, die massives Lohndumping betrieben haben. Keine offene Lohnsenkung, aber die Löhne entgegen der Vereinbarungen nicht zu erhöhen ist im Endeffekt auch eine massive relative Lohnsenkung und man profitierte von den wachsenden Löhnen in der Eurozone. Der Markt wuchs quasi Jahr um Jahr von allein.
Diesmal wird uns das europäische Ausland nicht mehr aus der Krise ziehen.
Mal sehen, ob die buy-local Initiativen des Sebastian Kurz Schule machen. Er will ja auch alles gleichzeitig. Die Leute sollen lokal einkaufen aber das Ausland soll fleißig österreichische Lebensmittel kaufen, damit der Export stimmt. Wenn die aber nun auch auf buy-local gehen?
Holly01
20. Oktober 2020 @ 12:56
@ ebo:
So lange Sie in Bulgarien und Rumänien in den Hallen von Viehmärkten auch regelmäßig Frauen kaufen können, brauchen wir uns um Moral innert der EU nun wirklich keine Sorgen zu machen.
Alles mit sauberen papieren, streng nach EU Recht und selbstverständlich offiziell als “Arbeitnehmerinnenüberlassung”.
Wir schauen so oft weg, wir müssten eigentlich alle ein Schleudertrauma haben oder wollen wir das nicht wissen?
Egal, wenn nicht da, dann eben im Nahen Osten……
Aber Einkommen und Staatseinnahmen sind nach wie vor die beste Art der Entwicklung. Wenn man Wohlstandsgefälle abbaut, dann sinken auch Migrationsdruck und Sozialdumping.
Wer weiß, vielleicht werden wir so H4 los.
vlg
Holly01
20. Oktober 2020 @ 08:30
” Möglich ist das alles jedoch nur, wenn UK vom Fetisch der nationalen Souveränität und die EU vom Ideal des Binnenmarkts bzw. des grenzenlosen Freihandels abrückt. Nur wenn die großen Prinzipien fallen und Pragmatismus einkehrt, wird sich ein “No Deal” noch verhindern lassen… ”
Kurzer Blick auf die politische Landkarte:
Das UK tritt aus, weil die CoL jede Regulierung ablehnt. Die Produktion im UK wurde als Geisel genommen, weil die ja Ausländern gehört. Briten produzieren nicht im UK.
Kurzer Blick zu den USA: würden die USA Lücken in der Regulierung nutzen, um via UK Waren ohne Regulierung zu dumping Preisen einzuführen? Würde China solche Lücken nutzen? Ja und ja.
Ansage Johnson im Zusammenhang mit dem Brexit:
Wir eröffnen ein dutzend Sonderzonen in den großen Häfen und werden zur Handelsdrehscheibe der Welt und finanzieren das über die CoL.
Basis ist eben die souveräne Entscheidung der Briten sich an KEINE Regeln zu halten.
Nicht die EU ist gescheitert. Das UK geht mit wehenden Fahnen in den Abgrund.
Winke winke und desto sssssst desto bumms.
Noch fällt das UK, der Fall ist nie das Problem.
Die EU sollte knall harte Grenzen ziehen und ganz klare Ansagen machen.
Drastische Kapitalverkehrskontrollen, knall harte Güterkontrollen, klare Kante bei der WTO gegenüber dem UK bei den Handelsmengen und Abbruch aller Geheimdienst- und Polizeizusammenarbeit ab dem 1.1.21.
Das sollte man dem UK so sagen (zeitnah) und dann auch so ausführen. Das bedeutet, die Dienstanweisungen müssen spätestens zum 1.11.20 überall vorliegen.
Msg: Lege Dich nicht mit der EU an, die meint es ernst.
thats it Boris
ebo
20. Oktober 2020 @ 10:47
Keep cool. So wichtig – und mächtig – ist UK nun auch wieder nicht. Johnsons Traum von einem “Singapur upon Thames” ist bisher – nur ein Traum