Mit leeren Händen
Die Europawahl sollte einen großen Sprung nach vorn für die Demokratie bringen – und entpuppte sich als großer Schwindel. Wie konnte es dazu kommen? – Teil 2 der Sommer-Serie: Mit leeren Händen.
Teil 1 der Serie steht hier
Alles war so gut geplant: Rechtzeitig vor der Europawahl wollte sich die EU ihren Bürgern in Hochform und runderneuert präsentieren. “Wir haben die Lehren aus dem Brexit gezogen”, wollte Kommissionschef Jean-Claude Juncker stolz verkünden.
Doch daraus wurde nichts. Im Frühjahr 2019 stand die EU mit leeren Händen da, der Brexit wurde vertagt, die Briten durften bzw. mussten das neue Europaparlament wählen. So wurde die Wahl zur Farce, ein Teil der EU-Abgeordneten ist auf Abruf.
Dabei hat es an gutgemeinten Versuchen, die EU zu erneuern, nicht gefehlt. Gleich nach dem Brexit-Referendum im Juni 2016 begann der so genannte Bratislava-Prozeß, der die Union neu aufstellen sollte. Nach dem Brexit werde nichts mehr so sein wie vorher, hieß es.
Der nächste Anstoß kam aus Paris. In seiner berühmten Sorbonne-Rede im September 2017 forderte der neue Staatschef Emmanuel Macron, einen Neustart zu wagen – zur Not mit einem harten “Kern”, den Deutschland, Frankreich und die Eurozone bilden sollte.
Ein halbes Jahr später schien sich auch in Berlin etwas zu bewegen. Die neue GroKo vereinbarte Anfang 2018 in ihrem Koalitionsprogramm einen “Aufbruch für Europa”. Er war bescheidener als Macrons große Vision, schien aber damit kompatibel.
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Doch dann passierte zweierlei. Zum einen bremste Kanzlerin Angela Merkel alle großen Reformpläne systematisch aus. Nur in der Außen- und Sicherheitspolitik hat sich Deutschland vor der Europawahl ein wenig bewegt, ansonsten herrschte der Status Quo.
Zum anderen bildeten sich zwei neue Kreise, die der EU ihren Stempel aufdrückten: Die von den Niederlanden angestoßene “Hanseatische Liga”, die sich vor allem Frankreich entgegenstellte – und die Visegrad-Gruppe, die Osteuropa gegen “den Westen” in Stellung brachte.
Diese beiden Kreise übernahmen im Kern die Politik, die bisher Großbritannien verfolgt hatte: Die Hanseaten in der Wirtschafts- und Finanzpolitik, die Osteuropäer in der Innen- und Außenpolitik. Das Ergebnis dieser Entwicklungen: Stillstand in allen Bereichen.
Niemand konnte sagen wohin die Reise geht
Kurz vor der Europawahl kam nicht nur die Reform der Eurozone zum Erliegen. Auch die seit Jahren versprochene Dublin-Reform und die gemeinsame Flüchtlingspolitik endeten im Nirgendwo. Schließlich wurde auch noch der Brexit verschleppt.
Deshalb fanden die Europawahlen in einem merkwürdigen Zwielicht statt. Niemand konnte sagen, wohin die europäische Reise in den nächsten Jahren geht, die Staats- und Regierungschefs standen mit leeren Händen da, selbst Macron konnte nicht “liefern”.
Nur in einem waren sich die Chefs einig: Anders als bei der Europawahl 2014 würden sie sich diesmal nicht die Butter vom Brot nehmen lassen. Man werde schneller handeln als das Europaparlament, gelobte Ratspräsident Donald Tusk – und er sollte Recht behalten…
FAZIT: Die EU ist schlecht vorbereitet in die Europawahl gegangen. Die großen Versprechen nach dem Brexit-Referendum wurden nicht eingelöst, ein neuer Kurs wurde nicht bestimmt. Wo 2014 noch ein “europäischer Frühling” lockte, ging es 2019 nur um die Verteidigung des Status Quo.
Siehe auch “Europawahl im Zwielicht” (Beitrag für die Blätter für deutsche und internationale Politik”) sowie mein E-Book “Der verhinderte Neustart”. Teil 3 der Serie steht hier
Kwasir
31. Juli 2019 @ 19:31
Wieso ging “die EU” schlecht vorbereitet in die “Europa”-Wahl ? Es ging doch nicht um Europa, ‘nur’ um die Verteilung der 751 Sitze im Europaparlament, also im besten Falle um die Positionen einzelner (einige hundert !) mehr oder weniger großen Parteien, jede mit ihren eigenen, mehr oder weniger umfangreichen NATIONALEN Wahlprogrammen, die die wenigstens gelesen oder gar verstanden haben dürften. Keine Parteifamilie hat es geschafft, sich wenigstens auf ein gemeinsames, in allen 28 MS gültigen Wahlprogramm zu einigen.
Der Wähler hat zuumindest signalisiert wohin er möchte, dass es gehen sollte : deutlich weniger Europa Groko (EVP-S&D), mehr Liberale (renew Europe), mehr Grün (“Klima”) und mehr Rechtspopulismus (Migration). Das könnte bedeuten verkürzt gesagt, weniger Merkel, mehr Macron. Viel interessanter als die “Europawahlen” dürfte doch der Politikinhalt und die Gewichtung des neuen MFR 2020 -2027 an dessen Erarbeitung und Verabschiedung nicht nur die Kommission, sondern letztlich das Parlament und insbesondere die geldgebenden MS sich mit ihren Vorstellungen eines ‘fortschrittlich-zu reformierenden’ Europa einbringen werden und das ‘much of the same’ sein wird. Wer will schon gern verzichten oder gar teilen ? Ohne Druck aus den nationalen Parteien und Parlamenten auf ihre Regierungen als den eigentlichen EU Machtfaktoren wird sich nicht viel tun. Und da reicht es schon, das MdB des Wahlkreises zu fragen, wie er/sie sich die Zukunft der EU vorstellen, um zu wissen, wer sich da noch besser auf Europa vorbereiten sollte …
Claus
31. Juli 2019 @ 11:42
Was spricht gegen die Reduktion der EU bis auf eine Freihandelszone (wie gehabt) und Bündelung gemeinsamer Kerninteressen wie der Verteidigung? Verantwortung für die eigene Währung, Abschaffung von Euro, EZB, EuGH, EGMR, Klimakatastrophismus, Grenzwert-Wahn, Regulierungswut und Giesskannen-Verteilung von Geldern, die den Steuerzahlern vorher abgepresst wurden. Schutz der eigenen Landesgrenzen. (Alte Bauernregel: Gute Zäune machen gute Nachbarn). Wäre es da nicht friedlicher in Europa mit weniger Zank, Intrige, Zwietracht, Scheindemokratie und Geldverschwendung?
Holly01
31. Juli 2019 @ 12:07
@ Claus:
Wenn Deutschland dem 2% Ziel der NATO folgt und 85Mrd. Euro pro Jahr für Rüstung ausgibt, bedeutet das quasi automatisch Krieg.
Kein Politiker in Europa kann ein wirtschaftlich übermächtiges Deutschland zulassen das sich mit exorbitant übermächtiger Armee ausgestattet wird.
Niemand.
Da stehen selbst die Be-Ne-Lux Staaten in den Startlöchern, weil die es nicht lustig fanden zwei mal als Aufmarschgebiet missbraucht und danach besetzt zu werden, obwohl sie sich für neutral erklärt hatten.
So dämlich der Ansatz ist, aber daher kam ja dieses Deutschland hassende “Deutschland muss unter gehen, damit Europa leben kann” der “ultra” Linken.
Aber mit einem Vakuum im Zentrum Europas, wäre es nicht stabiler.
Summe= Es geht nur mit maximaler Zusammenarbeit.
vlg
Peter Nemschak
31. Juli 2019 @ 13:19
Was spricht gegen die weitere Integration in unterschiedlichen Geschwindigkeiten? Eine gemeinsame Währung im Konzert von Dollar, Yen und Yuan hat geopolitische Vorteile. Es gibt auch andere gemeinsame Interessen. Im Grunde steht nichts gegen eine gemeinsame, natürlich auf die Bedürfnisse jedes Mitgliedslands abgestimmte Migrationspolitik. Ebenso ergibt es bei der Klimapolitik Synergien. geopolitisch ist jedes einzelne Mitgliedsland ein zu kleiner Machtfaktor und wird leicht zum Spielball der Großen. Das gilt auch für das UK, selbst wenn es das derzeit verdrängt.
Kwasir
31. Juli 2019 @ 18:28
@ Claus: Was hat denn der EGMR mit der EU zu tun ? Im Übrigen: wie schon das Rutenbündel der alten Etrusker (heute im Hoheitszeichen Frankreich integriert) symbolisiert : einen Stab kann man leicht brechen, viele, auch noch fest zusammengeschnürt, nicht.
Und noch eine – wie finde weisere -Bauernregel (die ich in Afrika gehört habe) : wenn du schnell gehen willst : gehe alleine ! Wenn du aber weit kommen willst, dann mußt du zusammen mit anderen gehen ! Die Geschichte Europas und besonders die unsrige zeigt sehr deutlich, wieweit die Schnellgeher gekommen sind. Das spricht dagegen – alles klar ?
Claus
1. August 2019 @ 08:50
@Kwasir, zum Thema EGMR: Er gehört zum Europarat und formal nicht in die EU-Organisation, wobei der EGMR den Bestrebungen der EU verpflichtet zu sein scheint, was auch durch Verwendung von EU-Symbolik wie EU-Sternenflagge und EU-Hymne deutlich wird, wie auch sein Sitz in Straßburg. Da wird man doch wohl mal ein gemeinsames Gläschen Wein trinken dürfen, wenn der EU-Wanderzirkus in Straßburg weilt, und sich über anstehende Themen austauschen. EGMR-Urteile greifen zum Teil tief in die Rechtsordnung einzelner Staaten ein und in der Rechtsprechung wird der Sinn einzelner Urteile recht kontrovers diskutiert. Hierzu gehören Urteile, die die Meinungsfreiheit einschränken (EGMR: “Gesellschaftliches Klima muss berücksichtigt werden.”) Ob dies dem europäischen Zusammenhalt dient, sei dahingestellt. So hatten die Briten stets ein “Issue” mit EGMR-Urteilen vs. der elementaren britischen Rechtstradition “Sovereignty of Parliament”, möglicherweise hat auch dies (neben Merkels offenen Grenzen und Sozialmissbrauch durch Niederlassungsfreiheit) dazu beigetragen, das Brexit-Fass zum Überlaufen zu bringen.
Holly01
1. August 2019 @ 09:57
Der BREXIT ist, war und wird bleiben, eine Kampagne die von einer Hand voll Leuten inszeniert wurde. Diese Leute haben die Möglichkeit das auch zu publizieren und genug Fußvolk, um das durchzusetzen.
Das einzige was man gut gemacht hat, war das man einerseits den „unten“ gesagt hat „wehrt Euch“ und den oben gesagt hat „Ihr könnt nur gewinnen“.
So ist man damit durch gekommen …
Um dieses Gemenge anzustimmen bedufte es nur der Bedienung vorhandener Ressentiments.
Und das wird den BREXIT auch besiegeln. Diese Hand voll Leute ist nach wie vor Kampagnen fähig und wirk mächtig, durch Einfluss.
Eine Wiederholung käme zum selben Ergebnis.
Auch und gerade weil Corbyn nicht Fisch und nicht Fleisch ist, sondern Windel weich herum eiert, also wahrscheinlich zur Kampagne gehört, die May im Parlament so vernichtend zerfetzt hat.
vlg
Kwasir
1. August 2019 @ 12:26
@Claus – also den EGMR doch nicht abschaffen ? Oder am besten doch und den Europarat mit dazu, dann wären auch die Russen wieder mal draußen, wie auch alles sonst, was nach „Europa…–“ zu klingt. ?
A propos „scheint“: Flagge, Hymne etc. sind Europarat Symbolik . Diese Symbole wurden von der EG nach Aufforderung und Zustimmung des Europarats vor 33 Jahren offiziell verwendet, sie sind aber bislang noch nicht Bestandteil der EU Verträge. Soviel zum Faktischen. Es ist eben nicht alles was blau ist, immer auch EU .-))
Peter Nemschak
31. Juli 2019 @ 09:08
Wer die Entwicklungen in der EU beobachtet, wird zum Schluss kommen, dass angesichts der Vielzahl von Mitgliedsstaaten mit unterschiedlichen politischen Vorstellungen die Idee eines supranationalen Europas illusorisch ist. Demokratie und Supranationalität sind nicht gleichzusetzen. Es wäre der europäischen Idee dienlich, die Bürger über die Möglichkeiten und Grenzen der derzeitigen institutionellen Struktur der EU aufzuklären, ihre Vor- und Nachteile zu erläutern Das wird nicht ganz leicht sein, weil die Struktur der EU-Institutionen und ihr Zusammenwirken mit den Nationalstaaten kompliziert ist und selbst manche Studenten der Politikwissenschaft überfordert. Abgesehen davon, wie viele Bürger interessieren sich tatsächlich für politische Prozesse ? Selbst in der nationalen Politik sind Politiker und ihre tatsächlichen und vermeintlichen Skandale wichtiger als politische Programme und deren Umsetzung, abgesehen davon, dass sich Parteiprogramme im politischen Zentrum sehr ähneln: es muss für jeden etwas dabei sein. Würden die demokratisch orientierten Parteien endlich eine für die Bürger verständliche zukunftsorientierte Politik (Migration, Klimawandel, Wohlfahrtsstaat in Zeiten demografischen Wandels) betreiben, statt ihre Ideenlosigkeit hinter Alternativlosigkeit zu verbergen, wäre mehr gewonnen. Hinter dem Ruf nach mehr Demokratie steckt das Verlangen nach mehr inhaltsorientierter Politik, welche die Wünsche und Sorgen der Bürger aufgreift statt sie den Rechten zu überlassen.
Holly01
31. Juli 2019 @ 07:55
Das ist keine schlechte Vorbereitung. Es geht um existenzielle Sorgen. Ich habe mir selbst lange vorgemacht, die Briten sind das Zentrum des Problems. Das sind eben historische Quertreiber, die immer den Kontinent untergraben und Kriege herbeiführen.
Das ist aber zu kurz gedacht.
“ Zum anderen bildeten sich zwei neue Kreise, die der EU ihren Stempel aufdrückten: Die von den Niederlanden angestoßene “Hanseatische Liga”, die sich vor allem Frankreich entgegenstellte – und die Visegrad-Gruppe, die Osteuropa gegen “den Westen” in Stellung brachte. “
Den Briten gelingt das so einfach, weil es eben die Interessen gibt, die von den Briten (oder besser heute den USA) bedient werden.
Das führt zu der europäischen Blockade. Darum haben die Briten die USA zur Hilfe gerufen, um die Blockade aufzuheben (und das ist nach dem DoppelWK gelungen).
Es führt nur in einer Abhängigkeit und der Hegemon steht vor dem Kollaps. Das Dollarregime ist in Auflösung und militärisch können die USA nicht die ganze Welt in Schach halten. Der Hegemon tritt ab.
Damit fällt Europa in die alte Blockade zurück. Die hat schon zu manchen Kriegen und zum Aufstieg und Fall so mancher lokalen Führungsmacht geführt.
Das würde auch so weiter gehen, wenn es weiter ginge.
Geht es aber nicht.
Russland und China werden den Fall der USA überleben.
Die EU wahrscheinlich nicht.
Das ist die Situation und das ist die Quelle der nationalen Existenzängste.
Das führt einerseits zu den deutschen (Dominanz) Auswüchsen, ala Austerität und Griechenland.
Andererseits zu den Reparationsforderungen diverser Staaten.
Es führt aber auch zum Konflikt der beiden inkompatiblen Ansätze:
EU der Einzelstaaten mit Rest Souveränität.
EU der einen Stimme, einen Rechtsraums, der vereinigten Staaten von Europa.
Die einzige Verbindung ist die militärisch/polizeilich/geheimdienstliche Zusammenarbeit.
Die entspringt aber der Angst.
Die Totalüberwachung kennt den Überwacher nicht.
Es gibt keine Sicherheit.
Kollabieren die USA wird die Totalüberwachung von anderen übernommen.
Russland und China haben sich vorbereitet.
Die EU kann das nicht.
Die USA werten jeden Versuch der EU sich zu schützen als kriegerischen Akt.
Wir stehen militärisch und gesellschaftlich komplett offen und angreifbar da.
Darum verpennen wir auch die Digitalisierung.
Die Digitalisierung würde das Problem maximieren.
Kurz um: Die EU kann sich nicht entwickeln. Der Status quo ist die einzige erträgliche Position für (halbwegs) alle ausser dem UK und die schwanken da selbst um die 50% Zuspruch und Ablehnung.
vlg