Mit Assad reden
Was ist eigentlich in Syrien los? Diese Frage wird auch in Brüssel lauter, seitdem klar ist, dass die EU die Flüchtlingskrise nicht in den Griff bekommt. Soll man auf den Sturz von Präsident Assad warten, oder im Gegenteil mit ihm reden? – Ein Gastbeitrag.
Von Ulrich Gellermann
Für die BILD-Zeitung ist der syrische Präsident Assad immer noch der „Schlächter“. Ob man dort fairerweise demnächst den US-Präsidenten „Drohnen-Mörder“ nennen wird oder die Kanzlerin „Waffen-Export-Königin“, ist unsicher.
Sogar das Zentralorgan deutscher Kriegsbegeisterung, die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG schreibt vom „Reden mit Assad“. Mehr als 160.000 syrische Flüchtlinge in Deutschland lassen sogar schwer Blockierte nachdenken: Frau von der Leyen erkennt „gemeinsame Interessen“ mit Russland in Syrien, Horst Seehofer fordert sogar eine Zusammenarbeit mit Putin, wenn es um Syrien geht.
Auch die Mutter aller Flüchtlinge, Angela Merkel, erwägt eine Kooperation mit Russland in Syrien: „. . . sonst wird es keine Lösung geben“. Nach vier Jahren blinder westlicher Kriegsbegeisterung, nach einer Viertelmillion toter Syrer, nach dem Versuch ein Regime auszuwechseln, das den USA nicht so gut gefällt wie das Regime in Saudi Arabien, beginnt in Deutschland ein verzagtes Nachdenken.
Syrien, seit seiner Existenz in künstliche Kolonial-Grenzen eingepfercht, war nie das, was man in Europa unter einer Nation versteht. Die Loyalität der sehr unterschiedlichen Einwohner Syriens gehörte und gehört zumeist einer der vielen Ethnien oder Religionsgemeinschaften. Erst kommt die Familie, der Clan, dann lange nichts, dann vielleicht der Staat.
Vor allem die syrischen Minderheiten – Kurden, Alawiten, Christen – fanden unter dem Patronat der Familie Assad, erst des Vaters dann des Sohnes, einen erzwungenen Schutz. Als der laizistische Grundgedanke des syrischen Staates beschädigt wurde – durch den Druck orthodoxer Sunniten wurde ein Bekenntnis des Präsidenten zum Islam als obligatorisch durchgesetzt – geriet die Balance der Interessengruppen in Syrien zunehmend in eine Schieflage: In den 1980er Jahren forderten in Syrien Vertreter der sunnitischen Opposition sogar die Liquidation der Alawiten.
Tatsächlich ist die syrische Opposition bis heute im Wesentlichen durch Sunniten geprägt: Sie wird von der orthodoxen Muslimbruderschaft beeinflusst und erhält ihre Waffen und ihre Ideologie primär aus Saudi Arabien und Katar.
Diese Gemengelage eines religiös kaschierten Interessenkampfes hat den Westen nie gehindert, zu behaupten, dass Assad einem Krieg gegen das eigene Volk führe. Dahinter ließ sich das eigene Interesse, zu dem die Liquidierung des letzten russischen Militärstützpunktes in Syrien gehört, wunderbar verbergen.
Millionen von Flüchtlingen, brutale Zerstörungen und Massaker an Alawiten durch die oppositionelle al-Nusra Front – gern wurden auch Frauen und Kinder getötet, ohne einen „Schlächter“-Aufschrei auszulösen – irritiert Barack Obama bis heute nicht: „Russland glaubt weiter, dass Assad – der traditionell ihr Partner ist – jemand sei, der es wert ist, unterstützt zu werden. Aber wir werden Russland wissen lassen, dass sie nicht an einer Strategie festhalten können, die dazu verdammt ist, zu scheitern“ erfährt die Welt vom Präsidenten der USA .
Der eindimensional denkende Obama, versucht immer noch, die politische Tagesordnung in Syrien zu bestimmen. Dass er dafür seit Jahr und Tag mit den IS-Vorläufern, mit al-Qaida, mit al-Nusra und anderen Dschihadisten, paktiert, setzt nur jene US-Tradition fort, die ja auch die Taliban in Afghanistan unterstützte, um amerikanische Interessen durchzusetzen.
Wer den Krieg in Syrien beenden will, muss mit allen reden. Auch mit Baschar al-Assad wird man sprechen müssen, der nach wie vor wesentliche Teile der Armee und ein kompliziertes Geflecht von syrischen Interessengruppen repräsentiert. Ganz zu schweigen von seinen Unterstützern im Iran und im Libanon.
Von der Menschenvernunft, die Verhandlungen verlangt, statt zu bomben, ist die offizielle deutsche Politik immer noch weit entfernt. Auch bei Frau van der Leyen, die erwägt mit Russland über Syrien zu reden, regt sich der schwere Einmischungs-Virus: Sie will den Bundeswehr-Einsatz in Iraks Norden, unweit von Syrien, ausweiten.
Die Dame will mit deutschem Militär Probleme der USA lösen. Offenkundig sind ihr die rund 50.000 irakischen Flüchtlinge in Deutschland nicht genug. Denn augenscheinlich können nur die Flüchtlingsströme jene Vernunft herstellen, die vor dem Handeln das Gehirn einschaltet. Für die Toten des syrischen Krieges kommt diese Vernunft zu spät.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der „Rationalgalerie, das Original steht hier.
OXIgen
17. September 2015 @ 00:13
@ DerDicke
@Carlo
Ihr könnt noch so logisch argumentieren, die Nemschaks dieser Welt sind mit Verstand nicht zu erreichen. Unser spezieller Nemschak hier hat an seiner Geisteshaltung ja nie einen Zweifel gelassen. Wer nicht in sein grottiges US-Weltbild passt, „muss weg“ oder „entfernt werden“ und zwar vorzugsweise mit Waffengewalt. Klar will er Krieg, denn anders ist sein verrottetes Imperium ja nicht mehr zu retten. Denkt er in seiner inbrünstig neoliberalen Einfalt. Dass in der Realität die Karten gerade ganz anders gemischt werden, blendet er lieber aus.
@Nemschak
Wenn für Sie „Krieg zum Instrumentarium der Internationalen Beziehungen gehört“, also in Ihren Augen selbstverständlich ist, dann sollten Sie jetzt mal hurtig in die Puschen kommen und selber gegen die Feinde Ihres Systems antreten. Wenn Sie erfolgreich waren, können Sie dann ja hier davon berichten.
Peter Nemschak
17. September 2015 @ 13:27
Sie verwechseln die Realität mit dem, was Sie sich wünschen.
Peter Nemschak
16. September 2015 @ 13:43
@Der Dicke halten Sie sich an das, was Sie wollen und lassen sie endlich den Paragrafen mit dem Angriffskrieg. Dieser war auf die Angriffskriege der Nazis gemünzt und passt so überhaupt nicht zur Situation in Syrien. Bis in Syrien Frieden einkehrt, wird es noch viele Tote geben, mit oder ohne Intervention des Westens. Letztlich wird sich ein Gleichgewicht der Mächte einstellen: Iran als regionale Hegemonialmacht mit Russland als Schutzmacht und Saudiarabien als hegemoniale Macht mit den USA im Rücken. Was im Jemen derzeit läuft, bestätigt meine Einschätzung. Die anderen Staaten werden sich über kurz oder lang um die Hegemonialmächte je nach Religionsorientierung gruppieren. Vielleicht haben die USA verstanden, dass man sich in einer schwierigen Region wie dem Mittleren Osten und angesichts beschränkter eigener Ressourcen Stellvertreter bedienen muss, um hegemoniale Ambitionen in Konkurrenz mit anderen auszuleben. Die EU ist in diesem Konflikt, wie so oft, konzept- und ambitionslos.
Carlo
16. September 2015 @ 15:33
Herr Nemschak, Ihr Dialog mit der „DerDicke“ ist ja echt ein Augenöffner. Sie wollen also Krieg. Ich schrieb es Ihnen an anderer Stelle bereits: Holen Sie sich ein Gewehr und fahren Sie nach Syrien und bekämpfen Sie Assad.
Lassen Sie die anderen Menschen und vor allem die „liberale“ „Demokratie“ Deutschland einfach in Ruhe, welche Sie wohl auch nicht verstehen. Das Grundgesetz wurde nach den Angriffskriegen des Deutschen Reiches verfasst und gilt jetzt und für die Zukunft. Ja, wenigstens eine Regierung hat das Gesetz gebrochen (1999) und dies sollte sich nicht wiederholen.
Mag sein, dass Ihnen Österreich zu klein ist, anders kann ich mir Ihre Hegemonialmachtsträume nicht erklären, aber das ist nun einmal so. Dann ziehen Sie vielleicht in die USA. Aber hören Sie bitte mit Ihrem Kriegsgeheul auf. Krieg ist was für Dumme und Psychopathen. Intelligent, klug und human (und demokratisch) ist es, Frieden zu machen, zu erhalten und im Frieden zu leben.
Wenn es eine wichtige Grundlage für eine Demokratie gibt, dann ist es zuerst der Frieden. Die Alternative zu Frieden ist nicht Krieg. Der Frieden hat keine Alternative, ganz egal, was irgendwelche Think Tanks der Eliten auskotzen.
„Nun, natürlich, das Volk will keinen Krieg. Warum sollte auch irgendein armer Landarbeiter im Krieg sein Leben aufs Spiel setzen wollen, wenn das Beste ist, was er dabei herausholen kann, daß er mit heilen Knochen zurückkommt? Natürlich, das einfache Volk will keinen Krieg; weder in Rußland, noch in England, noch in Amerika, und ebenso wenig in Deutschland. Das ist klar.“
Das wusste sogar Hermann Göring. Krieg ist immer ein Eliten-Projekt.
Peter Nemschak
16. September 2015 @ 18:01
@Carlo Wie kommen Sie auf die Idee, dass ich Krieg will? Allerdings bin ich Realist genug zur Kenntnis zu nehmen, dass Krieg zum Instrumentarium der Internationalen Beziehungen gehört. Macht und Gewalt bestimmen das internationale Staatengefüge. Daran wird sich in absehbarer Zukunft wenig ändern. Die Geschichte der Staaten spricht dagegen.
Carlo
16. September 2015 @ 23:55
Wenn ich Ihre Beiträge lese, und Sie wollen doch, dass sie gelesen werden, dann sehe ich schon im ersten Beitrag wohin die Reise geht.
„Jedenfalls Assad muss weg…
..Man fragt sich, wozu viele Länder im Westen eine Berufsarmee haben, wenn sie so zögerlich sind, sie einzusetzen. Berufssoldaten sind dazu da, die Interessen ihrer Staaten mit militärischer Gewalt und möglichst effektiv durchzusetzen.“
Was haben Sie persönlich mit Assad zu schaffen? Kennen Sie ihn? Hat er Ihnen einen Kalb von Ihrer Alm geklaut? Oder verbreiten Sie nur hysterische Kriegspropaganda? Assad ist das Problem der Syrer. „Die“ haben ihm zur Macht verholfen und müssen sehen, wie sie ihn wieder los werden. Und so etwas kann ganz friedlich ablaufen, wenn sich wirklich eine Mehrheit einig ist.
Sie wollen also für die Berufssoldaten zum Angriff blasen. Sie bedauern, dass man im Westen zögert. Sie verstehen überhaupt nicht, dass ein Staat schon per Definition, kein Interesse haben kann. Jemand in einem Staat kann ein Interesse haben. Also nennen Sie die Leute beim Namen und verstecken Sie sich nicht hinter einer politischen Ordnung, die viele Interessen beheimatet.
„Man fragt sich…“ Nein „man“ fragt sich nicht. Sie, oder Menschen wie Sie, fragen sich. Oder haben Sie mich oder DerDicke oder noch jemanden anders hier auf dieser Seite gefragt? Verdammte Demagogie.
Und nein Sie sind kein Realist. Ein Realist sieht, was im Krieg angerichtet und was hinterlassen wird. Mord und Totschlag, Vergewaltigungen, Hunger, Witwen, Waisen, Chaos und Zerstörung. Krieg kommt und geht nicht von allein wie ein Erdbeben. Er ist von Menschen gemacht.
Sie sind ein Schoßhündchen der Eliten und plappern nach, was deren Elite-Think Tanks auskotzen. Und Sie nehmen zur Kenntnis, dass Krieg zu internationalen Umgangsformen gehört. Krieg ist für Sie also normal wie ein Sonnenaufgang?
„Macht und Gewalt bestimmen das internationale Staatengefüge“ – Warum ist das so und warum muss das so sein? Erklären Sie es mir?
Jedenfalls wissen Sie nun, wie ich auf die Idee kam. Deshalb: Holen Sie sich ein Gewehr und fahren Sie nach Syrien, schliessen Sie sich ihren Freunden an und bekämpfen Sie Assad.
Peter Nemschak
15. September 2015 @ 20:32
Das renommierte Institute for Strategic Studies in London ist anderer Meinung: der Westen muss die Sunniten auf seine Seite bringen, sonst besteht die Gefahr, dass sie sich dem IS anschließen. Ohne Bodentruppeneinsatz wird es wohl nicht funktionieren. Jedenfalls Assad muss weg. Außer auf eine Minderheit kann er sich nicht auf andere Bevölkerungsgruppen in Syrien stützen. Man fragt sich, wozu viele Länder im Westen eine Berufsarmee haben, wenn sie so zögerlich sind, sie einzusetzen. Berufssoldaten sind dazu da, die Interessen ihrer Staaten mit militärischer Gewalt und möglichst effektiv durchzusetzen. Selbst Russland glaubt nicht an die Zukunft von Assad, wenn es ihn auch gegen den IS vorläufig benutzen will.
DerDicke
16. September 2015 @ 06:35
Herr Nemschak, wir versuchen es nochmal ganz langsam – Soziopathen haben es ja nicht so mit der Abschätzung der Folgen ihrer Handlungen.
Afghanistan -> Irak -> Libyen. Was haben diese Länder gemeinsam?
Zusatzfrage: Was wird in Syrien passieren, wenn es keine politische Führung mehr gibt?
Zusatzfrage 2: Wie viele syrische Flüchtlinge verkraftet Österreich?
Nehmen Sie sich ruhig Zeit und einen PC und recherchieren Sie ein wenig im Netz, abseits von Bild, Kurier und Kronen Zeitung.
BTW: Auch Merkel stützt sich auf eine Minderheit. 41.5% für die CDU/CSU bei 60% Gesamtstimmen für die Parteien im Bundestag -> Nur 24.9% der Bevölkerung haben diese Parteien gewählt. Muss die jetzt auch weg?
Ach ja, Sie sind außerdem ein elender Kriegstreiber.
Peter Nemschak
16. September 2015 @ 10:24
Gegen einen pazifistischen Träumer wie Sie ist schwer zu argumentieren. Lesen Sie wenigstens alternative Meinungen Dritter, z.B. strategischer Think Tanks wie dem International Institute for Strategic Studies, die sich professionell mit dem Thema beschäftigen, bevor sie irgend etwas von sich geben. Krieg gehört leider zum Instrumentarium der internationalen Beziehungen. Das zu leugnen ist schlicht realitätsfremd.
DerDicke
16. September 2015 @ 10:53
Im Gegensatz zu Ihnen halte ich mich an geltendes Deutsches (und bestimmt auch Österreichisches) Recht:
Art. 26(1) GG
Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.
§ 80 StGB
Vorbereitung eines Angriffskrieges
Wer einen Angriffskrieg (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes), an dem die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sein soll, vorbereitet und dadurch die Gefahr eines Krieges für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft.
Nennen Sie mir einen – nur einen einzigen! – Krieg, der irgendetwas verbessert hätte. Oder einen Militäreinsatz der USA, bei dem etwas verbessert wurde.
https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Milit%C3%A4roperationen_der_Vereinigten_Staaten
Peter Nemschak
16. September 2015 @ 11:37
Die Koalition im deutschen Bundestag hat eine klare Mehrheit, auch wenn es ihnen persönlich nicht passen mag. Die „demokratischen“ Verhältnisse in Syrien mit der liberalen Demokratie Deutschlands zu vergleichen, ist doch ein wenig weit hergeholt.
DerDicke
17. September 2015 @ 06:40
Ei gucken Sie mal – „vier oder fünf“ moderate Syrische Rebellen haben die USA ja schon. Oder besser gesagt, noch, der Rest ist bei ISIS und Al-Nusra gelandet. Ein voller Erfolg der Interventionen, wie immer 🙂
http://www.zerohedge.com/news/2015-09-16/total-failure-pentagon-spends-41-million-training-four-or-five-syrian-fighters
C.A.Wittke
15. September 2015 @ 18:39
Natürlich muß man mit Assad reden – seit Beginn hätte man das tun müssen! Sollte Assad gestürzt werden ist das Chaos, das im Irak und in Afghanistan herrscht, das in Libyen, Tunesien und Ägypten schwelt Programm! Wie fremdgesteuert und willenlos, wie dumm und dämlich muß man sein, um das nicht schon in der ersten Klasse politische Geschichte verstanden zu haben? Von Diplomatie ganz zu schweigen.
GS
15. September 2015 @ 18:20
Der Meinung schließe ich mich an und es ist auch überhaupt nichts Neues. Assad und seine Amtskollegen in diversen Ländern vor dem sog. Arabischen Frühling waren ein weitaus geringeres Übel als das, was seither gekommen ist und zu kommen droht.
Was nun unsere Schwerblockierten betrifft: Man kann ihnen zugute halten, dass sie nicht in vorderster Front marschieren. Mehr ist in Deutschland zu machen, denn den außenpolitischen Kurs unseres Landes bestimmen wir eben nur in Teilen selbst, und den des Westens schon mal gleich gar nicht.