“Mission creep” in der Ukraine

Die EU wurde geschaffen, um den Frieden in Europa zu sichern – und nicht, um Krieg zu führen. Nun leidet sie unter “mission creep” – der Krieg findet kein Ende, und in Brüssel beschäftigt man sich plötzlich mit Dingen, die mit der eigentlichen Mission nichts mehr zu tun haben. – English version here

Mission creep

– a gradual shift in objectives during the course of a military campaign, often resulting in an unplanned long-term commitment

– the gradual broadening of the original objectives of a mission or organization

Oxford Languages und Merriam-webster

Beide Definitionen treffen auf die EU zu. Mit ihrer finanziellen und militärischen Hilfe hat sie dazu beigetragen, die russische Invasion zu stoppen und Gebiete zurückzugewinnen – aber auch, den Krieg zu verlängern. Sie ist selbst Konfliktpartei geworden.

Damit sind nicht nur die Ziele verschoben worden, wie in unserer Definition. Die neue Mission wir auch zum Dauereinsatz. Die EU gelobt, die Ukraine “so lange wie nötig” zu unterstützen, ein Ende ist nicht absehbar. Dies ist das unplanned long-term commitment.

Der “mission creep” gilt jedoch nicht nur in der Ukraine, sondern mehr und mehr auch gegenüber Russland. Besonders deutlich wurde dies in der vergangenen Woche. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stellte zwei neue Initiativen vor:

  • Zum einen soll die EU einen Sondergerichtshof zur Verurteilung von russischen Kriegsverbrechen aufbauen.
  • Zum anderen will sie das beschlagnahmte russische Vermögen in einen Treuhandfonds überführen, um daraus Reparationen für die Ukraine zu finanzieren.

Beide Vorschläge gehen offenbar auf entsprechende Wünsche des ukrainischen Präsidenten Selenskyj zurück. Von der Leyen macht sie sich zu eigen – Selenskyjs Agenda wird so zur europäischen, die ukrainische Opfer-Perspektive zum Fokus der europäischen Politik.

Das ist an sich schon problematisch. Von der Leyen sollte nicht die Interessen der Ukraine vertreten, sondern jene der 27 EU-Mitglieder (dass ist nicht dasselbe). Sie soll keine ukrainische Brille aufsetzen, sondern eine europäische. Für ihre neue Mission hat sie kein Mandat.

Doch es kommt noch schlimmer: Die EU ist diesen Aufgaben nicht gewachsen, sie verfügt nicht über die nötigen Mittel. Sie kann nicht einmal sagen, worum es geht. Beim russischen Vermögen muß sie sich auf Schätzungen verlassen, genaue Zahlen gibt es nicht.

Auf Nachfrage kam heraus, dass die EU-Kommission nicht einmal weiß, wo die Milliarden der russischen Zentralbank angelegt sind. Sie hat auch keinen Schimmer, auf welcher Rechtsgrundlage sie das Vermögen konfiszieren und an die Ukraine auszahlen kann.

Ein Problem für Völkerrechtler

Ähnlich konfus ist die Lage bei den Kriegsverbrechen. Es gibt schon einen Strafgerichtshof in Europa (Den Haag) – doch da Russland dort nicht Mitglied ist, kann er nicht tätig werden. Für ein Sondergericht gilt dasselbe. Selbst Völkerrechtler sehen da ein Problem 🙂

Beide Initiativen sind schlagende Beispiele für den “mission creep”. Die EU übernimmt Aufgaben, für die sie nicht zuständig und nicht gewappnet ist – und vergisst dabei ihre eigentliche Mission: den Frieden in Europa zu sichern bzw. wiederherzustellen.

Nun zieht sich der Krieg in die Länge. Das unplanned long-term commitment könnte uns noch Monate, wenn nicht Jahre beschäftigen. Es dürfte den Charakter der EU völlig verändern. Schon nach neun Monaten Krieg ist sie kaum wiederzuerkennen…

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