Merkels Ukraine-Politik ist gescheitert
Müssen wir uns um die deutsche Europapolitik sorgen, weil Kanzlerin Merkel ihren Rückzug plant? Nein, beruhigt die “Tagesschau”: Merkel stehe zu ihrem Kurs, wie ein Besuch in der Kiew zeige. Dabei ist genau das das Problem.
“Ruhig bleiben und weitermachen” überschreibt die “Tagesschau” ihren Bericht aus Kiew. Merkel hatte dem ukrainischen Präsidenten Poroschenko den Rücken gestärkt und eine Verlängerung der Russland-Sanktionen angekündigt.
Dass sie “äußerst ungerührt” ihre Politik bekräftigt, ist keine Überraschung. Schließlich hat Merkel Poroschenko von Anfang an die Stange gehalten. Sie hält ihn – genau wie ihre eigene Ukraine-Politik – für alternativlos. Dabei häufen sich die Alarmsignale:
- Das Friedens-Abkommen von Minsk, das den Konflikt mit Russland in der Ostukraine entschärfen sollte, wird weniger beachtet denn je. Nicht nur Moskau, auch Kiew setzt sich darüber hinweg.
- Die umstrittenen Reformen, die die EU und der IWF der Ukraine verschrieben haben, kommen kaum voran. Das weiß natürlich auch Merkel – doch bei ihrem Besuch in Kiew erwähnt sie es mit keinem Wort.
- Die soziale und wirtschaftliche Lage ist kritisch. Im vergangenen Jahr kamen mehr Ukrainer als Syrer in die EU, die meisten suchten in Polen Arbeit. 2017 waren es mehr als eine halbe Million.
All das zeigt, dass die Ukraine-Politik der EU, die maßgeblich von Merkel formuliert wurde, gescheitert ist. Wenn die Kanzlerin ihren Job richtig machen würde, müsste sie das sehen – und Konsequenzen ziehen.
Das tut sie aber nicht. Die einzige News aus Kiew ist, dass die Russland-Sanktionen verlängert werden sollen. Das hat aber nicht die gewünschte Wirkung – im Gegenteil: Nun verhängt auch noch Moskau neue Sanktionen gegen Kiew!
Merkels Kurs hat die Lage in Osteuropa nicht entspannt und das Land nicht stabilisiert. Auf ihre(n) Nachfolger(in) kommt viel Arbeit zu – auch und gerade in der Europapolitik…
Siehe auch “Braune Umtriebe in der Ukraine”
P.S. Jetzt habe ich doch glatt die Nord-Stream-Pipeline vergessen, die die Ukraine ihrer Einnahmen aus dem Gasgeschäft berauben könnte – auch dafür ist Merkel (mit-)verantwortlich. Ein weiterer Beleg dafür, wie widersprüchlich und doppelzüngig ihre angeblich prinzipientreue Europapolitik ist…
supergirl
4. November 2018 @ 00:44
Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat die Politik „Ukraine“ in und per eu geplant und über Barroso
(v0n Merkel eingesetzt) per Auftritt in dem Baltikum eskalieren lassen; das war eine simple Machtprobe der Deutschen eu, welche zu einem Krieg führte.
Peter Nemschak
3. November 2018 @ 17:38
@ebo Italien darf sich nicht überschätzen muss froh sein, wenn die EU nicht Wichtigeres für das Land blockiert. Bleiben wir am Boden der realen Machtverhältnisse in Europa.
Kleopatra
3. November 2018 @ 09:39
Man muss die Ukraine und die ukrainische Politik nicht idealisieren, um festzustellen, dass Russland hier eindeutig einen Aggressionskrieg führt und damit auch gegen die eigenen Verpflichtungen aus Verträgen aus den 1990er Jahren verstößt, aufgrund derer die Ukraine auf ihre Atombomben verzichtet hat. Dire Ukraine muss sich heute sagen, dass sie ohnen diesen Vertrag Moskau hätte ganz anders drohen können. Dass Moskau von seinem Aggressionskrieg nicht ablässt, wird man nicht nur A.Merkel in die Schuhe schieben können.
Bei Sanktionen muss man allerdings m.E. überlegen, ob man sie lange oder kurz durchhalten will, und unter welchen Umständen man sie beendet. Man ist sonst in der peinlichen Situation, dass man sie ohne den geringsten Erfolg beenden muss. Sanktionen sind jedenfalls kein Selbstzweck, sondern ein Kampfmttel; für A. Merkel mit ihrer typischen kurzfristigen Zeitperspektive ist aber die weitere Verlängerung ein Wert an sich. Zudem sind die gegenwärtigen Russlandsanktionen zwischen den EU-Staaten unausgewogen: während andere Staaten durch sie wirtschaftliche Probleme haben, gibt sich die große Sanktionsmeisterin Mühe, Nord Stream 2 herauszuhalten. Sieht aus, als ob sie die Sanktionen Barack Obama zuliebe gestützt hat (und danach keinen Anlass gefunden hat, um sie ohne Gesichtsverlust aufzuheben), während Nord Stream 2 einen Gefallen einerseits für die deutsche Energiewirtschaft, andererseits für ihren Vorgänger Schröder und die deutschen Sozialdemokraten darstellt.
ebo
3. November 2018 @ 10:47
@Kleopatra Das ist eine interessante Argumentation. In der Tat gibt es auch bei diesen Sanktionen Gewinner und Verlierer; Italien sieht sich z.B. als Verlierer und will sie abschaffen. Es gibt Staaten, die die Sanktionen (tod-)ernst nehmen, wie Polen – und andere, die ein doppeltes Spiel spielen, wie Deutschland unter Schröder und Merkel (in Sachen Nord Stream stecken sie unter einer Decke). Es gibt aber auch die USA, die die Sanktionen nutzen wollen, ihre eigenen geopolitischen und energiepolitischen Interessen in Europa durchzusetzen, wie sich am Streit um das Flüssiggas zeigt. Merkel hat sich mit ihrem Sowohl-als-auch in eine unmögliche Position begeben, was wir u.a. an den LTE-Terminals sehen, die sie nun auf Befehl aus Washington bauen lässt. Spannend wird es, wenn Trump auch noch Sanktionen gegen die an Nord Stream beteiligten Firmen verhängt. Wird Merkel die Pipeline dann von Putin allein weiterbauen lassen, wird sie sich zurückziehen? Oder wird sie einsehen, dass die Sanktionen gegen Russland von den USA manipuliert und mißbraucht werden?
Peter Nemschak
3. November 2018 @ 16:09
LTE-Terminals sind Teil der Strategie die Energieversorgung der EU zu diversifizieren. Nordstream 2 hilft, die Energieversorgung der EU aus dem Dauerstreit Ukraine/Russland herauszuhalten. Dass Merkel die Interessen Deutschlands und nicht jene Italiens verfolgt, ist logisch. Schließlich wird sie von den Deutschen und nicht den Italienern gewählt. Was die Sozialdemokraten an Merkel am meisten stört ist, dass die Politik Merkels die SPD daran gehindert hat sich zu profilieren und die Partei daher ins Abseits geraten ist. Mit Merz und insbesondere Spahn würde sich die SPD leichter tun.
ebo
3. November 2018 @ 16:49
Sehr gut, dann soll Italien eben die Verlängerung der Russland-Sanktionen blockieren. Oder wir müssen Italien und Südosteuropa eine eigene Gaspipeline nach Russland genehmigen, genau wie Deutschland. Rein zufällig war es ein gewisser Herr Oettinger, Merkels Mann in Brüssel, der dies untersagt hat.
Stefan Frischauf
3. November 2018 @ 14:36
@Kleopatra: In Ergänzung zu @ebo hier: man sollte nicht von einem “Aggressionskrieg” Russlands sprechen, wenn man bedenkt, wie und was im Namen des “Krieges gegen den Terror” seit 2001 von westlicher Seite geschehen ist. Meine Wenigkeit, ich habe 2009 / 10 in Afghanistan in einer britisch / US-amerikanischen “NGO” gearbeitet und denke, dass der Terminus “Aggressionskrieg” schon von geringer Kenntnis von “asymmetrischen Kriegsgeschehen” generell kündet und nur zu seltsam verschwurbelter einseitiger Bezichtigung von “Gegnern” dienen soll. Diese Gegnerschaften sind für uns hier in Mitteleuropa nicht nur kontraproduktiv – sie sind selbstzerstörerisch. Alleine die Person Mikhail Gorbatschow verdeutlicht das: der Sohn einer Ukrainerin und eines russischen Vaters, der in den 2+4 Verhandlungen massive Zugeständnisse gemacht hat, um die Wiedervereinigung Deutschlands auf friedlichem Wege zu ermöglichen war aufgrund der mangelnden Fortschritte bei der Demokratisierung Russlands vor den Maidan-Ereignissen in Kiew 2014 ein vehementer Kritiker Putins und seiner Politik. Dann aber hatte er den letzten Beweis, wie sehr ihn da die Nachfolger seiner Verhandlungspartner seinerzeit über den Tisch gezogen hatten. Schließlich hat selbst sein damaliger Gegner in der zerfallenden Sowjetunion, der “betrunkene Abwickler” Boris Jeltzin damals den Westen davor gewarnt, “Interessen” an und in der Ukraine anzumelden.
Nur mit fairen Partnerschaften kommt man da weiter. Nicht mit einseitigen Ansprüchen. Und – diese Beweisführung, dass Russland und der Westen dazu fähig sind – die steht von westlicher Seite genauso aus wie von Russischer.
Hier als Ergänzung dazu etwas mehr: https://nachdenken-in-muenchen.de/?p=4559
Siegfried Schuler
3. November 2018 @ 08:21
Es hat sicher doch schon jeder hier mitbekommen, der Herr Peter Nemschak ist der, der zu jedem Thema einen zum besten gibt.
Peter Nemschak
2. November 2018 @ 17:23
Die Korruption in der Ukraine geht langsam zurück. Es ist noch ein weiter Weg bis zu einer Demokratie nach unseren Maßstäben. Dennoch haben wir als EU ein Interesse daran, dass die EU in unserem Einflussbereich bleibt. Daran ist doch nichts Verwerfliches, oder ?
Stefan Frischauf
2. November 2018 @ 20:19
Nun, werter Herr Nemschak – ich wüsste nicht, wo ein „linkes Horn“ ist, in das ich stoße. Vielleicht habe ich einige Pferde leibhaftig kotzen sehen auf Weiden, die sie nur aus „Ihren Geschichtsbüchern“ kennen?
„Dennoch haben wir als EU ein Interesse daran, dass die EU in unserem Einflussbereich bleibt.“
Der ist gut. In diesem Sinne. Schönes Wochenende!
Peter Nemschak
2. November 2018 @ 12:40
In der Ukraine verbessert sich die Situation, wenn auch langsam, stetig, liest man in anderen Medien. Es wäre jedenfalls ein Fehler, ein so großes Land dem Einfluss Russlands zu überlassen. Die Westukraine, das wird gerne übersehen, war früher ein Teil Polens, was die Wanderungsbewegungen erklärt. So gesehen war die Politik Merkels nicht gescheitert. Machtpolitik hat ihren Preis.
ebo
2. November 2018 @ 12:44
Na, denn nennen Sie mal ein Beispiel für die verbesserte Lage!
Stefan Frischauf
2. November 2018 @ 14:39
Sehr geehrter Peter Nemschak, mit den Interpretationen von Geschichte und der Machtpolitik ist das nun wirklich so eine Sache. Das ist teilweise Geostrategie auf Stammtischniveau und öffnet Revanchismus und Geschichtsklitterung Tür und Tor. “Die Westukraine, das wird gerne übersehen, war früher ein Teil Polens, was die Wanderungsbewegungen erklärt.”
Wie und wann da “früher” als Legitimation für aktuelle Machtpolitik definiert wird, das liegt da ganz im Auge oder im Sinne des Betrachters. Und es ist nie an aktuellen Lösungen orientiert. Fakt ist, dass nach den drei Teilungen Polens zwischen Russland, Preußen und Österreich-Ungarn in den Jahren 1772, 1793 und 1795 das Land als eigenständiger Staat bis 1918, also Ende WK 1 von der Landkarte verschwunden war. Satte 120 Jahre. “Die Westukraine blieb 1668 noch bei Polen. 1793 und 1795 und 1809 fiel aber bei den Teilungen Polens auch der Großteil der übrigen Ukraine an Russland.”
(https://de.wikipedia.org/wiki/Westukraine)
Insofern: 1. was wollen Sie eigentlich damit sagen?
2. In welche Zeiten zurück soll also das Ausbremsen von “Alternativlosigkeit” führen?
Ich möchte dazu anmerken: dazwischen sind “einige andere Dinge” zwischen und in den Nachfolgern von Preußen und Russland geschehen. Nur so am Rande.
Und – interessiert die Frage von Eric Bonse hier Sie überhaupt? Also – was ist denn nun besser geworden zwischen und in Russland, der Ukraine und Europa, insbes. dem Nachfolgestaat Preußens, dem Frau Merkel ja (noch) vorsteht? Können und wollen Sie dazu auch eine dieser vermeintlich ach so gescheiten Aussagen dazu machen?
Peter Nemschak
2. November 2018 @ 17:41
Ukraine’s Promising Path to Reform
A Narrow Focus on Corruption Overlooks Remarkable Progress
By Adrian Karatnycky and Alexander J. Motyl, Foreign Affairs, 16.7.2018
Es müssen nicht alle Leser von ebos blog so wie Sie in das linke Horn stoßen.
ebo
2. November 2018 @ 17:45
Lesen Sie mal das hier – vom Atlantic Council: http://www.atlanticcouncil.org/blogs/ukrainealert/ukrainian-populists-still-think-they-can-be-pro-eu-but-anti-imf-they-re-wrong
Kleopatra
3. November 2018 @ 09:19
Zur Westukraine (An Stefan Frischauf): die Region Lwów (L’viv, L’vov) war vor dem Zweiten Weltkrieg Teil Polens, und das ist jedenfalls nicht so lange her. Erst Hitler hat mit Stalin vereinbart, dass sie wieder den Sowjets gehören soll. Die Grenze wurde nach 2004 zunächst eher weniger Durchlässig (EU-Außengrenze). Speziell diese Region Lviv/Lwów gehörte übrigens vor 1918 zu Österreich-Ungarn und war also vor 1939/45 nie Teil eines von Moskau aus regierten Staates.
Es geht hier also nicht um Jahrhundert zurückliegende Geschichte. Wenn es um letztere ginge, könnte man vielmehr darauf verweisen, dass vor 1654 (bzw. nach dem Friedensvertrag 1667) praktisch das gesamt heutige ukrainische Territorium (also nicht nur die Westukraine) Teil Polens war. (Nur nicht die Krim, die gehörte zum Osmanischen Reich).