Merkels neue Freunde
Der gescheiterte Budgetgipfel hat neue Kraftlinien in der EU offenbart. Berlin macht plötzlich mit London und Stockholm gemeinsame Sache – dabei sind beide nicht einmal im Euro. Auch sonst setzt Kanzlerin Merkel auffällig oft auf EU- und Euroskeptiker in Nordeuropa, den Süden bremst sie dagegen immer mehr aus. Droht ein Nord-Süd-Konflikt, spaltet Merkel die EU?
Bisher galten in der deutschen Europapolitik ein paar goldene Regeln. Wenn es ums Geld ging, hat sich Berlin nie knausrig gezeigt und im Zweifel noch eine Schippe draufgelegt, um Kompromisse zu ermöglichen und die EU zusammen zu halten. Berlin wollte versöhnen statt spalten, man legte größten Wert auf kleine EU-Länder, und man pflegte – bien sur – eine besondere Nähe zu Frankreich.
Damit ist es nun offenbar vorbei. Beim Budgetgipfel ließ Merkel Frankreich links liegen, auch Polen blieb außen vor. Stattdessen kungelte die Kanzlerin mit Großbritannien, Schweden, Finnland, den Niederlanden und Dänemark, wie die FAZ meldet. Gleichzeitig feindete sie EU-Kommissionschef Barroso und Ratspräsident Van Rompuy an, weil diese angeblich versucht haben, London zu isolieren.
Offenbar dreht sich Merkels Europa nicht mehr um Brüssel. Auch die traditionellen Freunde Italien, Österreich oder Belgien spielten diesmal keine Rolle – obwohl sie alle Nettozahler sind, genau wie Deutschland. Beim Budgetgipfel schlug sich die Kanzlerin eindeutig auf die Seite Nordeuropas – also auf die Seite der Reichen, die gegen die EU-Zentrale in Brüssel und die EU-Mitglieder im Süden Front machen.
Gemeinsame Sache mit den Hardlinern
Befremdlich ist, wen sie sich da ausgesucht hat. Drei der neuen Partner sind nicht im Euro (Großbritannien, Dänemark und Schweden). Und die anderen beiden (Niederlande und Finnland) bilden zusammen mit Deutschland das Trio der Euro-Hardliner, die sich lediglich durch ihr AAA-Rating legitimieren und neue Hilfen für die Krisenländer ausbremsen (siehe “Troika von S&P’s Gnaden”).
Mag sein, dass dies nur eine Momentaufnahme ist, dass Merkels Verhalten vor allem taktisch motiviert war. In der Tat wäre es falsch, Großbritannien gleich beim ersten Treffen zu isolieren und so jede Chance auf Einigung zu torpedieren. Cameron wird noch gebraucht – für ein neues EU-Budget genauso wie für die Bankenunion (das sei Merkels eigentliches Motiv, mutmaßt der “Guardian“).
Das war kein “Aufstand der Nettozahler”
Genauso falsch ist es jedoch, der Mehrheit der EU-Länder durch einseitige Parteinahme den (finanziellen) Boden unter den Füssen wegzuziehen. Doch genau das riskiert die Kanzlerin. Was wir hier erlebt haben, war kein “Aufstand der Nettozahler” , sondern ein Abwehrgefecht der Privilegierten, die vom Briten-Rabatt profitieren – und das EU-Budget systematisch herunterhandeln.
In der nächsten Runde muss es nun darum gehen, die anachronistischen Rabatte zu streichen, andere Pfründe wie die Agrarsubventionen zu kürzen und endlich auf die Empfängerländer im Süden und Osten (Polen!) zuzugehen. Andernfalls schrumpft Merkels Europa auf den satten, egoistischen Norden. Und alle Grundsätze der deutschen Europapolitik wären über den Haufen geworfen…
Siehe zu diesem Thema auch “Rien ne va plus”
photo credit: World Economic Forum via photopin cc
Johannes
29. November 2012 @ 18:46
@ebo: Thema Bankenunion, da freu ich mich sogar, dass Merkel auf die Bremse tritt. Bei allen Vorschlägen dazu, die aus dem Süden kommen, spielt die Verallgemeinschaftung von Schulden eine zentrale Rolle. Ich selber will mehr EU, aber ich lasse mich doch nicht über den Tisch ziehen. Deutsche Banken sollen in Zukunft für die Fehler der Banken aus Spanien und Co grade stehen? Bei aller Liebe, aber Spanien, Frankreich und Griechenland versuchen ebenfalls ihre Interessen durchzusetzen, deswegen muss man aber nicht alles akzeptieren was von denen kommt und das ist nicht nationalistisch oder sonst was.
Johannes
28. November 2012 @ 17:54
Ich wollte nie wieder auf diesem BLog einen Kommentar schreiben, aber bei dem Text kann ich nicht wiederstehen. ALLE in Europa müssen sparen, alle. Nur zwei Gruppen nicht, die Bänker und diese “Menschen” der EU in Brüssel. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Das EU-Parlament hat null Fingerspitzengefühl. Der Süden muss brutal sparen und die da in Brüssel wollen noch mehr Geld. Mehr Geld will der dt. Arbeitnehmer auch, aber sein Reallohn stieg seit 10 Jahren nicht an. Würde man das der Eu vorschlagen, würde man mit Schimpfwörtern wie Anti-Europäer betitelt werden. Deutschland wird ständig Kälte vorgeworfen, aber was ist dann mit Brüssel, die in der größten Krise Europas dreist nach noch mehr Geld schreien????
ebo
28. November 2012 @ 18:05
Ach ja, wo spart denn der Herr Schäuble? Es stimmt, dass viele in Deutschland den Gürtel enger schnallen müssen, aber Deutschland spart nicht. Und was ist mit Frau Merkel, die “mehr Europa” fordert? Soll die EU mehr tun mit weniger Geld? Es geht übrigens nur um ein Prozent des BIP…
Johannes
29. November 2012 @ 18:40
Sie geben doch die Antwort, der BÜRGER muss sparen. Die EU gönnt sich in Brüssel ein Luxusleben, von dem die Bürger in Europa nur träumen können. Wer klagte in der Finanzkrise eine 8% Gehaltserhöhung ein na, na, genau, die Herrschaften in Brüssel. Halllo EBO, das ist ok, das ist das gepriesene Brüssel???????? Verdammt arrogant, die da in Brüssel. Wie ich schon schrieb, Brüssel = Bankster.
Johannes
29. November 2012 @ 18:56
Noch was lieber Autor des Blogs, überall müssen Staaten mehr Aufgaben mit “weniger” erledigen. Aber Brüssel steht ja über allem. Der Bürger muss immer mehr übernehmen, bekommt er deswegen mehr Geld, nein. Aber für Brüssel sollen andere Gesetze gelten? Dreist, einfach nur dreist und da wird man als Bürger richtig sauer.
marty
26. November 2012 @ 20:43
@ebo: “… die Nettozähler fordern …”
Köstliches Wortspiel! (pun intended?) 😉
Aber die Nettozahler / Nettozähler sind in der Tat kleinkarierte Erbsenzähler.
Schließlich ist einer der Gründe für die deutsche Budget-Sturheit der Wunsch, den Etat unter der − für die Springer-Presse psychologisch wichtigen − 1-Billionen-Grenze zu halten …
ebo
26. November 2012 @ 17:41
@beate Die folgen lassen sich noch nicht genau benennen, da man sich ja noch nicht geeinigt hat. Aber die Nettozähler fordern pauschale Kürzungen, die auch Transport und Telekom treffen. dürften. Der Streit dreht sich allerdings nur um einen Bruchteil des EU-Buget, das wiederum nur ein Prozent des BIP der EU ausmacht. In Deutschland dürfte sich das kaum auswirken, sieht man einmal von den strukturschwachen Regionen im Osten ab, die schon Alarm rufen. Doch ausgerechnet die Ostdeutsche Merkel stellt sich taub…
Beate
26. November 2012 @ 17:32
Da es Gesamtwirtschaftlich kein sparen gibt.
Sondern nur Umschichtungen in der Investitions- und Güterproduktion, oder die Schließung von Produktionsstätten.
Können sie uns sagen, was die Umschichtungen in den Etats für realwirtschaftliche Folgen haben?
Wessen Industrie, Landwirtschaft, Dienstleistungsindustrie, … wird geschwächt wessen gestärkt?
Wenn Dänemark Nettozahler ist, schwächt es durch weniger Zahlungen die deutsche Industrie?
Oder eher seinen eigenen Absatz im Ausland?
Wird es in den Empfängerländern weniger Modernisierungen von Infrastruktur, …. geben und weniger Konsumgüternachfrage im Ausland?
Was wird dann eigentlich ‘gespart’?
ebo
25. November 2012 @ 23:27
@melina Danke für den Traktor! Deutschland ist natürlich nicht nur Nutznießer des Briten-Rabatts, sondern auch Empfänger von Strukturhilfen für die Uckermark – und von Agrarsubventionen für MeckPomm. Aber das sagt man in Berlin nicht gern laut…
melina
25. November 2012 @ 18:46
@ebo Mit kleinen Trippelschritten auf Hollande zugehen, wird für einen eleganten
Pas de deux nicht reichen und das weiß unsere Elfe aus der Uckermark. Sie fährt
lieber rückwärts mit dem Traktor und bricht auch mal zur Seite aus, wenn es zu glitschig wird.
Viel spannender ist, was das Strafgericht morgen über Griechenland wieder verhängen wird. Da werden ja angebliche Geheimtreffen von irgendeinem Montag kolportiert (Welt Online), wobei man aber nicht angibt, um welchen Montag es sich handelt. Einen vom letzten Jahr oder vom nächsten?
ebo
25. November 2012 @ 17:57
#melina Nun ja, der nächste Gipfel im Dezember wird es erweisen. Normalerweise müsste Merkel da wieder auf Hollande zugehen, um ihre EU-Reform zu bekommen. Allerdings blockiert sie schon wieder bei der Bankenunion…
melina
25. November 2012 @ 17:38
Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass sich Merkels Verhalten gezielt gegen Frankreich richtet und dass sie damit aber auch zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen will. Sich mit den Hardlinern des reichen Nordens zu verbünden, fordert der deutsche Stammtisch ja schon lange vehement. Hier will und wird sie punkten, wenn sie in Richtung Nord-Euro taktiert.
Die besondere Nähe zu Frankreich wurde nur solange gepflegt, als dort eine rechtskonservative Regierung am Ruder war, die sich bereitwillig dem deutschen Diktat unterwarf . Hollande ist zwar alles andere als ein echter Sozialist, aber immerhin sperrig genug, nicht jeder “ordre de Merkel” bedingungslos zu folgen. Das muss natürlich abgestraft werden und daher die demonstrative Hinwendung zu den Nordländern, die dem Club Med mal zeigen wollen, was mit Renegaten geschieht, die sich der reichen Herrschaft widersetzen.
Es ist ein übles Spiel und es erklärt einiges. Merkels Nordeuropa gegen die “Bettelstaaten” im Süden, die man disziplieren muss. Berlin hat es heute nicht mehr nötig, zu versöhnen und dafür auch mal ein Sparschwein zu schlachten. Die Zeit der Almosen ist vorbei. Ein Konzept, das beim deutschen Wahlmichel, der die EU-Spaltung, oder noch besser: ihre Auflösung, sehnlichst herbei sehnt, richtig Freude aufkommen lässt. Aus dieser Momentaufnahme wird sich eine Zeitlupe bis zur Wahl 2013 entwickeln.