Ping-pong mit Macron
Nach monatelangem Zögern hat Kanzlerin Merkel doch noch auf die Vorschläge von Frankreichs Macron zur EU-Reform reagiert. Merkel “nähert sich der französischen Sichtweise an”, freute sich der Pariser Elysée-Palast. Da klingt Erleichterung durch – ist sie begründet?
Macron hatte eine “Neugründung” der EU gefordert, ein autonomes Euro-Budget, einen EU-Finanzminister und eine “souveräne EU”, die zur Not auch ohne oder gegen die USA agieren könnte.
Das Wort Neugründung kommt bei Merkel jedoch ebenso wenig vor wie Souveränität. Und im Detail versucht die Kanzlerin auch noch, Macrons hochfliegenden Visionen Fesseln anzulegen. Alles soll konditioniert sein – wie bei dieser Kanzlerin üblich.
- Eine “Interventionstruppe mit einer gemeinsamen militärstrategischen Kultur”, wie sie Macron fordert, müsse in die bestehende “Struktur der verteidigungspolitischen Zusammenarbeit” der EU eingepasst sein.
- Ein “Investitionsbudget” soll strikten Regeln folgen – und wohl aus dem laufenden EU-Budget finanziert werden, nicht unabhängig davon. Damit wäre es aber kaum besser als der bestehende Juncker-Plan.
- Ein “Europäischer Währungsfonds” soll sich dem Bundestag verantworten müssen. Seine Handlungsfähigkeit wäre eingeschränkt: “Immer gegen Auflagen natürlich, in begrenzter Höhe und mit vollständiger Rückzahlung.”
All das ist nicht nur so angelegt, dass Berlin ein Vetorecht und damit das letzte Wort behalten würde. Es erinnert auch an Vorschläge, die Merkel früher schon gemacht hat – und mit denen sie gescheitert war.
Merkel nähert sich deshalb nicht an Macron an, sondern sie bleibt sich selbst treu. Sie folgt auch nicht der SPD, die einen “Aufbruch für Europa” gefordert hatte, sondern vereinnahmt Finanzminister Scholz, der wohl eingebunden war.
Dass sie sich überhaupt zu eigenen Vorschlägen aufgerafft hat, dürfte weder Macron noch der SPD, sondern vor allem der neuen Lage zu “verdanken” sein, die durch die Alleingänge der USA und Krise in Italien entstanden ist.
Auch der BAMF-Skandal könnte eine Rolle spielen. Denn dort spielt die Kanzlerin (wenig überraschend) eine Schlüsselrolle. Um aus der Defensive zu kommen, braucht sie dringend gute Nachrichten!
Wo soll denn da die gute Nachricht sein, mögen Sie fragen. Nun, jetzt liegt der Ball wieder im Feld von Macron. Merkel spielt Ping-Pong mit dem Franzosen – um eine echte EU-Reform, gar eine “Neugründung” geht es schon lange nicht mehr…
Siehe auch “Wie Merkel alte, gescheiterte Ideen wieder aufwärmt”
WATCHLIST:
- Die Justizminister diskutieren in Luxemburg über mögliche Konsequenzen des Facebook-Datenskandals um Cambridge Analytica. Das kommt ein wenig spät – Cambridge Analytica gibt es nicht mehr, Facebook-Chef Zuckerberg hat sich schon für alles entschuldigt – und will es auch dabei belassen…
WAS FEHLT?
- Eine ernsthafte Aufklärung des Mordes an der Journalistin Daphne Caruana Galizia. Drei Europaabgeordnete der Grünen waren auf Malta – und ziehen eine vernichtende Bilanz. Premier Muscat habe sein Versprechen nicht gehalten, alles Nötige zu tun, um die Schuldigen zu finden. Auch die internationale Zusammenarbeit laufe nicht gut, so MEP S. Giegold.
Peter Nemschak
4. Juni 2018 @ 09:47
Merkel ist Realistin. Die Mehrheit nicht nur der Deutschen sondern auch anderer Mitgliedsstaaten will von einer bedingungslosen finanziellen Solidarität zu recht nichts wissen, weil sie die Gefahr von politischer Verantwortungslosigkeit und Bequemlichkeit birgt. Der Gedanke einer Transferunion und eines unrealistischen Sozialausgleichs zwischen den Mitgliedstaaten hat wenig Reiz. Die EU ist ein Verband souveräner Staaten mit Regierungen, die ihren Wählern verantwortlich sind. Die Macronschen Visionen verleiten zum Trittbrettfahren und Beibehalten wirtschaftspolitischer Unsitten (Beispiel: Italien). Daher ist Subsidiarität oberstes Gebot. Wie soll sonst die EU politisch gesteuert werden, wenn in manchen Mitgliedsländern liberal-konservative und in anderen sozialistische oder populistische Regierungen an der Macht sind? Man muss zur Kenntnis nehmen, dass es in der EU eine große ideologische und mentalitätsmäßige Diversität gibt. Das schließt nicht aus, auf Gebieten zusammenzuarbeiten, auf denen gemeinsame staatliche Projekte privatwirtschaftlichen oder nationalstaatlichen überlegen sind.
Claus
4. Juni 2018 @ 09:29
„. . . um eine echte EU-Reform, gar eine “Neugründung” geht es (Merkel) schon lange nicht mehr… (?)
Da bleibt ihr auch nicht mehr, als den Ball schön flach zu halten und gepflegt im Vagen zu bleiben. BAMF-Skandal mit voller Breitseite direkt gegen sie von BILD & Co. (wollen Friede und Liz nicht mehr zum Kaffeetrinken ins Kanzleramt eingeladen werden?) Italien will Migranten und Euro loswerden und kippelt finanziell, Ausstieg des IWF aus dem Griechenland-Finanzsumpf, Wahl in Slowenien verhauen, Rajoy aus dem Tempel gejagt, Visegrad-Theater wie gehabt, TARGET II nähert sich 1 Billion und zu diesem ganzen Ungemach will Macron noch deutsche Kohle für mehr EU mit immer weniger Akzeptanz? Früher hätte man das noch locker am schlummernden oder jasagenden Bundestag vorbeimogeln können, mit der AfD im Finanzausschuss und Weidel am Rednerpult definitiv nicht mehr.
Diese Erkenntnis scheint angekommen zu sein.
Kleopatra
4. Juni 2018 @ 09:27
Naja, in der Diplomatie nennt man so etwas: eine Initiative „dilatorisch behandeln“. Die normale Interpretation wäre, dass eine solche Reaktion eine höflichere Art ist, Nein zu sagen. Bei Merkel fragt man sich allerdings, ob sie vielleicht erst abwarten wollte, wie sich die Stimmung entwickelt; und sie hat ja auch sonst ein sehr merkwürdiges Gefühl für Zeit, vgl. ihre Reaktion auf ein gewisses Attentat in Berlin, wo sie sich für ein Treffen mit den Hinterbliebenen nicht weniger als etwa ein ganzes Jahr Zeit gelassen hat.
Einen Schuldenerlass kann und wird sie nie anbieten. Frage mich, wie sie reagieren würde, wenn die andere Seite einseitig Kredite bnicht bedienen würde …