Merkels merkwürdige Manöver
Erst war sie für Weber, dann pushte sie von der Leyen, nun holt sie Kramp-Karrenbauer: Kanzlerin Angela Merkel verblüfft das deutsche und europäische Publikum mit immer neuen, merkwürdigen Manövern. Hat sie (noch) einen Plan?
Diese Frage kam mir, als ich einen kritischen Bericht im „Guardian“ las. „Merkel protege AKK given defence job seen as poisoned chalice“, ist er überschrieben. Ein „vergifteter Kelch“ ist der Job als Verteidigungsministerin mit Sicherheit.
Doch warum macht Merkel das? Will sie AKK verschleißen oder gar opfern, oder will sie sie doch noch zu ihrer Nachfolgerin aufbauen? Folgt sie einer spontanen Eingabe, dem Gebot der Stunde – oder steckt dahinter ein ausgeklügelter Plan?
Klar ist, dass dieses Manöver im Herbst 2018 noch nicht möglich gewesen wäre. Da war Merkel noch CDU-Chefin, Von der Leyen wurde in Berlin gebraucht, und Manfred Weber durfte Spitzenkandidat für die Europawahl werden, um die CSU zu besänftigen.
Klar ist auch, dass die Rochade nicht das Ziel hatte, den versprochenen „Aufbruch für Europa“ zu bringen oder das europapolitische Vermächtnis der Kanzlerin zu sichern. Dann hätte sie die Sache von Anfang an anders einfädeln und sich viel stärker für die EU engagieren müssen.
Auf mich wirken die Manöver eher wie situative Entscheidungen, bei denen es nicht etwa darum ging, das Beste für Deutschland und die EU herauszuholen, sondern das Schlimmste zu verhindern und Merkels Macht zu sichern. Doch die Schüsse könnten nach hinten losgehen.
Denn Merkel hat sich nun wieder von der CSU entfremdet, die CDU geschwächt und die SPD verprellt. Von der Leyen wird in Deutschland nicht als Trumpf, sondern eher als Niete betrachtet, das Vertrauen in die deutsche und europäische Politik schwindet.
Derweil hat in Brüssel die Nach-Merkel-Ära begonnen. Beim Personalpoker nach der Europawahl geriet die Kanzlerin in die Defensive, ihre eigenen Parteifreunde probten den Aufstand. Am Ende hat sich Merkel auch noch vor Polen und Ungarn verbeugt und Macron das Feld überlassen.
Ihre Manöver sind eben innenpolitisch motiviert, wie eh und je. In Europa bewegt sich Merkel nur dann, wenn es gar nicht mehr anders geht. „Rien ne va plus“ – das ist auch das Motto, mit dem von der Leyen nach Brüssel geschickt wurde. Um ein Haar wäre sie gescheitert…
Siehe auch „Schlecht gewählt“ und „Der verhinderte Neustart“ (E-Book)
Peter Nemschak
19. Juli 2019 @ 21:14
@Kleopatra und ebo Was heißt Verachtung, was hinterlistig? In Führungsfunktionen ist es üblich andere Menschen für seine eigenen Ziele zu instrumentalisieren. Wie weit Merkels Vorgehen längerfristig geplant war (KK – ein Fehlgriff der CDU-Funktionäre – los zu werden dürfte sie schon länger geplant haben) und sie eine sich bietende Gelegenheit genutzt hat, wird man vielleicht erst in Jahrzehnten erfahren, wenn Dokumente frei gegeben werden. Für die kleinen Aktivisten wird sich eine Erklärung finden, warum so und nicht anders im Sinn der gemeinsamen Sache gehandelt wurde.
zykliker
18. Juli 2019 @ 16:47
der letzte, der nach seinem Job als Verteidigungsminister noch höheres erreicht hat, war Helmut Schmidt. Vieleicht gibt es im kollektiven Unbewußten der Machtbesitzer und -Jongleure diesen Anspruch: „Kanzler kann eigentlich nur, wer die „Stahlgewitter“ der Militärs unbeschadet gemeistert hat.“ AKK wirds können oder sie wirds nicht können; Graue Eminenzen beobachten mit Interesse vom Kaminfeuer aus, wie AM eben noch rechtzeitig das Prüfungsgelände für die Kanzlertauglichkeit freigeräumt hat.
„Schreibe nicht der Böswilligkeit zu, was durch Dummheit hinreichend erklärbar ist“
„Nur wer Bösartigkeit durch Dummheit tarnen kann, und wer Korruptheit durch Unfähigkeit tarnen kann, beherrscht die ganze Klaviatur.“
Da letzteres so sinngemäß auch bei Machiavelli oder Hobbes stehen könnte, erhebe ich vorerst kein Urheberrecht darauf.
Kleopatra
18. Juli 2019 @ 06:35
Solange sich AM darauf festgelegt hat, gleichviele Frauen wie Männer im Kabinett zu haben, und außerdem die Posten zwischen drei Parteien aufgeteilt sind und die jeweiligen Ministerien als Eigentum der Parteien gelten, schränkt das die Auswahl bei einem Wechsel extrem ein. Vor allem macht sich bemerkbar, dass es nicht so viele Frauen in der Politik gibt, wenn eine ersetzt werden muss. Und wenn ein Mann als Nachfolger einer Frau ernannt würde, zwänge das dazu, eine Frau auf ein bisher von einem Mann gehaltenes Ministerium derselben Partei zu ernennen … Da ist es kein Wunder, wenn AM die erste beste Frau genommen hat, denn jede größere Kabinettsumbildung hätte noch mehr Komplikationen gebracht. Aus denselben Gründen musste es eine ohne Ministeramt sein, und dann blieb fast nur noch AKK übrig.
Wenn man Merkels Personalentscheidungen Rationalität und Vorausplanung unterstellt, führt das dazu, dass man ihr einen nahezu unbegrenzten Zynismus unterstellen muss. Sie hätte zum Beispiel mit Weber einen Menschen als „Spitzenkaniddat der EVP“ unterstützt (und u.a. geholfen, ihn durchzudrücken), von dem sie angenommen hätte, dass er spätestens im Rat durchfallen musste, um die CSU zuerst ruhigzustellen und dann zu demütigen. Ich halte es für plausibler, dass sie nach spontanen opportunistischen Kriterien handelt, ohne die langfristigen Folgen zu bedenken.
Peter Nemschak
18. Juli 2019 @ 09:50
Mit Opportunismus allein hätte sich AM nicht so lange halten können. In einer Welt, in der eitle Egos kämpfen, braucht es Strategien, wie sie Merkel vorgeführt hat. Sie war und ist damit nicht die Einzige. Nicht nur in der Politik sondern auch in Unternehmen kommen die CEOs nicht von alleine nach oben und halten sich in Spitzenpositionen. Weber war wie viele nur eine Figur am Schachbrett. Er wird so schnell vergessen sein wie er auf der Bühne erschienen ist. Wer oben mitspielt, muss damit rechnen, dass seine Freunde noch schlimmer als seine Gegner sind. Mitleid mit den Beleidigten ist fehl am Platz. An der Spitze ist man auf sich gestellt, in innerer Distanz zu den anderen. Das hat mit Zynismus nichts zu tun bloß mit der Logik von Führung und Ausübung von Macht, einer Logik, die für Frauen und Männer sich nicht unterscheidet. Machiavelli und Hobbes werden Ihnen keine Unbekannten sein.
Kleopatra
18. Juli 2019 @ 15:23
Man wird aber festhalten dürfen, dass Weber von der EVP als Spitzenkandidat nominiert wurde und dass dies nicht vonstatten gegangen wäre, ohne dass er sich vorher den Segen AMs geholt hätte. Das heißt aber, dass sie für die Person des Spitzenkandidaten Weber mitverantwortlich ist. Entweder hat sie gedacht, sie könne ihn durchbekommen, dann hätte sie nach mehr als 12 Jahren als Regierungschefin noch nicht verstanden, dass das schon wegen der fehlenden Französischkenntnisse illusorisch war; oder sie hat ihn von vornherein als Bauernopfer verheizen wollen, dann hat sie zynisch mit dem Idealismus vieler politisch aktiver Laien gespielt und letztere kräftig selbst zum Zynismus und zur Verachtung für die EU-Politik erzogen. Ich bin bereit, zu ihren Gunsten anzunehmen, dass sie eher dumm als hinterlistig vorgegangen ist.
ebo
18. Juli 2019 @ 16:00
Sorry, Merkel war und ist hinterlistig!
Alexander
17. Juli 2019 @ 17:48
Kann man ausschließen, dass Merkel sich nach einem Scheitern von „AKK“ durchaus bitten lassen würde, nochmal zur Wahl als Bundeskanzlerin anzutreten? Wo doch zum Beispiel Herr Kretschmann so für sie (und Schwarz-Grün?) betet!
Peter Nemschak
17. Juli 2019 @ 18:48
Dann müsste sie nochmals für den Parteivorsitz kandidieren, was unwahrscheinlich ist. So wie die Dinge stehen, ist die Partei von ihr abhängig. Sie wird diese Abhängigkeit nutzen ihre Vorstellungen zu verwirklichen. Welche das sind, wird man zu gegebener Zeit erfahren, dann wenn es zu spät ist Gegenstrategien zu entwickeln.
Peter Nemschak
17. Juli 2019 @ 17:34
Auch Merkel wird inzwischen gemerkt haben, dass KK kein Zugpferd für die CDU bei den nächsten Wahlen sein wird. Die CDU läuft mit KK Gefahr von den Grünen links überholt und von der AfD rechts bedrängt zu werden. Die SPD ist ein warnendes Beispiel für den Abstieg einer Partei links der Mitte. Die CDU will es ihr rechts der Mitte nicht gleich tun. Wer wird die Nachfolgerin bzw. der Nachfolger für KK als Parteichef bzw.-chefin und BK-Kandidat?
Holly01
18. Juli 2019 @ 06:34
Die CDU hat mit ihren Kandidaten das selbe Problem wie Mercedes damals mit seinen 200D Modellen.
Nicht aktuell, nicht schön, eher unpraktisch und wenig Zugkraft, aber eben genau das was die Leute wollen.
So wie die 200D den Ruf von Mercedes in Bezug auf Langlebigkeit geprägt haben,l so prägt Merkel den Ruf der CDU auf Zuverlässigkeit.
Das war beim Kohl auch so.
Man kann nur keinen neuen Kandidaten aufbauen, der die Erwartungen erfüllt.
Die werden alle auf dem Weg nach „oben“ zerschossen, weil die eben so zukunftsunfähig sind, wie es die überalterte Wählerschaft wünscht.
Also „eiert man herum“.
Es werden regelmässig Leute in den Zug gesetzt, gehypt und dabei zerschlissen. Dieser junge Bengel mit diesem Kommunionsgesicht ist so ein Fall.
Die Leute die man tatsächlich auf der Liste hat, die halten sich in den Wartepositionen, machen ihre Ämter leise und ohne Presse und sind iL (in Lauerstellung).
Also so gesehen macht Murksel nur ihren Job.
Leute verschleissen an der „linken“ Presse.
Leute verstecken in Ämtern, wo die nie auffallen.
Das System bewahrt sich selbst.
Photoshoppen Sie mal Merkel zu Kohl (also das Gesicht), da können Sie anfangen an Reinkarnation zu glauben ….. und genau so wird das wieder sein (wenn es denn so weit ist), aber noch zittert sich Merkel durch den Job.
Aber Schüttellähmung wird nicht besser. Das Ende der Ära Merkel steht bevor. Merkel wird kein Amt mehr neu anfangen.
Die ist froh, wenn die den Staffelstab weiter reichen darf.
Ob AKK im Verteidigungsministerium gut durchstartet ist auch eher unwahrscheinlich.
An dem Tag wo jemand sagt „Bundeswehr klappt“ sagen 10 andere „dann spar da mal fix Geld ein“.
Die BW jammert sich die Modernisierung zusammen … kein gutes Bild für die politische Führung, da ist nichts zu gewinnen.
vlg