Merkels Flüchtlingsdeal – das sollte man wissen
Hinter verschlossenen Türen bereiten Kanzlerin Merkel und die EU-Kommission neue Hilfen für die Türkei vor. Sie sollen den 2016 geschlossenen Flüchtlingsdeal retten – dabei war der von vornherein auf Sand gebaut. Was man jetzt wissen muß.
- Alleingang: Der Deal war von Merkel im Alleingang ausgehandelt worden – hinter dem Rücken von Ex-Ratspräsident Tusk, der selbst in die Türkei gereist war. Merkel konnte sich zunächst nur auf Mark Rutte stützen, der damals den Ratsvorsitz führte. Es brauchte zwei EU-Gipfel, um Merkels Plan zu verabschieden – so groß war der Widerstand.
- Kein Abkommen: Es handelt sich um eine gemeinsame Erklärung (“Statement”), nicht um ein Abkommen. Im Europaparlament spottet man noch heute, Merkels Deal sei nicht viel mehr als eine Presseerklärung. Das bedeutet, dass der Plan nicht rechtsverbindlich ist – und sich parlamentarischer Kontrolle entzieht.
- 2020 ist Schluß: Der Deal war auf vier Jahre befristet, er läuft normalerweise am 20. März aus. Dies könnte die EU nutzen, um eine bessere, wasserdichte Vereinbarung zu schließen. Vor allem aber zeigt es, was Brüssel versäumt hat: Vier Jahre sind verstrichen, ohne dass es in der Flüchtlingspolitik voran ging.
- Kein Geld: Weil der Deal bald ausläuft, ist im EU-Budget für 2020 auch kein Geld dafür vorgesehen. Berlin macht sich aber dafür stark, diese “Lücke” zu schließen. Staatsminister Roth (SPD) hat schon in Brüssel vorgesprochen. Eine paradoxe Initiative – wo Kanzlerin Merkel (CDU) die EU doch auf Sparkurs setzen will…
- Grauzonen: Ist die Türkei ein sicheres Drittland? Hat Griechenland genug Kapazitäten? Was passiert, wenn sich die Lager auf den griechischen Inseln füllen? Der Deal enthält viele Grauzonen, die letztlich zu seinem Scheitern geführt haben. Doch das wurde bis heute weder in Berlin noch in Brüssel diskutiert.
Im Grunde hat sich Merkel mit ihrem Deal nur Zeit gekauft – um den Migrationsdruck auf Deutschland zu senken und eine “europäische Lösung” zu suchen (die dann aber nie kam). Die Lasten wurden auf Griechenland und die Flüchtlinge abgewälzt.
Sultan Erdogan bekam dagegen freie Hand für seine imperiale Politik. Die Ergebnisse lassen sich in Nordsyrien, Libyen und Zypern besichtigen – und an der EU-Außengrenze. Immerhin hat die EU nun die Chance, ihren Fehler von 2016 zu korrigieren…
Siehe auch “An diesen drei Deals hängt die Zukunft der EU” und “Griechenland verteidigen – und die Türkei schmieren?”
Michael Schmutzer
4. März 2020 @ 09:10
Warum schickt man generell die Syrer in der Türkei und Europa nicht in ihr Heimatland zurück. Im größten Teil von Syrien herrscht doch kein Krieg mehr ob Aleppo, Horms oder Damaskus. Dort herrscht reges Treiben wie bei uns. Die sollen doch endlich ihr Land aufbauen.
ebo
4. März 2020 @ 09:27
Nun, von Frieden kann noch längst nicht die Rede sein. Schon gar nicht in Idlip, wo sich Türken und Islamisten auf der einen Seite, Syrer und Russen bis aufs Messer bekämpfen. Das führt zu neuen Flüchtlingen – doch anders als von Erdogan behauptet, sind sie nicht der Grund für seine Provokationen gegen die EU. Denn die Türkei hat eine drei Meter hohe Grenzmauer zu Syrien errichtet, teils mit deutscher Hilfe – da kommt keiner durch. Im Klartext: Die flüchtenden Syrer dürfen im Schlamm vor der türkischen Mauer verrecken. Derweil schickt Erdogan
Afghanen und Pakistanen an die EU-Grenze, die nicht akut von Krieg bedroht sind. So viel zur zynischen Politik Erdogans. Merkwürdig, dass das kaum berichtet wird…
Peter Nemschak
3. März 2020 @ 13:10
Wirtschaftliche und kulturelle (Werte) Machtmittel sind für eine Großmacht wie die EU es gerne sein möchte, nicht ausreichend. Sie müssen militärisch unterfüttert und gegebenenfalls auch durchgesetzt werden. Im Fall Syrien muss Erdogan auf sein Staatsgebiet zurück, wenn nicht freiwillig dann durch überlegene Gewaltanwendung. Bisher hat sich die EU fahrlässig auf die USA verlassen, die nach Ende des Kalten Kriegs keine Motivation mehr verspüren in der unruhigen Nachbarschaft der EU als Ordnungsmacht aufzutreten. Das wird sich nach Trump nicht ändern. Die NATO gehört neu aufgestellt (USA, EU, UK und Norwegen), die Ukraine als Pufferstaat neutralisiert. Derzeit ist sie ein Relikt des Kalten Kriegs. Die internationalen Interessenlagen haben sich in den letzten 30 Jahren geändert. Macron hat recht. In manchen Teilen des Politestablishment herrscht nach wie vor die Illusion, dass die EU eine gottgegebene Wohlfühloase sei. Die Freiheit will verteidigt werden. Das haben unsere Bevölkerungen durch die lange Friedensperiode seit dem Zweiten Weltkrieg kollektiv vergessen. Es wäre an der Zeit sie daran zu erinnern bevor es zu spät ist.
Holly01
3. März 2020 @ 15:56
Ich picke einen Punkt willkürlich raus:
” Im Fall Syrien muss Erdogan auf sein Staatsgebiet zurück, wenn nicht freiwillig dann durch überlegene Gewaltanwendung.”
Dann kämpft Deutschland an der Seite Russlands gegen die CIA Marionetten um Idlib und gegen den NATO Partner Türkei?
…. das eröffnet ja völlig neue Perspektiven. Da kommen wir mit 2% BIP für Rüstungsausgaben aber nicht hin ….
Ich gebe zu, der Gedanke wäre mir nun nicht gekommen.
vlg
ebo
3. März 2020 @ 16:40
Richtig, die Türkei muss raus aus Syrien. Doch das Gegenteil zeichnet sich ab. Die deutschen Leitmedien fordern, Erdogan in Idlib zu unterstützen und die türkisch besetzten Gebiete zu versorgen… Offenbar gibt es doch lange Linien in der Geschichte, schon Kaiser Wilhelm setzte auf die Türken…
Holly01
3. März 2020 @ 18:25
Deutschland sollte die syrische Armee mit deutschen Waffen beliefern.
Nach weniger als 6 Monaten bricht die Kampfkraft der Syrer ein und die müssen kapitulieren ….
Es geht um das Wasser und die bekannten Ölvorkommen. Der Zugriff liegt (so ein Zufall) dort, wo man im Internet auf alternativen Karten das Land Kurdistan finden kann.
Und wenn man das erst einmal verstanden hat, dann versteht man auch das Theater um Nordsyrien. Von dort kann man Syrien, Irak, Libanon alleine über das Wasser kontrollieren.
erster link: Türkei als „Schutzherr“ der Kurden:
“ http://blog.milliyet.com.tr/buyuk-turkiye–kurdistan-bolgesi-ve-gelecegi/Blog/?BlogNo=491040 “
zweiter link das wilde Kurdistan alleine:
“ https://www.canstockphoto.com/kurdistan-kurdish-lands-map-38825292.html “
Bei einem Land das man leicht kontrollieren kann, wäre die Türkei vom Mittelmeer bis zum persischen Golf, quasi der feuchte Traum der NATO.
vlg
Peter Nemschak
3. März 2020 @ 19:54
Die Leitmedien verkennen, dass Assad den Krieg wie auch immer gewonnen hat. Die Souveränität von Staaten ist wichtiger für internationale Stabilität als Demokratie in Weltgegenden, die dafür keine Tradition mitbringen (siehe Irak, Afghanistan und Libyen). Die Interessen der EU sind klar: Schutz vor Massenimmigration aus dem Süden und Osten, wirtschaftliche Interessen mit den Ländern in ihrer Nachbarschaft. Humanitäre Träumereien haben dabei keinen Platz. Stabilität in diesen Ländern ist die relativ beste Voraussetzung, dass die Menschen vor Ort friedlich leben können. Kultur- und Werteexport wie sie die USA und die Europäer in den vergangenen Jahrzehnten betrieben haben, ist dem Ziel der Stabilität nicht förderlich. Eine internationale Politik der Zurückhaltung wird in Zukunft sowohl für die USA wie die EU notwendige Leitlinie sein. Sie wird sich illusionslos auf die vitalen Interessen der jeweiligen Großmächte konzentrieren müssen.