Undurchsichtige Merkeleyen bei “Fit for 55” und Nord Stream 2

In unserer Sommerserie greifen wir die wichtigsten europapolitischen Themen dieses Jahres auf – und fragen, was daraus geworden ist. Teil 4: Die “Merkeleyen” beim Klimaschutz und beim Nord Stream 2.

Repost vom 08.01.21. Aktuelle Ergänzungen und Kommentare sind kursiv markiert.

Erinnert sich noch jemand an “Merkozy”? Die Kungelei von Kanzlerin Merkel mit Frankreichs Ex-Präsident Sarkozy war vielen unheimlich. Doch die “Merkeleyen”, die wir nun mit Kommissionschefin von der Leyen erleben, sind auch nicht besser. Ihr Markenzeichen ist die Intransparenz – und die Durchsetzung deutscher Interessen.

Die deutsche Ratspräsidentschaftist vorbei, doch die Ereignisse der letzten sechs Monate wirbeln immer noch viel Staub auf. Der EU-China-Deal sorgt für Ärger in den USA, die unterlassene Hilfeleistung für Flüchtlinge empört Grüne und Menschenrechtler. Am meisten Wirbel gibt es aber weiter um die Impfstrategie der EU. Immer wieder wird der unbelegte Vorwurf wiederholt, Paris sei schuld, dass Brüssel nicht mehr Impfstoff bei Biontech bestellt hat. Dabei waren alle Bestellungen mit Berlin abgestimmt.

Wie eng die Absprachen liefen, hat ausgerechnet die BILD-Zeitung enthüllt. Genüsslich zitiert sie aus einem Brief von Gesundheitsminister Spahn, in dem der sich – offenbar auf Druck von Kanzlerin Merkel – für eine europäische Beschaffungs-Strategie ausspricht.

Merkel und Kommissionschefin von der Leyen haben demnach über Spahns Kopf hinweg vereinbart, dass der Impstoff-Kauf zentral in Brüssel organisiert wird – und nicht dezentral in einer Impfstoff-Allianz, die Spahn mit Frankreich, Italien und Holland geknüpft hatte.

Wenn das stimmt – der Bericht wurde nicht dementiert – dann haben “Kanzlerin und Präsidentin” (BILD) die Strippen gezogen. Warum auch nicht? Merkel hatte den Ratsvorsitz, von der Leyen hat ihr Treue geschworen, zusammen wollten sie die EU aus der Krise führen.

Damit bricht aber die billige These vom bösen Franzosen in sich zusammen, der die EU am Kauf des deutschen Vakzins gehindert hätte. Wenn es Fehlentscheidungen gab, dann sind sie bei “Merkeleyen” zu suchen – in der allzu engen Partnerschaft der beiden CDU-Damen.

Und das nicht nicht nur beim Impfstoff-Thema.

Auch der Last-Minute-Deal mit China ist auf eine “Merkeley” zurückzuführen – die Verhandlungen liefen über Brüssel. Sogar die umstrittenen Absprachen zum EU-Budget mit dem ungarischen Quertreiber Orban sind eine “Merkeley” – eingefädelt von Merkel, umzusetzen von Frau Leyen.

Gemeinsam ist diesen “Merkeleyen”, dass sie wie Geheimnisse behandelt worden sind. Der Deal mit Orban kam einen Tag vor dem entscheidenden EU-Gipfel ans Tageslicht, der China-Deal am letzten Tag der deutschen Präsidentschaft. Und der Impfstoff-Plan sogar erst danach.

Bleibt zu hoffen, dass es nicht so weiter geht. Denn damit würde der europäische Gedanke auf den Kopf gestellt. Man stelle sich vor: Merkel und von der Leyen kungeln etwas aus – und wenn es schief geht oder Deutschland nicht gefällt, wird Frankreich zum Sündenbock gemacht.

Unvorstellbar, oder?

Mehr zu Merkel hier

Update: Die meisten hier beschriebenen “Merkeleyen” haben gehalten; nur das Investitionsabkommen mit China wurde, auf Druck der USA und des Europaparlaments, auf Eis gelegt. Die Impfstrategie und der Orban-Deal hingegen haben bis heute Bestand. Es hat sogar noch weitere Absprachen zwischen Merkel und von der Leyen gegeben – etwa bei Nord Stream 2. Dort hat die Kommissionschefin stillgehalten, bis Merkel sich grünes Licht bei US-Präsident Biden geholt hat. Beim Klimapaket “Fit for 55” hat von der Leyen sogar bei der CDU abgekupfert – und einen Emissionshandel für Verkehr und Gebäude vorgeschlagen, wie es ihn in Deutschland bereits gibt. Ihr “Executive Vice President” Frans Timmermans war dagegen, doch Merkel war wichtiger. Honni soit qui mal y pense…