Merkel setzt aufs Vergessen
Dass der “Aufbruch für Europa” bei Kanzlerin Merkel nur ein einfaches “Weiter so” bedeutet, hat mittlerweile auch die “Süddeutsche” gemerkt. Doch Merkels Regierungserklärung verrät noch mehr.
Die Kanzlerin sprach kurz vor dem EU-Sondergipfel am Freitag sich dafür aus, den “Einschnitt” des britischen EU-Austritts zu nutzen, um “die EU-Finanzen insgesamt auf den Prüfstand zu stellen”.
Die EU sei heute in einer ganz anderen Lage als zu dem Zeitpunkt, an dem das aktuelle Budget ausgehandelt wurde. Damals befand sich Europa in einer tiefen Wirtschaftskrise, zudem spielte die Migrationskrise nicht so eine bedeutende Rolle.
Soso. Darf man daran erinnern, dass die Migrationskrise auch schon 2014 – bei der Verabschiedung des aktuellen EU-Budgets – eine wichtige Rolle spielte? Zwar nicht in Deutschland, dafür umso mehr in Italien und Spanien.
Doch Merkel weigerte sich, die überkommenen Dublin-Regeln zu ändern oder mehr Geld für die “gemeinsame” Flüchtlingspolitik in die Hand zu nehmen. Sie blockierte sogar mehrere Vorstöße auf EU-Ebene.
Darf man des Weiteren daran erinnern, dass die Wirtschaftskrise weitgehend “made in Germany” war – wegen einer verfehlten Austeritätspolitik, die erst mit der Juncker-Kommission aufgegeben wurde?
Erst die Abkehr von Merkels und Schäubles Spardogmen erlaubte die Erholung, die wir heute sehen. Und erst der “Juncker-Plan” bewirkte ein Hochfahren der Investitionen. Merkel war zunächst dagegen.
Gut, heute ist die Lage anders, eine Überprüfung des EU-Budgets ist deshalb durchaus angebracht. Doch auch hier darf man daran erinnern, dass Merkel das schon 2014 versprochen hat.
Damals strich sie den Gemeinschaftshaushalt zusammen – Arm in Arm mit dem britischen Premier Cameron, den Merkel dann bei seinen Reformforderungen für die EU hängen ließ, was mit zum Brexit führte.
Merkel war es auch, die die EU-Staaten zum Griff in die nationale Kasse nötigte, um ihren Türkei-Deal zu finanzieren. Die EU hatte nach der Kürzung nicht mehr genug Geld für den “Schlüsselpartner”.
All das fehlt in der Regierungserklärung. Merkel setzt aufs Vergessen – dass sie selbst es war, die die EU in ihre tiefste Krise führte, soll niemand bemerken. Auch dafür ist das Wort vom “Aufbruch” gut…
Peter Nemschak
22. Februar 2018 @ 15:29
Mehr Geld für eine gemeinsame Flüchtlingspolitik setzt voraus, dass es eine solche gibt. Zwar scheinen mehr und mehr Mitgliedsländer eine restriktivere Flüchtlingspolitik als bisher zu verfolgen, zuletzt Frankreich, aber von den Grundsätzen für einer gemeinsame Migrationspolitik sind wir noch weit entfernt.
Kleopatra
23. Februar 2018 @ 14:09
Nun, die Hauptvoraussetzung für eine “gemeinsame Flüchtlingspolitik” wäre gewesen, im Herbst 2015 nicht die einsame Heldin zu spielen und – statt gegen Migration auch entschieden vorzugehen – auf einer Ratssitzung einen “Verteilungsplan” derart in der Eile durchzuprügeln, dass der Apparat es seinerzeit noch nicht einmal geschafft hat, die Beschlussvorlagen in alle Sprachen zu übersetzen. Ein großer, selbstverliebter Teil der deutschen Presse fand dieses Überfahren der kleinen osteuropäischen Staaten seinerzeit großartig; aber tatsächlich war es ein übler Fauxpas. Eine “gemeinsame” Politik wird nicht durch Befehle aus Berlin, sondern durch Miteinanderreden und durch die Bereitschaft, die Standpunkte der anderen als genauso berechtigt wie die eigenen anzuerkennen, erreicht. Dann hätten freilich Merkel und viele deutsche Journalisten keine Gelegenheit zum exzessiven bis obszönen nationalen Selbstlob gehabt.
Peter Nemschak
24. Februar 2018 @ 09:11
Ein Flüchtlingsstau in Südosteuropa hätte zu einer regionalen Destabilisierung einer ohnedies politisch und wirtschaftlich instabilen Region geführt (H.Münkler). So gesehen war die Öffnung der Grenzen, aus damaliger Sicht die zweitschlechteste Option. Der eigentliche Fehler ist dadurch passiert, das man auf Grund der sich in Syrien anbahnenden Katastrophe nicht mehr Geld für die Versorgung der Menschen vor Ort locker gemacht hat. Die beste Alternative, Assad rechtzeitig zu entfernen, schied aus, nachdem die EU politisch und militärisch dazu nicht in der Lage war und auch heute nicht imstande ist, einen gemeinsamen politischen Willen zu entwickeln und ihn, gegebenenfalls auch militärisch, gegen den Willen anderer durchzusetzen.