Merkel räumt ein, dass der Backstop nicht so toll war
Alternativlos und unverzichtbar – so wurde der “Backstop” für Irland von der EU immer dargestellt. Doch nun ist die umstrittene Notfalllösung beim Brexit vom Tisch – und sogar Kanzlerin Merkel räumt ein, dass sie nicht so toll war.
Selbstkritisch war es wohl nicht gemeint. Dennoch ist es interessant, wie Merkel den Backstop qualifizierte, nachdem der EU-Gipfel den neuen Brexit-Deal mit Großbritannien gebilligt hatte.
“Der Backstop war eine unendliche Geschichte”, sagte sie bei ihrer Pressekonferenz in Brüssel. Nun habe man eine bessere Lösung gefunden, die für “klare Abläufe” sorge und den Binnenmarkt sichere.
Wohl wahr! Der nun gestrichene Backstop sah nämlich vor, dass ganz UK so lange in der Zollunion bleiben sollte, bis ein neuer Freihandelsvertrag ausgehandelt wäre.
London wäre damit auf Jahre hinaus an die EU gebunden geblieben – und hätte keine neuen Handelsverträge mit Drittstaaten abschließen können. Deshalb die “unendliche Geschichte”!
Nach dem neuen Deal dagegen kann London frei agieren – und neue Abkommen mit den USA oder Japan aushandeln.
Künftig sollen Waren, die von der britischen Insel nach Nordirland eingeführt werden, einem doppelten Zollregime unterliegen – dem bestehenden europäischen und einem neuen britischen.
London soll für die Kontrollen an den nordirischen „Entry points“ – also Häfen und Flughäfen – sorgen. Bei Waren, die ein „Risiko“ für den europäischen Binnenmarkt darstellen, sollen die EU-Regeln gelten.
Damit habe man die “Quadratur des Kreises” geschafft, freute sich Merkel. Da fragt man sich doch, warum das nicht schon früher möglich war?
Mußte die EU wirklich das britische Unterhaus auflaufen lassen, das den Backstop ablehnte, weil er UK dauerhaft an die EU binden würde, und eine Neuverhandlung forderte?
Hätte man schon früher auf die britischen Abgeordneten gehört und Alternativen zum Backstop gesucht, wären der EU und UK manches erspart geblieben..
Peter Nemschak
19. Oktober 2019 @ 09:25
@Andreasspecht Die sauberste Lösung wäre die längst überfällige Vereinigung der beiden Irlands. Der Anteil der Protestanten in Nordirland ist bereits unter 50 % gefallen. Religion sollte im heutigen Europa keine Rolle für staatliche Identifikation mehr spielen.
Peter Nemschak
18. Oktober 2019 @ 20:40
Die jetzige Lösung läuft über kurz oder lang auf die irische Wiedervereinigung hinaus, was die eingefleischten Unionisten bekämpfen werden, hoffentlich nicht mit Gewalt, und selbst wenn. Die irischen Empfindlichkeiten sollten weder das UK noch die EU stören. Es wird immer Unzufriedene geben, die man finanziell ruhigstellen muss.
Kleopatra
18. Oktober 2019 @ 18:44
In einem wichtigen Punkt haben sich die Kräfteverhältnisse bei den Verhandlungen Ende letzten Jahres verändert: Bis Dez. 2018 gingen viele Beteiligte davon aus, dass GB in jedem Fall nach Ablauf der Frist ausscheiden würde (ob sie wollen oder nicht) und daher unter Zeitdruck stünde; daher fühlte sich die EU-Seite zu einer aggressiven Verhandlungsführung ermutigt, die jede Vertragsvariante als Gnade gegenüber der anderen Seite sah. Nachdem damals aber der EuGH entschieden hat, dass GB seinen Austrittserklärung auch einseitig zurückziehen kann, steht die Sache in gewissem Sinn umgekehrt, denn die EU-27 muss im schlimmsten Fall damit rechnen, auf Jahre hinaus mit einem großen Mitgliedstaat geschlagen zu sein, der sich an Kränkungen dieser Jahre genau erinnert.
Peter Nemschak
18. Oktober 2019 @ 13:59
@Kleopatra Es ist natürlich auch eine Frage des Timing und der jeweiligen politischen Konstellation (aktuelle Beschlüsse im Unterhaus), die sich seit May geändert hat. Merkel ist politisch geschickt. Sie kennt die Mechanismen der Macht nur allzu gut. Sonst wäre sie nicht bereits so lange Bundeskanzlerin.
Fritz-Ulrich Hein
18. Oktober 2019 @ 12:31
Leider ist noch nicht alles in trockenen Tüchern. last uns also auf Samstag warten. Eines wird aber gewiss sein: Sollte Corbyn wieder verweigern, drohen Neuwahlen. Bei diesen wird aber nur Bo.Jo. gewinnen und Corbyn hoffentlich zerbröselt.
Kleopatra
18. Oktober 2019 @ 09:08
Sofern man zum Ergebnis kommt, dass die jetzige Lösung für Großbritannien besser ist als der vorherige Entwurf und für die EU zumindest akzeptabel, hätten wir den schlagenden Beweis, dass die Johnsonsche Brutalvariante der Diplomatie, die in allen deutschen Zeitungen mit höchster Verachtung abgehandelt wurde, für den Umgang mit der EU besser geeignet war als Mays zivilisiertes höfliches Benehmen. Im Grund hätte T. May der EU spätestens nach der zweiten Ablehnung im Unterhaus signalisieren müssen, dass der Vertragsentwurf tot war. Die Position der EU, dass der Vertragsentwurf quasi eine heilige Offenbarung sei, an der kein Buchstabe geändert werden dürfe, war freilich auch mehr darauf angelegt, die EU als monolithischen Block zusammenzuhalten, als auf einen Vertrag, der für beide Seiten akzeptabel sein muss. Mindestens die deutsche Presse hat sich eifrig daran beteiligt, den Vertragsentwurf zum unveränderlichen heiligen Text und zur einzigen Sicherung gegen einen Bürgerkrieg in Nordirland hochzuschreiben; Merkel dagegen hat allerdings schon oft bewiesen, dass sie sich von jedem Prinzip verabschieden kann, wenn es opportun ist.
ebo
18. Oktober 2019 @ 09:16
Volle Zustimmung! Wobei sich Merkel auch jetzt wieder ein Hintertürchen offen hält…
Andreasspecht
18. Oktober 2019 @ 08:29
Sie hat jetzt die Quadratur des Kreises geschafft ?? Oje oje oje der backstop war ein hartes aber klares Instrument EU Interessen zu verteidigen. Nicht die EU wollte aus GB austreten, sondern umgekehrt!
Andreas Müller
17. Oktober 2019 @ 19:39
Und so steht jetzt Boris Johnson plötzlich nicht mehr so volldoof da, wie er immer hingestellt wurde: arme Theresa May.