„Merkel nimmt Rücksicht auf die AfD“

In Frankreich wächst das Unbehagen über die deutsche Europapolitik. Wieso hat Kanzlerin Merkel immer noch keine Antwort auf die Vorschläge von Präsident Macron gegeben, fragt man sich in Paris. Die Antwort wird gleich mitgeliefert.

„Merkel nimmt Rücksicht auf die AfD“, hörte ich mehrfach bei einem Kurzbesuch in Paris, wohin ich zu einer Podiumsdiskussion zum Brexit gefahren war. Anders sei die Zurückhaltung kaum noch zu erklären.

Die Kanzlerin, so die französische Lesart, wage keine große EU-Reform, weil ihr die AfD im Nacken sitzt. Auch beim Brexit sei sie vorsichtig, um die Rechten nicht zu stärken, die mit den Torys und der UKIP sympathisieren.

Merkel war bei der Verleihung des Karlspreises an Macron jede Antwort auf dessen Reforminitiativen schuldig geblieben. Der Franzose hatte mehr Mut und mehr Tempo angemahnt – es klang wie eine letzte Warnung.

Allerdings lässt sich der Einfluss der AfD auf die deutsche Europapolitik bisher kaum nachweisen. Merkel war auch schon vor der Bundestagswahl mehr als zögerlich, also lange vor dem bundesweiten Aufstieg der AfD.

Die aktuelle Verweigerungshaltung erkläre ich mir deshalb auch anders. Zum einen sehen Merkel und ihre Mitstreiter (Altmaier, Corsepius…) keinen Grund, den Status Quo zu ändern – das „deutsche Europa“ läuft doch!?

Zum anderen wollen sie den Ausgang des Brexits abwarten. Insgeheim hoffen viele immer noch, die Briten – einst Merkels engste Verbündete – könnten es sich nochmal anders überlegen; vor allem Schäuble setzt darauf.

Drittens steht Berlin bereits im Zeichen der nahenden Landtagswahl in Bayern. Die CSU ist auf massivem Rechtskurs; sie übernimmt vielfach die Rhetorik der AfD, um sie bei der Wahl zu marginalisieren.

Selbst wenn sie wollte, könnte Merkel dem derzeit wenig entgegensetzen. Denn sie ist im neuen Kabinett ja auch persönlich geschwächt. Seehofer und Spahn geben den Ton an, die Kanzlerin wirkt fast abwesend…