Merkel, Macron und May – die Implosion der Macht
Das ist schon eine merkwürdige Koinzidenz: Die Staats- und Regierungschefs Deutschlands, Frankreichs und Großbritannien haben gleichzeitig gravierende innenpolitische Probleme. Merkel, Macron und May droht der Verlust der Macht. Wird Brüssel zum neuen Zentrum?
Früher nannte man sie die “großen Drei”: Deutschland, Frankreich und Großbritannien galten als tragende Säulen der EU. Nun bereitet sich UK auf den EU-Austritt vor, und in Berlin und Paris brennt die Hütte.
Am komfortabelsten ist die Lage wohl noch für Merkel. Sie gibt “nur” den CDU-Vorsitz ab. Doch das ist vermutlich bloß der Anfang vom Ende. Wenn Merz die Partei übernimmt, könnte Merkel schnell Geschichte sein.
Richtig brenzlig sieht es für Macron aus. Denn einige “Gelbwesten” wollen ihn stürzen; sogar ein “Besuch” des Elysée-Palastes wurde angedroht. Macron will nicht weichen, hat de facto aber schon die Macht verloren.
Das lässt sich auch über May sagen. Sie wird nur noch vom eigenen Ego und von der Angst vor dem Absturz gehalten. Bei der Brexit-Abstimmung im Parlament ist ihr die Niederlage so gut wie sicher. Wie es dann weitergeht, weiß niemand.
Insgesamt darf man diese Krise wohl historisch nennen. Und man muss sich wundern, wie wenig die EU von all dem mitzubekommen scheint. Sie will nächste Woche ihren Gipfel in Brüssel abhalten, als sei nichts geschehen.
Dabei implodiert gerade der alte Kern der EU. Ein neuer ist nicht in Sicht – oder sollen wir annehmen, dass Brüssel sich zu einem autonomen, postnationalen Machtzentrum entwickelt hat, das auch einen Putsch in der CDU, eine Revolte in London oder eine Revolution in Paris übersteht?
Das wäre ja noch verrückter…
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WATCHLIST:
- Nach Großbritannien setzt die EU nun auch der Schweiz die Pistole auf die Brust. Sie soll bis Freitag einem Rahmenabkommen zustimmen – andererseits werde man der Schweizer Börse die Anerkennung entziehen, heißt es in Brüssel. Geht man so mit Freunden und Partnern um? Ich wundere mich über dieses unangemessene imperiale Gehabe…
WAS FEHLT?
- Der jüngste Flop in der Migrationspolitik. Die EU kann ihr Versprechen nicht halten, bis 2020 mal eben 10.000 Grenzschützer an die Außengrenzen zu schicken. Es werde mindestens fünf Jahre länger dauern, so Innenminister Seehofer. Auch beim Asylrecht geht es nicht voran. Die versprochene große Reform fällt ins Wasser, wie beim Euro…
Peter Nemschak
8. Dezember 2018 @ 08:45
@ebo Macron ist eben, was Führung betrifft, unerfahren und hat in seiner Karriere nie Rückschläge verdauen müssen. Im Unterschied zu Macron war 1968 de Gaulle bei der Bewältigung der Maiunruhen ein anderes Kaliber. Man darf die Spaltung der CDU nicht überschätzen. Eine Volkspartei hat eben verschiedene Flügel. Sie ist es gewohnt, mit ihrem rechtesten Flügel, repräsentiert in ihrer Schwesterpartei der CSU, auskommen zu müssen. Spaltung heißt auch, dass die Demokratie lebt. Ist auch interessanter zu beobachten als der kuschelige Einheitsbrei.
Peter Nemschak
7. Dezember 2018 @ 09:40
Es sieht tatsächlich so aus als hätten die Gelbwesten Macron die rote Jakobinermütze aufgesetzt. Für einen erfolgreichen Politiker bedarf es anderer Talente als jene, die Macron auszeichnen. Führungserfahrung fehlt überhaupt in seiner Biografie. Es gibt einen Riesenunterschied zwischen Visionen und ihrer Umsetzung in einem widerständigen Umfeld. Macrons Visionen für Europa hatten stets den Hauch des Naiven. Ob ihm das jemand je offen entgegengehalten hat? Aus dem (Mini-)skandal wegen der Kosten seines Visagisten hätte Macron lernen können. Er hat es nicht geschafft, die richtige Mischung aus Nähe und Distanz zu den Regierten zu finden. Dadurch hat er ihre Gefolgschaft verloren. Ich bezweifle mittlerweile, ob er es schafft, die seiner Eitelkeit zugefügte Kränkung als solche zu reflektieren und die am Boden liegende Macht wieder aufzuheben. Im UK ist ein zweites Referendum durchaus im Bereich des Möglichen, nachdem weder ein ungeordneter BREXIT noch der ausgehandelte Vertrag für das Land attraktiv sind. Man darf den pragmatischen Zugang der Briten nicht unterschätzen. Am stabilsten erscheint Deutschland. Keiner der drei Kandidaten für den Parteivorsitz der CDU sollte ein Problem für die EU sein.
ebo
7. Dezember 2018 @ 15:17
Es fällt leicht, jetzt über Macron herzuziehen. Dass er 1:1 die deutsch-europäische “Reform”politik durchgezogen hat, wird dabei sofort vergessen. Dass Merkel ihn bi der EU-Reform hängen ließ, auch. auch die Häme für May fällt leicht. Dabei war es die EU, die ihr einen Vertrag vorsetzte, von dem sie genau wußte, dass er nie eine Mehrheit finden würde…
Peter Nemschak
7. Dezember 2018 @ 20:52
In Deutschland ist von Implosion nichts zu merken. Merkel hat es sogar geschafft, eine Kandidatin ihrer Wahl als Nachfolgerin an der Spitze der CDU zu installieren. In unsicheren Zeiten wollen die Menschen Kontinuität. Ich sehe May ohne Häme und Mitleid, für Macron scheint die Aufgabe zu groß zu sein. Das dürften seine erfahrenen Mitspieler in der EU rasch erkannt haben.
ebo
7. Dezember 2018 @ 22:28
Richtig, Merkel hat geschickt taktiert. Aber die CDU ist nun gespalten, die SPD liegt am Boden. Ihre Lage ist der von May nicht unähnlich. Und die Unzufriedenheit wächst. All das ist Wasser auf die Mühlen der AfD
Peter Nemschak
8. Dezember 2018 @ 09:48
Die EU hatte keine andere Wahl, wollte sie ihre Identität nicht aufs Spiel setzen und Nachahmer auf den Plan rufen, welche Teil eder bereits erfolgten Integration rückgängig machen wollen.
Kleopatra
7. Dezember 2018 @ 20:56
Die Schwierigkeiten des Herrn Macron sind Anlass, zwei Schlüsse zu ziehen:
1) Es lohnt sich, Politiker zu haben, die sich langfristig hochgearbeitet haben. Die können eher einschätzen, was geht und was nicht. E.M. unterschätzt offenbar die Notwendigkeit, Loyalität zu gewinnen, indem man um sie wirbt, und ihm scheint der lange Atem zu fehlen – das ist die Kehrseite seiner “Jugendlichkeit”.
2) Ein funktionierendes Parteiensystem hat nicht nur Nachteile, sondern auch den Vorteil, dass damit die Kommunikation zwischen Wählern und Parlament/Regierung strukturiert wird (zum Beispiel weiß ein Wähler, was er der Regierung / dem Parlament mitteilt, wenn er eine bestimmte Partei wählt). Die Antiparteien-Bewegung erweist sich als Eintagsfliege, weil man nicht genau weiß, was sie politisch will (tatsächlich kommandiert Macron sie anscheinend wie ein Husarenregiment), und damit auch nicht klar ist, wofür Macron eigentlich aus seinem Wahlsieg ein Mandat bezieht (das einzige Argument für ihn war letztlich, dass er nicht Marine Le Pen ist).
ebo
7. Dezember 2018 @ 22:25
Alles richtig. Aber das Hauptproblem von Macron ist, dass er die “corps intermédiaires” komplett ignoriert – Verbände, Regionen, Gewerkschaften. Er ist der Sonnenkõnig, der frei in der Luft schwebt. Das isoliert ihn und macht den Volksaufstand so gefährlich
Andreas Müller
7. Dezember 2018 @ 06:14
„Ich wundere mich über dieses unangemessene imperiale Gehabe“
Unbelehrbar. Es führt kein Weg mehr am großen Ausmisten vorbei.
Franz Wegmüller
7. Dezember 2018 @ 11:11
@Müller: Unbelehrbar in welcher Hinsicht?
Wieviele Nettozahler gibt es denn noch in der EU? Wieviele Mitgliedsländer der EU halten sich denn noch an die elementarsten Verträge der EU wie Maastricht, Schengen-Dublin usw.?
Wir Schweizer haben echt die – Entschuldigung – Schnauze voll: Uns muss man weder Demokratie (sind ausser F und GB in Europa sowieso die meisten Länder erst seit 1945, bzw. 1989/90, von den EU-Oststaaten, die sich bereits wieder davon entfernen sprechen wir mal gar nicht) noch Rechtsstaatlichkeit lehren.
Wir halten uns an alle mit der EU geschlossenen Verträge, nie gab es da auch nur das kleinste Problem. Nun soll ein Detail an einem von über 100 Verträgen angepasst werden, aber Nein, die EU will dann gleich alles kippen und nötigt uns einen Rahmenvertrag auf, den die Regierung auch noch unterschreiben soll, bevor überhaupt jemand Details kennt. Nicht ganz zu Unrecht sprechen da einige politische Exponenten in der Schweiz von einem Kolonialvertrag und so funktioniert das demokratische System Schweiz nicht.
Weiter: wir Schweizer sind nach USA und China grösster Handelspartner der EU, wohlgemerkt verdient die EU an der Schweiz mehr als umgekehrt. Mit die reichsten (produktivsten) Gegenden in F, D, I und A grenzen direkt an die Schweiz, es liegt also sehr wohl im Interesse von diesen Ländern, dass der Handel mit der CH keinerlei Störungen ausgesetzt wird.
Weiter: die Börsenäquivalenz ist eine rein technische Angelegenheit, die SIX erfüllt diese genau so wie andere Nicht-EU-Länder auch (was die EU bereits längst bestätigt hat), ihr wird aber aus politischer Willkür die Äquivalenz verweigert, was nicht nur unsachlich und erpresserisch ist, sondern auch jeder Rechtsstaatlichkeit widerspricht.
Fazit aus Schweizer Sicht: Mit so einem – Entschuldigung – Sauhaufen will man eigentlich am liebsten gar nichts zu tun haben, da dies aber bekanntlich nicht geht bleibt wohl nichts anderes übriga als alle Bilateralen Abkommen zu künden, damit beide Seiten gezwungen sind mal ihre Karten auf den Tisch zu legen.
ebo
7. Dezember 2018 @ 15:14
Danke für diesen interessanten Einblick! Leider hört man viel zu selten, wie es der Schweiz mit der EU geht…
Winston
9. Dezember 2018 @ 07:36
@ Wegmüller
Vielen Dank für diesen Einblick aus der neutralen Schweiz.
Das die EU durch drohen, Einschüchterung und erpressen ihre völlig abstrusen und destruktiven Gesetze, Regeln und Normen den Staaten aufzwingt, zeigt einmal mehr auf zu was für ein zutiefst undemokratisches und korruptes Monster die EU verkommen ist. Da entscheiden ein paar Bürokraten aus Brüssel, von niemand gewählt, weit weg vom demokratischen Prozess der einzelnen Staaten wie sich die Staaten zu verhalten haben und was sie zu tun haben und wenn sie sich nicht daran halten wird erpresst und gedroht.
Das jetzt selbst die neutrale Schweiz nicht in Ruhe gelassen wird, stimmt mich sehr nachdenklich. Ich hoffe die Schweiz bleibt standhaft.