Wendemonat Mai: Merkel hatte keine Wahl

Es geschah im Wonnemonat Mai: Kanzlerin Merkel rückte überraschend von ihrer EU-Doktrin ab und legte gemeinsam mit Präsident Macron einen schuldenfinanzierten Wiederaufbau-Plan vor. Wie konnte es dazu kommen? Hatte Merkel überhaupt eine Wahl? – Teil 5 unserer Sommerserie mit den besten Blogposts dieses Jahres.

Repost vom 20.05.2020

Kanzlerin Merkel hat wieder eine abrupte Wende hingelegt. Der Recovery-Plan, den sie mit Präsident Macron vorgelegt hat, hat wenig mit ihren bisherigen Positionen gemein. Doch sie hatte keine Wahl – Merkel mußte sich bewegen.

Am liebsten hätte sie wohl auch diese Entscheidung ausgesessen. Bei mehreren EU-Gipfeln hat sich die Kanzlerin denn auch keinen Millimeter bewegt. EUSchulden lehnte sie ebenso ab wie Finanz-Transfers in den Süden.

Doch die Forderungen wurden immer lauter, der Druck immer größer. Am Ende hatte Macron eine Allianz von neun gleichgesinnten Staaten geschmiedet, die finanzielle Solidarität fordern. Deutschland geriet in die Minderheit.

Doch auch das hätte wohl nicht genügt – wäre da nicht auch noch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Anleihekäufen der Europäischen Zentralbank gekommen. Seither sitzt Deutschland auf der Anklagebank.

Kommissionschefin von der Leyen droht sogar mit einem Vertragsverletzungsverfahren, weil die Karlsruher Richter sich anmaßen, über dem EU-Recht und dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg zu stehen. Das hat auch Merkels Standing beschädigt.

Zudem ist die deutsche Position in der Coronakrise unhaltbar geworden. Zu Beginn der Pandemie konnte Merkel noch damit argumentieren, Deutschland sei genauso betroffen wie alle anderen EU-Länder – und Forderungen aus Südeuropa abwehren.

Nun, da die Corona-Welle abebbt, zieht dieses Argument jedoch nicht mehr. Deutschland steht als größter Gewinner da – nicht nur bei der Seuchen-Bekämpfung, sondern auch bei der Bewältigung der wirtschaftlichen und sozialen Krisenfolgen.

Als Gewinner muss man jedoch großzügiger sein – insbesondere dann, wenn man auch künftig von der EU und ihrem lukrativem Binnenmarkt profitieren möchte. Dies hat Merkel erkannt – und sich gerade noch rechtzeitig bewegt.

Dabei ist sie Macron und den Südeuropäern nicht weiter entgegen gekommen, als sie mußte – sie hat nur unhaltbar gewordene Positionen geräumt…

Dies ist ein Auszug aus einem Beitrag für den Cicero, das Original steht hier. Siehe auch “Jetzt wird es ernst – auch für Merkel”

P.S. Zu ähnlichen Schlüssen kommt P. Taylor bei “Politico”. Auch er stellt die Bedeutung des BVerfG-Urteils und die Besonderheiten der Coronakrise heraus, die Merkel zum Handeln gezwungen haben…