Memo für Merkel

Beim EU-Gipfel soll es erst um die Politik, dann um die Personalie Juncker gehen. Kanzlerin Merkel möchte die Prioritäten für die nächste EU-Kommission bestimmen – und dabei dem britischen Premier Cameron entgegenkommen. Hoffentlich vergisst sie dabei nicht das Wichtigste.

  1. Großbritannien ist nicht im Euro, nicht im Schengen-Raum und auch nicht wirklich in Europa. Es macht daher keinen Sinn, allzu weit auf Cameron einzugehen.
  2. Die wichtigsten Partner Deutschlands im Euro, Frankreich und Italien, rutschen in die Krise. Merkel sollte daher Hollande und Renzi genau zuhören – sonst ist sie hinterher schuld, wenn’s schiefgeht.
  3. Hollande und Renzi fordern eine Politikwende, Hollande hat dafür sogar einen detaillierten Plan vorgelegt. Sage niemand, Camerons oder Merkels Kurs sei alternativlos.
  4. Auch die meisten Menschen in Europa wollen eine Wende. 60 Prozent sind nicht zur Europawahl gegangen, und von den Wählern haben rund 30 Prozent EU-kritische oder feindliche Parteien gewählt.
  5. Das alte Europaparlament hat eine Aussetzung bzw. einen Neustart der TTIP-Verhandlungen mit den USA und eine Abschaffung der Troika gefordert. Beides gilt es jetzt umzusetzen.
  6. Das Parlament hat mit der Wahl des neuen Kommissionschefs einen Sieg über den Rat errungen. Es wäre ein Fehler, sich nun an Juncker zu rächen, indem man ihn an Ketten legt.
  7. Es ist noch gar nicht so lange her, dass ein EU-Gipfel das Ende der NSA-Überwachung gefordert hat. Der Anlass war das “Merkel-Handy”. Höchste Zeit, nun endlich zu handeln.
  8. Es ist auch noch nicht so lange her, dass eine “Jugendgarantie” beschlossen wurde. Geschehen ist seither fast nichts, gerade wurde ein Jugendgipfel in Italien abgeblasen. Auch hier sind Taten gefragt.
  9. In der EU wächst der Unmut über das “deutsche Europa”, das neuerdings sogar den Parlamentspräsidenten bestimmen und alle wichtigen Posten belegen will. Mehr Bescheidenheit ist angesagt.
  10. Die EU ist in den letzten Jahren nur knapp am Kollaps vorbeigeschrammt. Jetzt ist es an der Zeit, die Konsequenzen zu ziehen und für ein demokratischeres und soziales Europa zu sorgen.

Viel Zeit bleibt nicht mehr, Frau Merkel. Verschwenden Sie sie nicht mit einem Mann, der so oder so bald von der Bühne verschwindet – und dessen Land um einen wichtigen Teil schrumpfen könnte…