Mehr Austerität – und mehr Geld für Waffen?
Der Streit um die Finanzpolitik in der EU nimmt absurde Züge an. Finanzminister Lindner fordert striktere Schuldenregeln und damit mehr Austerität. Gleichzeitig soll aber die Finanzierung von Waffen für die Ukraine gefördert werden. Wie passt das zusammen?
Bundesfinanzminister Lindner fordert bei den Beratungen über neue europäische Schuldenregeln deutliche Änderungen. Aus Sicht der Bundesregierung würden “noch deutliche Anpassungen benötigt”, sagte der FDP-Politiker in Berlin.
“Wir wollen insbesondere auch numerische Anforderungen, also in konkreten Zahlen sichtbare Anforderungen sehen, damit wirklich sichergestellt wird, dass Defizite und Schulden sich auch schon mittelfristig deutlich reduzieren.”
Damit ruft Lindner nach mehr Austerität – vielleicht nicht in Deutschland, aber sicher in hoch verschuldeten Ländern wie Griechenland, Italien oder Frankreich. Sie müssten ab 2024 den Gürtel enger schnallen und Sozialleistungen kürzen.
Gleichzeitig wird jedoch der Ruf nach mehr Geld für Waffenlieferungen an die Ukraine laut. Die neuen EU-Schuldenregeln könnten Ausnahmen für Verteidigungsausgaben enthalten, berichtet “Bloomberg”.
Military spending, including on bullets and shells, would be viewed as supporting one of the key strategic goals of the bloc and would extend the time national governments have to adjust their public accounts to as much as seven years, according to EU officials.
Bloomberg
Wie passt das zusammen? Weniger Geld für Renten und Krankenhäuser – und mehr für tödliches Kriegsgerät? Wer soll das noch verstehen und kurz vor der Europawahl im Juni 2024 vermitteln? Bei vielen Bürgern dürfte es nicht gut ankommen…
Siehe auch Lindner vs. EU: Machtkampf um die Schuldenregeln
WBD
4. Mai 2023 @ 13:40
kurz mein Senf zu Wikipedia: Ich wollte vor ~2 Jahren einen Leserbrief an den Spiegel loswerden, weil in einem Artikel über den ‘russischen Einmarsch in Georgien’ schwadroniert wurde. Ich hatte noch gut die damaligen Spiegel-Artikel in Erinnerung, daß Georgien den Krieg angefangen hatte, und wollte das nur noch mal kurz auf Wikipedia bestätigen…
Aber auch dort war die gleiche Geschichte vom russischen Überfall, die allerdings objektiv falsch ist! Später habe ich erfahren, daß auch Wikipedia in den Einfluss der Washingtoner Think-Tanks (Denk-Panzer – Whow!) geraten ist, und in politischen Dingen an den gerade herrschenden Denk angepasst ist.
Objektivität wird überschätzt, glaube ich… 🙁 …aber Stalin hat das früher ja auch gemacht!
european
4. Mai 2023 @ 17:06
Gerade zu Georgien hat es sogar eine offizielle Untersuchung der EU gegeben, die bestaetigt hat, dass Georgien den Krieg begonnen hatte.
Wikipedia als eine Quelle von vielen zu nutzen, ist sicherlich nicht verkehrt. Sie als einzige Quelle zu nehmen, m.E. fatal, insbesondere wenn man sieht, wie schwer es Leute haben, offensichtlich falsche Meldungen wieder rauszubekommen.
european
4. Mai 2023 @ 08:23
@Helmut Höft
„Gegenfrage: Welche Quellen sind denn an Stelle Wikioedia akzeptabel?“
Gute Quellen zu finden ist wirklich eine Krux, ganz besonders in diesen Zeiten. Man muss es selbst ausprobieren, Seiten oder Aussagen von Leuten mit unterschiedlichen Ansichten eine ganze Weile testen und dann sehen, ob man das vertrauenswürdig findet. Und auch dann kann man falsch liegen. Es kursiert eben auch sehr viel Mist da draußen.
Schon mehrfach gehört bzw gelesen habe ich verschiedentlich, dass Wikipedia sehr gut für Naturwissenschaften sein soll. Nun bin ich keine Naturwissenschaftlerin, kann das also selbst nicht überprüfen. Ich gebe das einfach nur weiter. Vielleicht kann jemand im Forum das bestätigen?
Thomas Damrau
4. Mai 2023 @ 11:24
@european
Ich (Dipl.Informatiker) empfinde die technisch/naturwissenschaftlichen Beiträge in Wikipedia als akkurat – wenn auch oft nicht einfach verständlich.
Auch ansonsten ist für mich Wikipedia erster Anlaufpunkt – insbesondere für Biographien und Beschreibungen von Institutionen. Und natürlich gilt auch für Wikipedia:
– Man muss nicht alles glauben.
– Eine Quelle allein ist dürftiger Beleg.
Arthur Dent
3. Mai 2023 @ 23:35
Schuldenbremsen sind ökonomischer Unsinn. Die Kapitalmärkte haben sich als ziemlich unfähig erwiesen, Geld zukunftsgerichtet zu investieren. (Finanzkrise 2008 durch Platzen der Immobilienblase). Unsere volkswirtschaftliche Vermögensplanung ist völlig unsinnig. Die Schuldenbremse ist das Instrument, das es verbietet, dass deutsche Sparer dem deutschen Staat Geld leihen, damit er in Deutschland vernünftige Investitionen tätigt. Stattdessen bekommen ausländische Staaten das Geld. Völlig absurd. Deutschland leistet Entwicklungshilfen von mehr als 41 Mrd. Euro, während hier das Geld für Bildung, Digitalisierung, usw. fehlt. Durch Schuldenbremsen wird ein ganz wesentlicher Bereich demokratischer Entscheidungsmacht aufgegeben. Indem man den Staat zwingt „sparsam“ zu wirtschaften, reduziert man seinen Einfluss generell. Der Staat sollte nach dieser Logik tendenziell weniger ausgeben, als er an Steuermitteln einnimmt, damit er beginnen kann, seine Schuldenberge abzutragen. Realwirtschaftlich betrachtet kann man nur sparen, indem man etwas produziert, das man nicht selbst verbraucht,
und es jemand anderem gegen das Versprechen überlässt, der andere werde einem eines Tages Güter in gleichem Wert zurückgeben, normalerweise vermehrt um Zinsen.
Man lebt unter seinen Verhältnissen, weil man weniger verbraucht, als man herstellt. Findet man niemanden, der über seinen Verhältnissen leben will, gibt es demzufolge auch kein Sparen.
Daraus folgt, Sparen ohne Verschulden ist unmöglich. Punkt!
european
4. Mai 2023 @ 08:38
So ist es.
Die Krönung des Unverstandes hat in meinen Augen Oettinger dazu geliert, als er mit der steilen These “Die ganze Welt braucht eine Schuldenbremse” an die Öffentlichkeit ging.
So viel Unsinn auf einmal ein einem einzigen Satz ist kaum auszuhalten 😉
KK
3. Mai 2023 @ 17:42
@ Thomas Damrau:
“…die Wahl von Mr. BlackRock aka Friedrich Merz…”
Bei mir hat sich ja “IM Blackrock” als Synonym für diesen nach eigener Einschätzung “mittelständigen” Herrn etabliert…
Thomas Damrau
3. Mai 2023 @ 17:04
@Stef
1. Alles richtig, was Sie sagen.
2. Trotzdem entsteht ein Konflikt, der so moderiert werden muss, das die Wahl von Mr. BlackRock aka Friedrich Merz nicht gefährdet wird.
Stef
3. Mai 2023 @ 11:51
Es ist keineswegs widersprüchlich, Schuldenbremse und Austerität zu fordern und gleichzeitig die Kassen für zusätzliche Militärausgaben zu öffnen. Das ist der ideologische Kern des Neoliberalismus, den man allerdings nur dann richtig versteht, wenn man ihn als Instrument im Klassenkampf einordnet. Schon Margaret Thatcher argumentierte so, als sie mit “starve the beast” den Staat schlank gemacht hat. Natürlich nur da, wo ein üppiges Staatsbudget nicht im Interesse des großen Geldes lag.
Für den Inhaber großer Kapitalmacht ist eine Konstellation wünschenswert, in welcher der Staat auf ein notwendiges Minimum reduziert wird (der “Nachtwächterstaat”), weil über die Staatsfinanzierung auch eine bescheidene Umverteilung stattfindet. Gleichzeitig fallen im Rahmen des zunehmenden privaten Zugriffs auf staatliche Daseinsvorsorgeleistungen Gewinne an, die man im “normalen” privatwirtschaftlichen Wirtschaftsleben so einfach nicht mehr erzielen kann. Sei es durch Rüstungsausgaben des Saates an private Supplier. Oder sei es z.B. durch die Privatisierung von Sozialwohnungen, deren Mieten dann auf Marktniveau erhöht werden. Schuldenbremse und Austerität haben damit eine Korrektivfunktion, indem sie die Ausgabenseite des Staates bremsen und die Einnahmeseite im Interesse des großen Geldes öffnen. Dabei wird bewusst darauf gesetzt, dass für höhere Rüstungsausgaben und z.B. der Privatisierung von sozialem Wohnraum im Zweifel starke Lobbies und unabweisbare Bedürfnisse (Bedrohung durch den bösen Russen) die genehmen politischen Entscheidungen mit Rückenwind gefasst werden können, während Budgetwünschen zu sozialen Zwecken diese Durchschlagskraft in der Regel fehlt.
Jedenfalls solange keine soziale Bewegung sich direkt um Umverteilung von Oben nach Unten kümmert.
european
3. Mai 2023 @ 12:47
Die Zange der Kapitaleigner kommt gleich von mehreren Seiten:
Greedflation, die von keiner Zentralbank bekaempft werden kann.
Austeritaet,
Lohndruck,
Und natuerlich noch mehr Kriege/militaerische Konflikte, denn auch “Sondervermoegen” sollen natuerlich zurueckbezahlt werden.
Helmut Höft
3. Mai 2023 @ 10:37
Mehr Austerität – und mehr Geld für Waffen? Versteh‘ das Fragezeichen nicht hier ist ja auch keines dran! Lieber Eric, nicht so pingelig, ja?
ebo
3. Mai 2023 @ 11:05
Für mich ist es ein Widerspruch, zugleich Budgetdisziplin zu fordern und die Kasse für Waffenkäufe weit aufzumachen. Außerdem ist noch nichts beschlossen – daher das Fragezeichen!
Helmut Höft
3. Mai 2023 @ 20:33
Sry, ich hatt leider einen Ironie-Tag vergessen. Mein Kommentar ist inkomplett, ich hatte noch auf dies hier https://feynsinn.org/wp-content/themes/connections/img/gruepaz.jpg verlinkt und angemerkt, da wäre ja auch kein Fragezeichen dran. Jetzt klar?
Ironie ist schwierig, soll ungekennzeichnet nicht mehr vorkommen.
ebo
3. Mai 2023 @ 22:09
Ja, mit der Ironie ist es so eine Sache…
european
3. Mai 2023 @ 12:43
Ich habe gerade mal einen kurzen Blick auf Ihren Blog geworfen und den neuesten Artikel gesehen.
Sind Ihnen die Geschichten aus Wikihausen bekannt?
Helmut Höft
3. Mai 2023 @ 20:29
Mir sind alle Verschwörungsthorien bekannt, auch die über “Wikihausen” – gerade dort spieße ich ja ein Fall, in dem ich selbst involviert bin, auf … und gebe mindestens einen Hinweis, wie man näher an die Sache herankommen kann. (Tipp: 2 Quellen) Dass “Wikihausen” an den gleichen Wehwehchen leidet wie der gute alte Meyers, das ist Binse. Deshalb: Aufgepasst und nachgedacht.
Gegenfrage: Welche Quellen sind denn an Stelle Wikioedia akzeptabel?
Thomas Damrau
3. Mai 2023 @ 08:00
Da es den EU-Bürgern (noch) nicht erlaubt ist, für das Vaterland EU zu sterben, kann von uns zumindest erwartet werden, in den jeweiligen Mutterländern mal deutlich kürzer zu treten.
Deshalb werden Herr Lindner und seine EU-Kollegen bald mit dem Klingelbeutel und der rethorischen Frage „Wollt ihr, dass das Böse siegt?“ herumgehen und das Geld für die gerade beschlossene Munitions-Milliarde einsammeln, mit „der Russe“ vertrieben werden soll – und die 3%, 4% oder 5% des BIP, die wir künftig für Rüstung investieren werden, damit Putin nicht in Madrid einmarschiert.
Ich persönlich glaube, dass sich im Augenblick zwei Parallel-Universen überlagern:
– das „Wünsch-Dir-Was“-Universum und
– das „Mir-habet-nix-und-gebet-nix“-Universum
Mal sehen, was passiert, wenn sich die beiden Universen wieder entflechten …
Helmut Höft
3. Mai 2023 @ 10:15
Besser gegen Putin als gegen Klima! Man fasst sich an den Kopf und greift daneben!
european
3. Mai 2023 @ 07:33
Die Deutschen träumen von der Finanzkrise reloaded. Deutschland und einige andere Länder sanieren sich durch exorbitante Überschüsse. Andere Länder machen die dazugehörigen Defizite und von diesen Defiziten sollen sie ihre Schulden zurückzahlen.
Der Bildungsnotstand ist auf breiter Ebene in der Regierung angekommen. Die dazugehörige Ignoranz und Arroganz wurde uns in die Wiege gelegt. German exceptionalism.
Ein Kommentar dazu von Professor Alessandro Volpi (Uni Pisa)
„Warum denn? Der unmittelbarste Eindruck geht zurück auf die „ideologische“ Kraft der nördlichen Falken, angeführt von Deutschland, die leider in dieser Phase scheinbar aus konditioniertem Reflex und der Besessenheit handeln, die Rechnungen anderer nicht bezahlen zu wollen vergessen , dass ohne einen funktionierenden Binnenmarkt die Eurozone zunehmend von den großen Weltakteuren China und den Vereinigten Staaten in erster Linie abhängig sein wird; eine Wahl, für die man Europa opfern muss.“
https://altreconomia.it/il-nuovo-patto-di-stabilita-europeo-impone-la-vecchia-austerita-a-chi-giova/
Mit der Zerstörung des Binnenmarktes liegt er m.E. richtig, denn das wird die Konsequenz sein, die aus dieser erneuten Austerität folgen wird. Den Ausdruck „nördliche Falken“ finde ich auch sehr bemerkenswert und treffend, denn wir machen auch ansonsten amerikanische Politik und keine europäische.
Arthur Dent
2. Mai 2023 @ 23:34
Man versteift sich wie immer auf die Staatsschulden – die sind aber allenfalls ein Teilproblem. Eigentlich müsste man die aggregierten Schulden aller Sektoren in den Blick nehmen. Und die Preisstabilität. (und eigentlich ist schon die deutsch-deutsche Währungsunion gescheitert, warum wohl?). Mindestens zehn ehemalige Ostblock-Staaten sind bitterarm – die gehören gar nicht rein in die EU, die sind gar nicht wettbewerbsfähig. Auch dass sich Staaten an den Kapitalmärkten finanzieren müssen, ist ein Witz. (Wegen der Rentenproblematik stufen Rating-Agenturen Frankreich herab). Man versteift sich auf die öffentlichen Schulden, dann kann man den Sozialstaat schleifen. Den hält man für Ballast.
Hekla
2. Mai 2023 @ 20:07
@KK: Wir sind, ganz unverhohlen, nur noch politische Manövriermasse. Passt der Schutz ” jedes Lebens” in die aktuelle politische Agenda der Regierenden, dann ist es das höchste Gut.
Passt es gerade nicht, wie jetzt, dann zieht man aussichtslose Kriege mit Waffenlieferungen
in die Länge, wohlwissend, dass jeden Tag auf beiden Seiten Menschen sterben.
Der Wert des menschlichen Lebens orientiert sich offensichtlich nicht mehr am Geist des Grundgesetzes oder an christlich-jüdisch geprägten Vorstellungen, sondern am tages- und bündnispolitischen Kalkül. Ich habe keine Zweifel, dass unser Leben in Europa bei Bedarf genauso redundant sein wird, wie das Leben der sterbenden Ukrainer UND der sterbenden Russen.
KK
2. Mai 2023 @ 18:23
Na, wenn das Kriegsgerät das tut, wofür es produziert wird, und dabei nur genug Menschen vernichtet, brauchen wir auch weniger Geld für Renten, Krankenhäuser, Schulen, Kindergrundsicherung etc.
Die Logik dahinter ist doch recht simpel… 😉
Interessant auch der Widerspruch, als es zur Begründung der Corona-Massnahmen noch hiess “jedes Leben zählt!” – alles obsolet!